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Wenn ein Mensch plötzlich zusammenbricht, geht es oft um wenige Minuten. Selbst wenn der Rettungswagen schnell gerufen ist, trifft er oft erst nach 15 Minuten ein – in manchen Fällen ist es dann zu spät. „Wenn ein Mitmensch mit einem Kreislaufstillstand zusammenbricht, ist derjenige, der daneben steht, meist der Einzige, der das Ruder rumreißen kann“, sagt Prof. Dr. Viktoria Bogner-Flatz, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme (ZNA) der Kreisklinik Ebersberg und ärztliche Leiterin des Rettungsdienstes München. Schon nach drei Minuten kann das Gehirn geschädigt sein. Was helfen kann: Wiederbelebung mit Herzdruckmassage und Beatmung.

Doch nach Angaben des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung reanimiert nur jeder oder jede zweite Deutsche in einer solchen Situation. Bei der so genannten Laienreanimationsquote liegt Deutschland mit 40 Prozent deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 58 Prozent. In den Niederlanden und Schweden beispielsweise liegt die Quote bei 70 bzw. 80 Prozent.

Ob eine solche Reanimation stattgefunden hat oder nicht, sei entscheidend für die weitere Behandlung – und die Überlebenschancen, sagt Bogner-Flatz. „Wer in einer Notfallsituation gar nichts tut, hat auch etwas entschieden, nämlich dass es in vielen Fällen nicht gut ausgehen kann.“

Letzter Erste-Hilfe-Kurs viel zu lange her

Dabei ist man in Deutschland gesetzlich verpflichtet, zu helfen. „Jeder sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten Erste Hilfe leisten“, sagt Bogner-Flatz. Von einer 95-Jährigen könne man nicht denselben Einsatz erwarten wie von einem gesunden 25-Jährigen. Einen Krankenwagen zu rufen, sei aber das Mindeste.

Der letzte Erste-Hilfe-Kurs liegt bei den meisten weit zurück, nämlich vor dem Führerschein. Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse ist das bei mehr als jeder und jedem Vierten mehr als 20 Jahre her. Eine gesetzliche Pflicht zur Auffrischung der Erste-Hilfe-Kenntnisse gibt es mit Ausnahme der Betriebshelferinnen und -helfer nicht. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) empfiehlt jedoch, spätestens alle zwei Jahre einen neuen Kurs zu besuchen. Welche weiteren Möglichkeiten es gibt, das Wissen aufzufrischen, stellen wir hier vor.

1. Kurs vor Ort

  • Was ist das? Verschiedene Einrichtungen und Organisationen bieten Erste-Hilfe-Kurse an, wie sie zum Beispiel vor der Prüfung für den Führerschein geleistet werden müssen. In der Gruppe werden verschiedene Notfallsituationen durchgespielt und Erste-Hilfe-Maßnahmen geübt. Das Deutsche Rote Kreuz bietet für Ersthelfende auch kürzere Formate von 90 Minuten zur Auffrischung an. Auch Interessierte können daran teilnehmen.
  • Voraussetzungen: In der Regel sind keine Vorkenntnisse nötig.
  • Dauer: 1,5 bis 9 Stunden
  • Kosten: 20 bis 65 Euro
  • Vorteile: Das Üben – zum Beispiel die Wiederbelebung an einer Puppe – baue Hemmungen ab, sagt Bogner-Flatz. „Und man lernt, gefährliche Situationen zu erkennen.“
  • Nachteile: Kosten und Dauer
  • Expertinnen-Fazit: „Der Erste-Hilfe-Kurs vor Ort ist die Premium-Variante, die jeder zumindest einmal gemacht haben sollte“, sagt Victoria Bogner-Flatz.

2. Youtube-Kurse

  • Was ist das? Auf der Videoplattform Youtube haben zum Beispiel die Krankenkasse AOK oder Kreisverbände des DRK kurze Videos zu einzelnen Erste-Hilfe-Maßnahmen hochgeladen, die sich jede und jeder ansehen kann. Wer sich beim Österreichischen Roten Kreuz mit einer Emailadresse anmeldet, bekommt fünf Tage lang jeweils ein Modul in Form eines Youtube-Videos zugeschickt. Diese zeigen Situationen aus dem Alltag, in denen plötzlich ein Unfall passiert – zum Beispiel, wenn sich jemand beim Anzünden des Grills stark verbrennt. Das Video erklärt dann Schritt für Schritt die notwendigen Erste-Hilfe-Maßnahmen.
  • Voraussetzungen: Internetzugang
  • Dauer: 4 Minuten pro Tag oder 20 Minuten insgesamt
  • Kosten: kostenlos
  • Vorteile: Durch den niedrigschwelligen Zugang kann man flexibel und in kurzer Zeit das Erste-Hilfe-Wissen auffrischen – vorausgesetzt, die Videos stammen von seriösen Anbietern wie dem Deutschen oder Österreichischen Roten Kreuz oder einer Krankenkasse.
  • Nachteile: „Wer sich nur solche Videos ansieht und noch nie eine Reanimation an einer Puppe geübt hat, weiß nicht, wie sich das in der Situation wirklich anfühlt“, sagt Bogner-Flatz. Hier fehle das Üben mit den eigenen Händen.
  • Expertinnen-Fazit: „Eine praktische Möglichkeit, sein Wissen aufzufrischen und sicherlich besser, als nichts zu tun!“, so die Medizinerin.

3. Virtual-Reality-App

  • Was ist das? Die Techniker Krankenkasse (TK) hat in Kooperation mit dem Deutschen Rat für Wiederbelebung (GRC) eine Virtual-Reality-App für Smartphones entwickelt. Damit kann man für den Notfall trainieren, denn die Technik versetzt Nutzerinnen und Nutzer direkt in eine Notfallsituation.
  • Voraussetzungen: Smartphone und eine VR-Brille
  • Dauer: 10 Minuten pro Schulung, die sich beliebig oft wiederholen lässt
  • Kosten: kostenlos
  • Vorteile: Das Training ist jederzeit von zu Hause aus möglich und realistischer als ein Videokurs. Auch beim Notarztkurs der Bayrischen Landesärztekammer werde eine solche Technologie eingesetzt, sagt Notfallmedizinerin Bogner-Flatz.
  • Nachteile: Nur wenige Menschen besitzen eine Virtual-Reality-Brille. Außerdem fehlt das praktische Üben an einer Puppe.
  • Expertinnen-Fazit: „Die Technik baut Berührungsängste und Informationsdefizite ab und kann durchaus sinnvoll sein“, sagt Bogner-Flatz.

4. Erste-Hilfe-Apps

  • Was ist das? Das DRK und die Hilfsorganisation Malteser bieten jeweils eine App an, die interaktiv durch eine Notfallsituation führt. Zusätzlich gibt es Hintergrundwissen, um die Erste-Hilfe-Kenntnisse aufzufrischen. Die DRK-App bietet auch Hilfestellung beim Absetzen des Notrufs und eine Standortbestimmung über Google Maps.
  • Voraussetzungen: Smartphone oder Tablet
  • Dauer: individuell
  • Kosten: 0,00 – 0,99 Euro
  • Vorteile: Die Apps bieten sowohl Wissen als auch Hilfestellung in Notfallsituationen. „Wenn man der Typ Mensch ist, der in einer Notfallsituation einen kühlen Kopf bewahrt und Informationen schnell umsetzen kann, dann ist so eine App auf dem Handy hilfreich“, sagt Bogner-Flatz.
  • Nachteile: „Der Stress in einer Notfallsituation ist oft überwältigend. Nicht jeder will oder kann dann erst mal eine App öffnen und einer Schritt-für-Schritt-Anleitung folgen.“
  • Expertinnen-Fazit: „Im Zweifelsfall kann es sinnvoller sein, direkt die 112 zu wählen. Während im Hintergrund die Rettungskräfte alarmiert werden, wird man am Telefon von einer geschulten Person angeleitet und fühlt sich in der Notsituation nicht so alleingelassen“, sagt Bogner-Flatz.

Hemmungen überwinden

Egal für welche Variante man sich entscheidet, das Wissen um Erste-Hilfe-Maßnahmen aufzufrischen lohnt sich in jedem Fall, denn es kann Leben retten. Bogner-Flatz plädiert dafür, im Notfall Hemmungen und Vorurteile zu überwinden. „Viele wollen Menschen, die sie nicht kennen, nicht zu nahetreten“ sagt Bogner-Flatz. So hat unter anderem eine kanadische Studie gezeigt, dass Frauen bei einem Herzstillstand noch seltener geholfen wird als Männern – möglicherweise aus Scheu, den Brustkorb freizulegen.

Die Notärztin warnt auch davor, gerade in Großstädten Bewusstlose für Betrunkene zu halten und dann nicht zu helfen. Auch ein sehr niedriger Blutdruck könne zum Torkeln führen und auch für Betrunkene könne die Situation lebensbedrohlich sein. In jeder Situation bleibt die zentrale Botschaft der Notfallmedizinerin: „Nicht zögern, sondern schnell helfen! Denn am meisten falsch machen können Sie durch Nichtstun.“


Quellen:

  • Techniker Krankenkasse: Bei jedem Vierten liegt der letzte Erste-Hilfe-Kurs mehr als 20 Jahre zurück . Online: https://www.tk.de/... (Abgerufen am 26.01.2024)
  • Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.: Plötzlicher Herztod. Online: https://dzhk.de/... (Abgerufen am 26.01.2024)
  • German Resuscitation Council: Deutsche Laienreanimationsquote bleibt unverändert. GRC setzt neue Ziele bis 2025.. Online: https://www.grc-org.de/... (Abgerufen am 26.01.2024)
  • European Society for Emergency Medicine: Women less likely to be given CPR than men in public places but in private spaces older people less likely to be given CPR. Online: https://eusem.org/... (Abgerufen am 26.01.2024)