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Was ist ein Femizid?

Dr. Monika Schröttle: Femizid bedeutet, dass eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet wird. In Deutschland gibt es jeden Tag einen polizeilich registrierten Tötungsversuch und an jedem dritten Tag wird eine Frau Opfer eines Femizids. Die Dunkelziffer der versuchten Tötungen dürfte aber weitaus höher liegen.

Wer ist besonders gefährdet?

Es kann jede Frau treffen und jeder Mann kann der Täter sein, unabhängig von Alter, Bildung, Beruf oder Einkommen. Auch ein eventueller Migrationshintergrund spielt keine Rolle, denn die sogenannten „Ehrenmorde“, über die in den Medien häufig sehr intensiv berichtet wird, sind tatsächlich nur sehr selten.

Wer sind die Täter?

Femizide werden fast ausschließlich von (Ex-)Partnern ausgeübt, zum Beispiel, wenn die Frau sich von ihm trennen will oder versucht, sich aus seiner Kontrolle zu lösen. Die Täter haben nur ein geringes Selbstwertgefühl und sind stark von der Bestätigung durch die Frau abhängig. Sie sind häufig eifersüchtig und besitzergreifend und wollen, dass die Frau nur ihnen allein gehört. Wenn die Frau sich trennt, reagieren sie mit extremer Wut und Aggression.

Woran liegt das?

Die nach wie vor patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft spielen eine große Rolle. Kontrolle und Unterdrückung von Frauen werden auch bei uns unterschwellig noch immer gelebt. In unserer Gesellschaft gibt es leider immer noch zu viel Toleranz gegenüber Männern, die Frauen gegenüber gewalttätig werden. Dann hört man beispielsweise Sprüche wie „Die wird ihn schon provoziert haben“. Es findet also eine Täter-Opfer-Umkehr statt.

Dr. Monika Schröttle forscht unter anderem zu Gewalt gegen Frauen.

Dr. Monika Schröttle forscht unter anderem zu Gewalt gegen Frauen.

Warum entscheiden sich Frauen für solche Partner?

Eine solche Beziehung beginnt oft sehr romantisch. Der Mann trägt die Frau auf Händen, verwöhnt sie, will alles mit ihr gemeinsam machen. Die Frauen haben das Gefühl, den perfekten Mann und die ganz große Liebe gefunden zu haben. Doch dann beginnen die Probleme.

Die Beziehung verändert sich?

Ja, der Mann versucht die Frau zunehmend zu isolieren, wird immer dominanter und kontrollierender. Er will zum Beispiel nicht, dass die Frau noch Kontakt zu ihren Freunden oder zu ihrer Familie hat und kontrolliert sie auf Schritt und Tritt. Gleichzeitig versucht der Mann, seiner Partnerin Schuldgefühle zu machen.

Trennen sich die Frauen, wenn ihr Partner sich so verhält?

Nein, nicht sofort. Es ist ganz typisch, dass sich solche Phasen psychischer oder physischer Gewalt mit harmonischen Phasen abwechseln. Viele Frauen hoffen deshalb, dass die Beziehung doch noch funktionieren könnte. Manche trennen sich erst nach Jahren.

Und der Mann tötet die Frau, weil er während eines Streits ausrastet?

Nein, die meisten Femizide finden nicht spontan während eines Streits statt. Es sind gezielte und geplante Tötungen, die erst verübt werden, wenn klar ist, dass die Frau sich trennt oder sich der Kontrolle des Partners entzieht. Das geschieht oft erst einige Monate später, manchmal auch erst nach Jahren. Deshalb ist die Zeit nach der Trennung für diese Frauen extrem gefährlich.

Wo gibt es Hilfe?

Ansprechpartner sind zum einen die Polizei und zum anderen Frauenhäuser, Beratungsstellen oder Notfalltelefone. Das Problem ist, dass sehr viele gefährdete Frauen sich nicht rechtzeitig an diese Stellen wenden. Deshalb ist das soziale Umfeld des Paares sehr wichtig.

Was können Familie und Freunde tun?

Das Besitzdenken des Mannes ist für Außenstehende oft gut erkennbar. Drohungen wie „Wenn sie mich verlässt, dann mache ich sie fertig“ sollte man unbedingt ernst nehmen. Es ist wichtig, der Frau zu signalisieren, dass die Situation für sie gefährlich sein könnte und dass man auf ihrer Seite steht. Auch das soziale Umfeld des Mannes kann etwas tun. Menschen, zu denen der Mann eine gute Beziehung hat, sollten versuchen, auf ihn einzuwirken und ihm klarzumachen, dass nicht die Frau, sondern er selbst das Problem ist und er sich Hilfe holen sollte. Auch für Männer gibt es inzwischen gute Beratungs- und Hilfsangebote, zum Beispiel das Männerhilfetelefon oder die Täterarbeit.

Und wie kann die Gesellschaft reagieren?

Nach wie vor werden Femizide von vielen als Privatsache und als „Beziehungsproblem“ missverstanden. Jedem muss klar sein: Egal, wie wütend und verletzt ein Mann ist, Gewalt gegenüber Frauen ist absolut inakzeptabel. Männer müssen von klein auf lernen, dass sie ihre Aggressionen gegenüber Frauen kontrollieren können und müssen.