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Menschen mit geistigen Behinderungen stoßen auf teils enorme Barrieren auf dem Arbeitsmarkt und bei Arztbesuchen. Das will der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, ändern, wie er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte. Dafür will Dusel an diesem Mittwochabend Empfehlungen an den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) übergeben.

Anstoßen wolle er zunächst eine Diskussion über die Bezeichnung. „Viele der mehreren Hunderttausend Betroffenen in Deutschland empfinden die gängige Bezeichnung "geistige Behinderung", wie sie auch in unseren Gesetzen noch verwendet wird, als abwertend und diskriminierend“, sagt Dusel. „Ich verwende deshalb zurzeit den Begriff der intellektuellen Beeinträchtigung, doch ist die Diskussion darüber gesellschaftlich noch nicht abgeschlossen.“

Oft droht Arbeitslosigkeit

Auch 15 Jahre nach Inkrafttreten der EU Behindertenrechtskonvention habe Deutschland viele Hausaufgaben zu erledigen. „So sind Menschen mit Behinderungen deutlich häufiger arbeitslos, Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen besonders oft“, so Dusel. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiteten 260 000 Menschen. „Drei Viertel von ihnen sind Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen“, weiß Dusel. „Wer in eine Förderschule geht, hat oft als quasi vorgezeichneten Weg die darauffolgende Beschäftigung in einer der Werkstätten.“

Weniger als einem Prozent der Beschäftigten aus den Werkstätten gelinge der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. „Das liegt auch daran, dass die staatlichen Leistungen geknüpft sind an den Besuch der Werkstatt - dabei sollten die den Menschen folgen und quasi wie ein Rucksack unabhängig vom Ort der Arbeit mitgenommen werden können.“

Ärztliche Versorgung: oft mangelhaft

Ein „Riesenproblem“ sei auch mangelnde Zugänglichkeit zum Gesundheitswesen – besonders zu ambulanten Ärztinnen und Ärzten. „Das gilt für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen besonders“, sagte Dusel. Denn es gebe kaum sogenannte Leichte Sprache in der Praxis und Ärztinnen und Ärzte mit Zeit und Verständnis für die besonderen Bedürfnisse der Betroffenen. Dusel: „Studien und Erfahrungsberichte zeigen verheerende Ergebnisse beim Gesundheitszustand von Betroffenen.“ Oft mangele es an korrekter Diagnostik und geeigneten Behandlungen auch bei verbreiteten Erkrankungen wie Diabetes.

Dusel nannte das Beispiel einer Mutter mit einer schwerstbehinderten Tochter Ende 30, die sich ungewöhnlich verhalten habe. „Der konsultierte Arzt fand die Ursache nicht und wollte die Betroffene sedieren und in eine Psychiatrie überweisen.“ Mit Verspätung sei dann ein zweifacher Bandscheibenvorfall erkannt worden. „Sie hatte einfach unheimliche Schmerzen, konnte sich aber nicht artikulieren.“

Viele Menschen ohne Beeinträchtigung unsicher im Umgang

Auch gebe es zu wenig Begegnungen zwischen Menschen ohne und mit Beeinträchtigungen. „Viele Menschen sind unsicher, wie sie sich gegenüber Betroffenen verhalten sollen“, sagt Dusel. Auch deshalb sei es wichtig, dass Kinder ohne Beeinträchtigung zusammen mit Kindern mit Beeinträchtigung in die Schule gehen, sofern diese hier den nötigen Mehrbedarf auch bekommen. „Wer solche normalen Begegnungen in Kindheit und Jugend hatte, wird auch später keine Vorbehalte gegen Betroffene haben.“