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Am 7. Oktober 2023 hat die islamistische Terrororganisation Hamas Israel angegriffen. Dabei wurden etwa 1200 Menschen ermordet und mehr als 200 Personen als Geiseln nach Gaza verschleppt. Als Reaktion darauf bombardierte die israelische Armee Ziele im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und entsandte Bodentruppen. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind bislang rund 27500 Menschen in Gaza ums Leben gekommen, 1,7 Millionen sind auf der Flucht. Die Lage für die Menschen in Gaza ist verheerend. Fast alle Kliniken wurden zerstört oder können nicht mehr arbeiten.

Herr Haselbach, Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V. bemüht sich seit Beginn des aktuellen Israel-Gaza-Kriegs im Oktober, Medikamente nach Gaza zu bringen. Warum dauert das so lange?

Die Situation vor Ort ist extrem komplex und chaotisch. Wir mussten erst einmal herausfinden, auf welchem Weg überhaupt Medikamente nach Gaza gelangen können. Die Lieferung über Ägypten war zunächst nicht möglich. Die Auflagen änderten sich ständig. Apotheker ohne Grenzen hat zwar Projekte im Libanon und in Syrien, aber unsere Organisation war vorher noch nicht in dieser Region tätig. Wir mussten also erst einen Partner vor Ort finden, der anerkannt und von allen Seiten akzeptiert ist und über logistische Erfahrung in der Region verfügt. Das alles hat gedauert, sodass wir uns erst im Dezember mit unserem Partner Anera zusammengeschlossen haben.

Worin unterscheidet sich die Organisation der Gaza-Hilfe von anderen Hilfsprojekten, die Sie durchführen?

Apotheker ohne Grenzen macht vor allem Entwicklungszusammenarbeit, also langfristige Projekte zum Beispiel in Afrika, Asien oder Südamerika. Nothilfeeinsätze hat es auch früher schon gegeben, zum Beispiel nach Erdbeben. Aber da konnten wir viel direkter helfen: Wir wussten genau, was gebraucht wird, konnten direkt in das Gebiet hineinliefern und mit ehrenamtlich ausgebildeten Einsatzkräften vor Ort aktiv sein. Aber in Gaza ist die politische Lage sehr komplex, es gibt viele unbekannte Faktoren innerhalb eines Kriegsgebietes.

Max Haselbach ist seit Oktober bei der Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen tätig und dort zuständig für Nothilfe, sicherheitsrelevante Themen und Hilfe für die Ukraine.

Max Haselbach ist seit Oktober bei der Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen tätig und dort zuständig für Nothilfe, sicherheitsrelevante Themen und Hilfe für die Ukraine.

Sind die Medikamente mittlerweile angekommen?

Nein, sie befinden sich derzeit in einem Lager in Jordanien. Von dort sollen sie per Luftfracht nach Ägypten und dann weiter mit dem Lastwagen nach Gaza gebracht werden. Leider gibt es aktuell einen extremen Rückstau am Flughafen in Ägypten und an der Grenze zu Gaza. Wegen der steigenden Zahlen an unterernährten Kindern und Erwachsenen werden in den nächsten Tagen wahrscheinlich zuerst Nahrungsmittel verschickt. Erst danach kommen die Medikamente an die Reihe.

Welche Medikamente haben Sie geschickt?

Zum einen haben wir ein so genanntes International Emergency Health Kit geschickt – ein nach WHO-Standards zusammengestelltes Paket, das die medizinische Grundversorgung im Notfall abdeckt. Das haben wir bei unserem Lieferanten in den Niederlanden immer abrufbereit und können im Notfall schnell reagieren. Die darin enthaltenen Medikamente sind sehr flexibel einsetzbar, zum Beispiel Schmerzmittel oder Antibiotika. Auch Verbrauchsmaterialien wie Gummihandschuhe oder Spritzen sind dabei. Ein solches Paket mit drei bis vier Paletten reicht für 10000 Menschen für drei Monate und kann im Grunde auf einer Wiese abgestellt werden. Ein Zelt drüber – und schon können die Ärztinnen und Ärzte mit der Behandlung beginnen und die Apothekerinnen und Apotheker zur Diagnose den Patienten die Medikamente geben und sie behandeln.

Neben diesen Notfallmedikamenten haben wir zusätzlich einen hohen Bedarf an Medikamenten für chronisch Kranke festgestellt. Deshalb haben wir auch ein Paket mit Mitteln für Diabetes, Bluthochdruck oder chronische Atemwegserkrankungen geschickt. Damit können die Menschen ihre Therapie fortsetzen und werden dadurch nicht zum Notfall.

Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V.

Die im Jahr 2000 gegründete Hilfsorganisation setzt sich für eine bessere Versorgung mit Arzneimitteln weltweit ein. Neben langfristiger Entwicklungszusammenarbeit leistet der Verein auch kurzfristige Hilfe für Menschen in Not, sei es beim Erdbeben in der Türkei oder bei der Flutkatastrophe im Ahrtal. Rund 2000 Ehrenamtliche engagieren sich, die meisten von ihnen Apothekerinnen, Apotheker oder PTA.

Wie geht es den Menschen vor Ort?

Ich selbst war mit einem Kollegen für die Organisation nur eine knappe Woche in Jordanien und nicht in Gaza vor Ort. Aber unsere Partner in Gaza bestätigen, was UN-Generalsektretär António Guterres schon im Dezember gesagt hat: Die medizinische Versorgung ist völlig zusammengebrochen. Die meisten Krankenhäuser arbeiten nicht mehr, entweder weil sie zerstört sind, oder weil es keinen Sprit für die Notstromaggregate mehr gibt. Eine Kollegin vor Ort hat es so zusammengefasst: Alle befürchteten Infektionserkrankungen werden inzwischen gemeldet, wie zum Beispiel Cholera und Hepatitis. Es fehlen alle möglichen Medikamente. Und der Hunger wird immer schlimmer, was die Menschen anfälliger für Krankheiten macht, weil das Immunsystem nicht mehr adäquat reagiert. Die Situation ist katastrophal.

Wie werden die von Ihnen gelieferten Medikamente eingesetzt, um diesen Menschen zu helfen?

Unsere Partnerorganisation Anera wird sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der Organisation Roter Halbmond an der Grenze von Ägypten und Gaza in Empfang nehmen. Sie nutzen die Medikamente dann für ihre mobile Klinik, mit der sie von Flüchtlingslager zu Flüchtlingslager fahren. In den zwei bis drei Tagen, die sie jeweils vor Ort sind, versuchen sie, so vielen Menschen wie möglich zu helfen.

Planen Sie weitere Lieferungen?

Im Moment warten wir noch ab, ob die aktuelle Lieferung wie geplant ankommt und vor Ort verwendet werden kann. Wenn alles gut geht und wir die zusätzlichen finanziellen Mittel durch Spenden zusammen bekommen, werden wir eine weitere Lieferung auf den Weg bringen. Wir würden sehr gerne mehr tun und mehr Menschen einen Zugang zu Medikamenten ermöglichen.

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