Manche Kinder finden schwerer zur Sprache als andere. Doch wann handelt es sich um eine Verzögerung, wann um eine Störung? Plus: Eine Logopädin beantwortet häufige Fragen
von Beatrice Sobeck, aktualisiert am 18.01.2019
Wie sich ein Kind sprachlich entwickelt, gleicht ein wenig dem Öffnen eines Überraschungspakets. Man weiß nie genau, was einen erwartet. "Wissenschaftler gehen bis heute davon aus, dass eine Erwerbsschwäche, die die Sprachentwicklung beeinträchtigt, bereits bei der Geburt angelegt ist. Die genauen Ursachen kennen wir noch nicht", sagt Logopädin Sonja Utikal vom Deutschen Bundesverband für Logopädie in Frechen bei Köln.
Ob ein Kind an einer Sprachentwicklungsstörung leidet, eine Sprachverzögerung oder -auffälligkeit hat, erkennt der Kinderarzt während der U-Untersuchungen und leitet dann notwendige Schritte ein. Bei der U 7, wenn die Kinder zwei Jahre alt sind, wird der Wortschatz gezielt abgefragt. Hier zeigen etwa 15 Prozent der Kinder Auffälligkeiten. Beherrschen sie noch weniger als 50 Wörter, zählen sie zu den sogenannten "Late Talkern" – den "späten Sprechern".
"Etwa die Hälfte dieser Kinder holen die Defizite innerhalb weniger Monate selbst auf", sagt Prof. Dr. Steffi Sachse, Entwicklungspsychologin mit Schwerpunkt Spracherwerb an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Fallen die Kinder mit drei Jahren immer noch auf – etwa durch einen sehr geringen Wortschatz, schlechten Satzbau oder grobe grammatikalische Fehler –, brauchen sie meist eine Sprachtherapie bei einem Logopäden.
"Sieben Prozent aller Kinder in Deutschland haben einen pädagogischen Sonderförderbedarf", so Sachse. Egal, ob eine spezifische Sprachentwicklungsstörung oder eine sogenannte umgebungsbedingte Sprachauffälligkeit vorliegt: Ein sprachanregendes Umfeld wirkt sich positiv auf alle Kinder aus. Bei einer Sprachentwicklungsstörung braucht das Kind allerdings zusätzlich therapeutische Unterstützung.
Dennoch sind Eltern manchmal unsicher, ob sich das Kind normal entwickelt. Hier beantwortet Logopädin Sonja Utikal häufige Fragen.
Allein die Zahl gesprochener Wörter ist noch nicht entscheidend. Wenn Ihr Kind etwa 200 Wörter versteht, Interesse an Sprache zeigt und eventuell schon Zwei-Wort-Sätze kombiniert, kann man abwarten. Doch während der nächsten Monate sollte der Wortschatz spürbar anwachsen. Ermuntern Sie Ihr Kind, viel zu erzählen, lesen Sie ihm oft interaktiv vor (zum Beispiel: Was ist denn da passiert?, Welches Tier ist das?).
In diesem Alter zeigen Fehler wie diese, dass sich Ihr Kind aktiv mit der Sprache auseinandersetzt. Erhalten Sie diese Sprechfreude. Sie können die Wortkreationen berichtigen, indem Sie das Wort in einer eigenen Äußerung verwenden. Etwa so: "Genau, ein Schmetterling! Jetzt flattert er weiter." So vermitteln Sie Ihrem Kind, dass Sie es verstanden haben, und präsentieren ihm das Wort trotzdem richtig. Auch Klatschspiele, Reime und Lieder helfen ihm, Silbenrhythmen zu erkennen und längere Wörter zu üben.
Handelt es sich um vereinzelte Begriffe und kennt das Kind die allgemeingültigen Bezeichnungen, wird das keine negativen Auswirkungen haben. Das Kind sollte sich außerhalb der Familie, etwa in der Kita, unproblematisch verständigen können. Wird Ihr Kind nicht oder nur schlecht verstanden, kann das die Freude am Sprechen verringern.
Hat das Kind Probleme, sich zu verständigen, und leidet es bereits darunter, ist es sicher sinnvoll, es einem Logopäden vorzustellen. Beim sogenannten Lispeln oder Nuscheln kann es sich um eine Aussprachestörung handeln, die behandlungsbedürftig ist, da sie nicht von allein weggeht.
Zunächst ist es richtig, die akute Entzündung zu behandeln, denn das ist die Voraussetzung dafür, dass eine logopädische Therapie wirken kann. In der Regel holen die Kinder im Spracherwerb schnell auf, sobald sie wieder gut hören. Halten sich aber die Verzögerungen noch sechs Monate oder stagniert der Wortschatzerwerb, kann eine Therapie helfen, die Defizite aufzuholen.
Vorlesen beeinflusst den Spracherwerb positiv. Hörspielen fehlt die starke kommunikative Komponente. Beim Lesen kann man kuscheln, Sie können den Lesestoff an das Kind anpassen, Passagen wiederholen, Stimmen verändern, über Bilder sprechen. Es wäre schön, wenn jemand anderes aus der Familie oder dem Umfeld die Freude an Liedern und Büchern vermitteln kann. Hilfreich ist auch, wenn das Kind in eine Kita geht und dort viele Sing- und Leseerlebnisse erfährt.
Zweifeln Sie an der Hörfähigkeit Ihres Kindes, lassen Sie die vom Arzt prüfen. Liegt tatsächlich ein Hörproblem vor, muss das schnellstmöglich behoben werden. Es kann auch sein, dass die Staubsaugergeräusche so vertraut für Ihr Baby sind, dass es sich daran schlicht nicht stört.
Manche Kinder plaudern viel, andere sind eher stille Beobachter. Sprechen Sie viel mit Ihrem Kind und unterstützen Sie es in seiner Rolle als Gesprächspartner. Fürchten Sie eine Sprachentwicklungsstörung, sprechen Sie mit dem Kinderarzt. Im Zweifel wird er eine logopädische Untersuchung verordnen, um zu überprüfen, ob Ihr Kind Sprache altersgerecht versteht und produzieren kann.
Bis zum 1. Geburtstag
Das Kind spricht noch gar keine Worte (Mama, Papa, auf, wau-wau), es kommuniziert ausschließlich mit Gestik und Mimik, dabei produziert es immer gleichförmige Lautäußerungen (ä-ä), es nimmt keinen Blickkontakt auf und reagiert nicht auf sprachliche Angebote.
Bis zum 2. Geburtstag
Das Kind spricht keine 50 Wörter oder es verbindet Worte nicht zu Zwei-Wort-Sätzen ("Milch haben", "Tür auf", "Papa weg"), es zeigt wenig Interesse an Kommunikation.
Bis zum 3. Geburtstag
Das Kind wird von Fremden schlecht verstanden, es verwendet wenig Tätigkeitswörter, keine Artikel oder keine Eigenschaftswörter ("dick", "groß"), es bildet nicht die Mehrzahl, es spricht keine einfachen Sätze.
Bis zum 4. Geburtstag
Das Kind hat Probleme, Sätze zu bilden, es bildet Sätze grammatikalisch falsch, es wird häufig nicht verstanden, es vermeidet sprachliche Anforderungen, es hat Schwierigkeiten, seine Bedürfnisse und Wünsche verständlich zu übermitteln.