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Kommt es vor, dass Ihnen Gespräche mit bestimmten Personen aus dem näheren Umfeld Bauchschmerzen bereiten – manchmal sogar schon der Gedanke daran? Vielleicht liegt es daran, dass Sie wissen, dass Sie beide grundverschiedene Ansichten teilen, wenn es um Politik geht – und dass eine Diskussion über dieses oder jenes Thema unweigerlich im Streit enden wird.

Die Befragten mehrerer repräsentativer Umfragen der Konrad-Adenauer-Stiftung[1] gaben an,das Gefühl zu haben, als würden solche Befürchtungen sie heute öfter plagen als früher. Ist unsere Gesellschaft tatsächlich gespalten?

David Lanius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am DebateLab des Karlsruher Instituts für Technologie und Mitbegründer des Forums für Streitkultur. Er sagt: „Vermutlich fühlen auch deswegen viele eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, weil anderslautende Meinungen durch Social Media sichtbarer sind und selbstbewusster geäußert werden“. Eine solche Vielfalt an Meinungen sei aber nicht per se etwas Schlechtes. Tatsächlich sei sie sogar prinzipiell demokratiefördernd.

Welche politischen Themen belasten Beziehungen?

Dennoch gibt es bestimmte Themen, von denen wir wissen, dass sie kontrovers sind und zu Streit führen können. Dazu gehören für viele sicherlich die Pandemie mit den Corona-Schutzmaßnahmen oder die Gesundheitspolitik im Allgemeinen.

Die Befragten der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung nannten als besonders spaltende Themen den Gegensatz von Arm und Reich, die Migrationspolitik und den Klimaschutz. Für (Paar-)Beziehungen seien Erhebungen einer Online-Partnervermittlung zufolge vor allem „menschenverachtende oder gefährliche Einstellungen, wie Rechtsradikalismus, Rassismus, Antisemitismus oder die Leugnung des Klimawandels“ belastend[2].

Wie wichtig ist politische Übereinstimmung?

Dieselbe Studie befragte die Teilnehmenden außerdem, wie relevant das Kriterium der politischen Übereinstimmung bei der Suche nach einer Partnerin beziehungsweise einem Partner sei. 84 Prozent der Befragten hielten politische Übereinstimmung in der Beziehung für wichtig. Etwa, weil die politische Orientierung etwas über moralische Grundwerte aussage oder weil ihnen Harmonie wichtig war. Geringe Unterschiede erachteten die Befragten als unproblematisch.

Für die restlichen 16 Prozent der Befragten spielte politische Übereinstimmung keine Rolle bei der Partnerwahl. Sie argumentieren unter anderem damit, dass Unterschiede bereichern würden und Beziehungspartner unabhängig voneinander bleiben sollten.

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Ist das Streiten über Politik ungesund?

Sind politische Differenzen in zwischenmenschlichen Beziehungen also ein Problem oder in Ordnung? „Ohne Konflikte kann man keine Beziehung führen – egal ob Partnerschaften oder sonstige Beziehungen“, sagt Prof. Philipp Y. Herzberg. An der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg hat er eine Professur für Persönlichkeitspsychologie. Einer seiner Schwerpunkte ist das Thema „Konflikt und Streiten“. Aus der Partnerschaftsforschung wisse man: Paare sind nicht glücklich oder unglücklich, weil sie viel oder wenig streiten, so Herzberg. „Es kommt auf eine konstruktive Streitkultur an“, sagt er.

Ganz ohne Streit würden Differenzen nur unter den Tisch gekehrt. In diesem Zusammenhang spricht man von kalten Konflikten. Sie werden zwar nicht ausgetragen, sind deshalb aber nicht vergessen. Kalte Konflikte schwelen im Untergrund weiter. Laut Herzberg stellen sie eine Gefahr für unsere Gesundheit dar – und zwar nicht nur für unsere Psyche. „Kalte Konflikte kosten Energie, man kann dann vielleicht nicht einschlafen. Der Körper schüttet Cortisol aus, ist angespannt. Das kann auch zu Muskelverspannungen führen.“

Politische Differenzen ausdiskutieren oder ignorieren?

Dennoch muss man sich nicht in jeden noch so unangenehmen Konflikt stürzen – schon gar nicht unvorbereitet oder mit der Hoffnung, unser Gegenüber überzeugen zu können. „Andernfalls verfällt man schnell in eine Position, in der man sein Gegenüber als Feind wahrnimmt“, sagt David Lanius. Es sei wichtig, mit einer anderen Zielsetzung als der Überzeugung des Gegenübers an ein (politisches) Streitgespräch heranzugehen.

Beiden Parteien könne es außerdem helfen, zu verstehen, warum jemand die jeweilige Position vertritt. „Selbst wenn die Position des Gegenübers absurd ist, kann man daraus lernen“, sagt Lanius – etwa, Gründe für die eigene Meinung zu formulieren.

„In der Demokratietheorie geht man davon aus, dass das politische Streitgespräch wichtig ist, um demokratische Entscheidungen zu treffen“, so Lanius weiter. Wir kommen dann zu guten Entscheidungen, wenn wir alle Gründe, die für und gegen ein Thema sprechen, abgewogen haben. Und das passiert nur, wenn man das Thema frei und offen diskutieren kann. „Das geht zwar auch im stillen Kämmerlein“, sagt Lanius. „Aber oft haben wir Schwierigkeiten, Fehlerhaftes in unserem eigenen Denken zu erkennen. Im Gespräch mit anderen fällt das viel leichter“.

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Diskutieren, aber Grenzen setzen

Auch Psychologe Herzberg ist der Meinung, es lohne sich immer, Konflikte anzusprechen. „Dass man schlafende Hunde weckt, kann man aus psychologischer Sicht nicht bestätigen”, sagt er. Meist führe proaktives Ansprechen zu Erleichterung.

„Man kann sich auch achten und respektieren, wenn man unterschiedliche Auffassungen hat“, sagt er. Die Wahrheit liege zumeist sowieso zwischen den beiden Positionen. Er rät dringend davon ab, sich zu beschimpfen, stattdessen solle man dem Gegenüber zuhören und immer auf der Sachebene bleiben.

Trotz alledem sei es verständlich und in Ordnung, in bestimmten Momenten oder bei bestimmten Themen Grenzen zu setzen, sagt Lanius. „Gibt es Themen, die emotional zu sehr belasten oder ist die vorhandene Zeit zu knapp für eine Diskussion, kann man das dem Gegenüber sagen und das Gespräch abbrechen“, so Lanius. Vielleicht klappt es ja ein anderes Mal.

Bestimmte Themen enden in manchen Beziehungen dennoch selten im Frieden. „Wenn die gleichen Konflikte immer wieder aufploppen, dann ist externe Hilfe nötig“, sagt Herzberg. Das könne etwa ein Paartherapeut oder im Arbeitsleben ein Mediator sein.

Wie damit umgehen, wenn Freunde oder Familie an Verschwörungsmythen glauben?

Für den Psychologen Philipp Y. Herzberg gilt auch im Umgang mit Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, dass Diskussionen auf Augenhöhe geführt werden sollten. Für ein gelungenes Streitgespräch sei es wichtig, dass sich nicht eine Partei über die andere stelle.

Dem Gegenüber den Begriff ‘Verschwörungsmythos‘ an den Kopf zu werfen, sei also eher kontraproduktiv. „Stattdessen sollten wir gucken, über welche Punkte wir uns annähern können“, sagt Herzberg. Aufzuteilen in Gut und Böse würde die beiden Seiten nur noch mehr radikalisieren.

Auch hier helfe es den Streitparteien zu verstehen, woher bestimmte Einstellungen kommen. Oft stünden etwa eigentlich Generationenkonflikte hinter radikal anderen Ansichten. Sich selbst oder das Gegenüber könnte man auch fragen: Ist man aus Überzeugung zur Radikalisierung gekommen oder weil einem nicht mehr zugehört wird?

Weitere Tipps zum Umgang mit solchen Situationen und individuelle Unterstützung findet man bei Beratungsstellen wie „entschwört. Beratung zu Verschwörungsmythen im persönlichen Umfeld“.

Beratungsangebot

Die Beratungsstelle „entschwört“ berät An- und Zugehörige von verschwörungsgläubigen Menschen kostenlos und vertraulich und befindet sich in Trägerschaft der pad gGmbH. Sie versteht sich als Demokratieprojekt und positioniert sich gegen menschenfeindliche, reaktionäre Inhalte.

Auch dort hat man die Erfahrung gemacht, dass Konflikte aufgrund von Verschwörungsmythen oft in der Familie oder im Freundeskreis bestehen; die einander gegenüberstehenden Parteien sind sich also eigentlich nahe. Ein entsprechend wertschätzender Umgang sei in manchen betroffenen Familien aber nicht möglich, so eine Beraterin bei „entschwört“ – etwa, „da oft durch Eltern-Kind-Konstellationen vermeintliche Hierarchien bestehen”.

Diskussions-Regeln aufstellen

Wenn aber auf beiden Seiten der Beziehung der Wunsch vorhanden sei, zu diskutieren, können bestimmte Gesprächsangebote gemacht werden. Oder es können Regeln fürs Gespräch aufgestellt werden: zum Beispiel bei einem Thema zu bleiben und eine vorgegebene Zeit einzuhalten. „Hilfreich kann es außerdem sein, mit Ich-Botschaften zu arbeiten, offene Fragen zu stellen und auf Widersprüche in den Erzählungen hinzuweisen”, so eine Beraterin bei „entschwört“.

Auch die Beratungsstelle rät dazu, wenn nötig Grenzen zu setzen und „klar zu benennen, wenn mit bestimmten Aussagen (zum Beispiel Antisemitismus) rote Linien überschritten werden”. Gebe es Themen, bei denen man sich absolut nicht mehr einig zu werden scheint, könne man dann auch von diesen weglenken. An dieser Stelle gelte es zu überlegen: Was verbindet uns trotz dieser offensichtlichen Wertedifferenz? Gibt es gemeinsame Hobbies oder Aktivitäten, die eine gemeinsame Beziehungsbasis (re-)aktivieren können?

„Oftmals hilft auch eine Beziehungspause, wie wir von vielen Angehörigen als Rückmeldung bekommen haben”, sagt man bei „entschwört“. Letztlich gelte aber: Jede Beziehung ist anders, was im jeweiligen Beziehungssystem hilft, müsse jede betroffene Person selbst entscheiden.


Quellen:

  • [1] Konrad-Adenauer-Stiftung: Politische Polarisierung in Deutschland, Repräsentative Studie zu Zusammenhalt in der Gesellschaft. Online: https://www.kas.de/... (Abgerufen am 16.04.2024)
  • [2] Presseportal: Studie: Partnersuchende wollen politische Gemeinsamkeit. Online: https://www.presseportal.de/... (Abgerufen am 16.04.2024)