Kinder, die singen, tanzen oder nur mit Lauten experimentieren, profitieren ein Leben lang davon. Wie Eltern den Kleinen die Welt der Musik nahebringen
von Andrea Schmidt-Forth, aktualisiert am 30.11.2018
Greift Musiker Christian W. für seine Tochter Hannah in die Saiten, gibt’s kein Halten mehr. Sofort dreht sich die Kleine jauchzend im Kreis und beginnt zu singen. "Ihre gute Laune ist einfach ansteckend", sagt Mama Tanja und macht mit, obwohl sie findet, dass sie selbst eigentlich gar nicht musikalisch ist.
"Kinder lieben es, wenn Eltern mit ihnen singen, egal, wie sie es tun", sagt Dr. Gunter Kreutz von der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Der Professor für Musik bedauert sehr, dass immer weniger Familien zusammen Musik machen. Nicht nur, weil Singen "Kraftfutter für Kinderhirne" ist, wie es der Neurobiologe Professor Gerald Hüther formuliert. Kinder, die regelmäßig singen, tun sich bei der Einschulung nachweislich leichter, zeigten drei Forscher der Universität Bielefeld schon vor Jahren. Singen fördert den Spracherwerb und die Entwicklung des logisch-mathematischen Verständnisses, macht glücklich und hilft, Aggressionen abzubauen.
Schon Babys kommen erstaunlich musikalisch zur Welt. Ein Potenzial, das, wie Gunter Kreutz bekräftigt, unbedingt gefördert werden sollte: "Gemeinsam zu alltäglichen Ritualen zu singen, mit den Eltern und im Kindergarten – das sind unverzichtbare Lebenserfahrungen. Sie haben sogar fast mehr außermusikalische als musikalische Wirkungen."
Nach seiner Studie mit dem Sozialwissenschaftler Professor Michael Feldhaus beeinflusst gemeinsames Singen und Musizieren zum Beispiel das Miteinander in der Familie sehr positiv. Die Eltern bewerten das Sozialverhalten ihrer Kinder besser, das Verhältnis untereinander ist vertrauter als in anderen Familien. Dabei kommt es nicht darauf an, die richtigen Töne zu treffen oder sonstige musikalische Leistungsgedanken zu verfolgen. Vielmehr geht es um Wahrnehmung, Augenkontakt, gemeinsame Bewegung und – vor allem – Freude an der Musik.
Freude hat Jonah zweifelsohne. Am Dienstag kann er es kaum erwarten: Um zehn Uhr beginnt sein "Musikgarten"-Kurs, ein Programm zur Musikalischen Früherziehung, vom Baby- bis ins Vorschulalter. Nach anderthalb Jahren "Musikgarten" ist Jonah quasi schon Profi. Er weiß genau, was zu tun ist, sobald Übungsleiterin Doris Goetz ein Lied summt, die Teilnehmer zum Kreistanz auffordert oder die Box mit Rasseln, Glöckchen und Klanghölzern hervorholt. Dann klatscht Jonah oder klopft den angegebenen Takt mit.
Schon Babys von knapp einem Jahr reagieren auf die Musik. "Sie schauen sich ganz viel von ihren Eltern ab, lernen durch Beobachten, Nachahmen und endloses Wiederholen", erklärt die Übungsleiterin. Ihr liegt daran, den Eltern und Großeltern eine Art Schatzkiste voll Anregungen für den Alltag mitzugeben. Zum Beispiel einen Kniereiter für morgens, der positiv auf den Tag im Kindergarten einstimmt, oder ein Lied, zu dem Mama und Papa ihr Kind in einer Decke schaukeln, wenn alle wieder zu Hause sind. Auch klassische Kinderlieder gehören zu Doris Goetz‘ Repertoire. Sie schätzt sie wegen ihrer schönen Sprache und weil sie eine Brücke zwischen den Generationen seien.
Trommeln, sich gemeinsam zur Musik bewegen oder einfach nur den Klängen lauschen: Wie Eltern schon früh Musik und Rhythmus in das Leben ihres Nachwuchses einbinden können, zeigt das Video der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg.
Weitere Videos finden Sie auch direkt auf der Webseite der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg.
"Musik sollte wieder mehr ins Familienleben integriert werden", findet auch Maxi Heinicke, Musikpädagogin aus Berlin. Eltern rät sie, zu Hause einfach die Musik aufzulegen, die ihnen selbst gefällt, egal ob Klassik, Rock oder Pop, und mit den Kindern dazu zu kneten, selbst einfache Rasseln aus alten Fotodosen oder Klopapierrollen zu basteln oder mit Fingerfarben zu malen. Ihre beiden Kinder haben dabei gerne eigene Formen und Figuren fabriziert.
Nur Dauerberieselung findet die Musikpädagogin weniger gut. "Mit Kindern sollten wir die Musik bewusst anhören. Wir Erwachsenen vergessen oft, was Musik mit uns macht. Kinder hingegen zeigen spontan, was ihnen gefällt." Das feine Gehör ihrer Kinder können Eltern schulen, indem sie mit ihnen über das Gehörte sprechen: "Magst du das? Fühlt sich die Musik leicht an oder schwer? Hörst du, dass da etwas trötet, brummt oder tutet?"
Außerdem können Eltern ihre Kinder schon früh mit zu Konzerten nehmen.
In Großstädten finden sie mit der Taschenphilharmonie und sogenannten Baby-, Sitzkissen- oder Familienkonzerten spezielle Angebote für Kids ab dem Kindergartenalter: meist eine halbe Stunde ausgewählte klassische und kindgerecht präsentierte Musik. Laut Maxi Heinicke kann es aber durchaus auch ein Straßenmusiker oder eine Blaskapelle sein – "Hauptsache, die Musik ist handgemacht, also nicht mit dem Synthesizer". Denn dabei erfahren Kinder hautnah, welche unterschiedlichen Arten von Musik, Gesang und Instrumenten es gibt.
Blasmusik, Musik über Verstärker oder Lautsprecherboxen kann schon mal sehr geräuschvoll werden und Lautstärken von 80 Dezibel oder sogar mehr erreichen – also so laut wie eine Baumaschine. Nehmen Eltern ihre Kinder mit zu Konzerten, ganz gleich ob Klassik, Pop oder Rock, schützen Baukopfhörer aus dem Baumarkt die empfindlichen Ohren der jungen Zuhörer.
Apropos Instrument: Damit ist laut Gunter Kreutz und Maxi Heinicke Zeit bis kurz vor der Einschulung. Am besten lassen sich Eltern von den Wünschen ihrer Kleinen leiten. Am Instrumentenkarussell in einer Musikschule können Kinder ausprobieren, was ihnen Spaß macht. Es muss ja nicht immer Blockflöte sein.
Kinder trommeln auch gerne oder spielen Ukulele, ein einfaches Saiteninstrument, weil sie damit schnell Erfolge haben. In Berlin gibt es beispielsweise Ukulele-Kurse für Kindergartenkinder und deren Mütter, die auch gern ein Instrument lernen würden. Dafür ist es schließlich nie zu spät!