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Kennen Sie das? Sie saßen den ganzen Tag am Schreibtisch, haben viel gearbeitet und wollen nach Feierabend einfach nur auf die Couch. Plötzlich meldet sich diese innere Stimme: Wäre es nicht besser, sich jetzt noch zu bewegen? Schließlich wissen Sie ganz genau, wie schädlich dauerhaftes Sitzen sein kann. Andererseits war der Tag anstrengend genug, da haben Sie sich die Erholung doch wirklich verdient, oder? Mal ganz davon abgesehen, dass die Sportklamotten gerade in der Wäsche sind und es draußen verdächtig nach Regen aussieht.

Fachleute bezeichnen dieses Phänomen als kognitive Dissonanz: der innere Konflikt, der entsteht, wenn wir es eigentlich besser wissen, es aber trotzdem nicht umsetzen. Um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, suchen wir nach Ausreden — zum Beispiel, warum uns quasi gar nichts anderes übrig bleibt, als die Fertigpizza in den Ofen zu schieben: weil wir ja erst noch einkaufen müssten, weil es schon so spät ist oder — Sie ahnen es — weil der Tag anstrengend genug war.

Was versteht man unter kognitiver Dissonanz?

„Kognitive Dissonanz bedeutet, dass man einen unangenehmen Spannungszustand erlebt“, erklärt Prof. Dr. Astrid Schütz vom Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bamberg. Zum Beispiel, wenn wir etwas tun, das nicht zu dem Bild passt, das wir von uns haben. Indem wir uns die Realität quasi zurechtbiegen, schützen wir auch ein Stück weit unseren Selbstwert. In unserer Vorstellung sind wir also weiterhin fit und gesundheitsbewusst, obwohl wir mit Pizza auf dem Sofa liegen.

Es ist absolut menschlich, nach Balance zu streben und möglichst frei von Widersprüchen sein zu wollen. Also sucht man nach Wegen, sie aus der Welt zu schaffen. Angenommen, jemand weiß ganz genau, dass Rauchen ungesund ist, steckt sich aber trotzdem eine Zigarette an: Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Widerspruch umzugehen. Manche leugnen die Gefahr und reden sich ein, dass das schon nicht so schlimm sein wird. Andere denken an den Opa, der doch auch alt geworden ist, obwohl er jeden Tag geraucht hat. Und dann gibt es Menschen, die der Realität ins Auge blicken und nach Möglichkeiten suchen, mit dem Rauchen aufzuhören.

Was kann man gegen kognitive Dissonanz tun?

Doch dafür müsse man, zurück zum Beispiel körperliche Aktivität, den Widerspruch erst einmal erkennen, sagt Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Psychologe in der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim. „Man muss sich erst einmal bewusst werden, dass man sich einerseits ärgert, dass das Gewicht immer mehr nach oben geht, dass man aber andererseits nach Hause kommt und sich gleich aufs Sofa legt“, sagt Kulzer.

Das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen, hierzu rät auch Prof. Dr. Dieter Frey, Leiter des Center for Leadership and People Management an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er empfiehlt, sich folgende Fragen zu stellen: Welche Nachteile hat es, wenn ich mich weiterhin so verhalte? Gefährde ich meine Gesundheit, wenn ich weiter rauche oder mich nicht ausreichend bewege? „Als Gegenstrategie könnte man sich zum Beispiel einen kleinen Zettel an den Spiegel hängen: heute gesünder essen, einen Spaziergang machen oder mehr schlafen“, rät Frey. Das erinnert daran, in welche Richtung man eigentlich wollte.

Sich innere Konflikte bewusst machen

Am wichtigsten ist es, ein klares Ziel zu definieren — darin sind sich die Fachleute einig. Wenn etwas wirklich wichtig sei, falle das Dranbleiben deutlich leichter, so Experte Kulzer. Gerade bei der Diabetestherapie spiele das eine wichtige Rolle. „Wenn mein oberstes Ziel ist, gesund zu bleiben oder gute Werte zu bekommen, dann tue ich auch eher etwas dafür.“

Gerade bei größeren Entscheidungen helfe es, sich der inneren Konflikte bewusst zu werden, sagt Kulzer. Das können gesundheitliche Themen sein, das soziale oder auch ökologische Verhalten. „Es ist ganz normal, dass wir nicht immer alles perfekt machen können. Aber bei diesen großen Entscheidungen ist es wichtig, die Widersprüche nicht komplett zu ignorieren“, so der Psychologe.

Ich kann nicht über alles, was mir im Alltag begegnet, reflektieren.

Wann die Selbsttäuschung nützlich sein kann

Manchmal ist ein wenig Selbsttäuschung aber sogar nützlich. Würden wir bei jedem noch so kleinen Konflikt nach der perfekten Lösung suchen, würden wir nicht nur unser Gehirn überfordern. Wir wären auch ständig verunsichert. Das bestätigt auch Astrid Schütz: „Ich kann nicht über alles, was mir im Alltag begegnet, reflektieren.“ Wie wir in bestimmten Situationen reagieren, hängt von zwei das Verhalten steuernden Systemen ab: Das reflexive System sorgt dafür, dass wir Informationen systematisch verarbeiten. Das impulsive System hingegen lässt uns vor allem schnell reagieren.

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Es setzt sich meist durch, wenn man erschöpft ist — und kann dann dafür sorgen, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. „Der Weg über das reflektierende System ist anstrengender, dafür fehlt uns in stressreichen Situationen oft die Energie“, sagt Schütz. Sie schlägt deshalb vor, in ruhigen Momenten darüber nachzudenken, was einem wirklich wichtig ist.

Denn wer nach den eigenen Überzeugungen handelt, erlebt ein Gefühl der Freude und der Sinnhaftigkeit. „Wenn wir anderen helfen, unseren Beitrag leisten und Spaß daran haben, produziert unser Körper Endorphine“, erklärt Dieter Frey. Sie sorgen dafür, dass wir uns wohlfühlen. Nicht nur für den kurzen Moment, in dem wir uns selbst etwas vormachen.


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