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Frau Brede, ab wann spricht man mit Kindern über Sexualität?

Am besten von Anfang an. Sexualität umfasst mehr als Geschlechtsverkehr. Dazu gehören Themen rund um Körper, Beziehungen, Nähe, Identität und mehr. Deshalb ist Körperwissen ein wichtiger Aspekt von Aufklärung. Man kann dem Baby auf dem Wickeltisch erklären, was man tut: „Ich wische deinen Penis sauber.“ Wenn wir die richtigen Begriffe benutzen, wachsen Kinder selbstverständlich mit ihnen auf. Für sie gibt es keinen Unterschied. Fuß, Arm, Vulva, Penis: alles normale Körperteile.

Man sollte für Geschlechtsteile keine Spitznamen verwenden?

Wir nennen den Arm ja auch Arm und den Kopf Kopf. Es heißt nun mal Vulva und Penis. Viele von uns sind mit dem Begriff Scheide groß geworden. Die Scheide ist anatomisch gesehen aber innerhalb des Körpers, wir sehen sie von außen nicht – sondern die Vulva. Natürlich sind in der Familie Wohlfühlbegriffe wie „Pullermann“ oder „Mumu“ okay – solange das Kind die korrekten Begriffe kennt. Abstraktes wie etwa „Schmuckkästchen“ ist gefährlich, weil Kinder nicht verstanden werden, wenn sie Schmerzen haben oder Hilfe brauchen.

Sollen Eltern initiativ aufklären oder auf Fragen warten?

Jedes Kind ist unterschiedlich. Das eine interessiert sich früh für das Thema, das andere nicht. Häufig kommen die ersten Fragen, wenn ein Geschwisterchen auf dem Weg ist. Wenn das Kind selbst fragt, würde ich kurz vor der Grundschule das Gespräch suchen.

Warum vor der Grundschule?

Aufklärung steht spätestens in der vierten Klasse auf dem Lehrplan. Deshalb würde ich dem Kind die Grundkenntnisse vermitteln, damit es nicht unvorbereitet in den Unterricht geht. Es gibt Bücher zum Bauernhof, zu Dinosauriern und Baggern – und zu Sexualität. Da würde ich mir zwei, drei besorgen und vorlesen beziehungsweise zur Verfügung stellen.

Was können Eltern tun, die sich schwertun, über Sexualität zusprechen?

Sie sollten sich bewusst werden, wie in ihrer eigenen Familie mit Sexualität umgegangen wurde. Häufig ist sie auch heute noch ein Tabuthema. Wenn man selbst nicht aufgeklärt wurde, fällt es schwerer, mit den eigenen Kindern über Sex zu sprechen. Dabei ist es ein Thema wie jedes andere auch – und Aufklärung ist Prävention!

Was meinen Sie mit Prävention?

Wenn mein Kind weiß, dass es mit mir über alles sprechen kann, traut es sich, mir von Grenzverletzungen zu erzählen, beispielsweise bei einer Belästigung oder sexuellem Missbrauch. Kinder können Tatvorgänge besser beschreiben, wenn sie Begriffe kennen und wissen, wo ihre körperlichen Grenzen sind. In diesem Zusammenhang ist es eine große Hilfe, wenn Kinder ihre Gefühle klar benennen können. Außerdem sollten Kinder den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen kennen, denn Täterinnen und Täter machen aus ihrer Tat immer ein Geheimnis. Und solche Geheimnisse, die einen belasten und „unangenehme“ Gefühle machen, sind keine echten Geheimnisse.

Und wenn Erwachsene Angst haben, etwas Falsches zu sagen?

Man kann Kinder nicht zu viel aufklären oder gar sexualisieren. Kinder sind neugierig: Wenn sie alt genug sind, eine Frage zu formulieren, sind sie alt genug, eine Antwort zu bekommen. Erhalten sie keine, tippen sie die Fragen später vielleicht ins Handy. Dort bekommen sie keine kindgerechten Inhalte.

Wie kann ich Kindern erklären, wer sie im Intimbereich anfassen darf?

Ich vergleiche das mit einem Schatz, der beschützt wird und den man nicht allen zeigt. Ich sage: „Deine Vulva gehört dir ganz allein. Niemand darf sie anfassen, aber Mama, Papa, Oma, Opa und deine Erzieherin können beim Saubermachen helfen. Wenn du größer bist, kannst du das allein.“

Kinder interessieren sich für ihre Geschlechtsteile. Ist das schon Sexualität?

Auch das ist im weitesten Sinne Sexualität. Aber nicht so, wie wir Erwachsenen sie verstehen. Bei der kindlichen sexuellen Entwicklung geht es um Neugierde. Das heißt, Fragen zu stellen, den eigenen Körper kennenzulernen, sich selbst anzufassen. Es gibt Kinder, die sich stimulieren und sich dadurch schöne Gefühle machen. Das ist im geschützten Raum total okay! Im Kindergartenalter sind Körpererkundungs- und Doktorspiele normal. Diese dürfen unter Einhaltung von Regeln stattfinden. All das entsteht aus Neugierde, ganz spontan. Erwachsenensexualität hingegen ist geplant, zielgerichtet. Wir wissen, was wir tun. Es ist wichtig, das zu unterscheiden. Die kindliche sexuelle Entwicklung ist Teil der Entwicklung eines Kindes, sie gehört einfach dazu.

Peinliche Kinderfragen – was tun?

Hier gibt’s Antwortvorschläge, an denen Sie sich orientieren können.

Wie kommt ein Baby in den Bauch einer Frau?

Schlichte Erklärung: „Hierfür braucht es eine Samenzelle und eine Eizelle. Wenn sie aufeinandertreffen, verschmelzen sie. Daraus entsteht ein Baby.“ Häufig reicht das schon aus. Schwups, hat das Kind genug und hüpft wieder in die Spielecke. Bei solchen Unterhaltungen empfiehlt sich die „Häppchentaktik“: Schildern Sie nicht alles auf einmal, sondern warten Sie ab, wie viel das Kind wissen möchte. Hat es nicht genug, wird es weiterfragen. Dann kann man sagen, dass die Samenzellen aus dem Hoden und die Eizellen aus den Eierstöcken kommen. Und dass beide Zellen beim Sex zueinanderkommen.

Im Supermarkt möchte das Kind unbedingt wissen, wie man ein Baby macht …

„Das ist eine super Frage. Die merken wir uns für gleich, wenn wir zu Hause sind.“ So zeigt man Kindern, dass Sexualität einen Ort hat und einen geschützten Raum braucht. Es ist etwas, worüber wir gern sprechen können – aber nicht überall.

Wie kommen zwei Frauen und zwei Männer an ein Baby?

„Es gibt unterschiedliche Entstehungswege und auch verschiedene Arten von Familien. Einige Menschen machen Sex und werden schwanger, bei anderen klappt das so nicht. Dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Manchmal muss auch eine Ärztin oder ein Arzt helfen.“ Mareike Brede rät dazu, zu erklären, dass zwei Frauen beispielsweise einen befreundeten Mann fragen können, ob er ihnen Samenzellen gibt, weil sie sich ein Baby wünschen. Oder, dass manche Paare ein Kind adoptieren, weil sie selbst keine Babys bekommen können.

Das Kind kommt nach der Kita nach Hause und fragt: „Mama, was ist Sex?“

„Sex ist etwas Schönes, das machen nur Erwachsene. Sie liegen nackt eng beieinander und kuscheln. Die Vagina kann dann den Penis aufnehmen. Die Erwachsenen bewegen sich dabei und finden, dass sich das toll anfühlt.“ Wichtig zu vermitteln: Sie können jederzeit Stopp sagen und aufhören, wenn es sich nicht mehr gut anfühlt

In der Kita hat das Kind ein neues Wort aufgeschnappt: „Fotze“. Wie soll ich darauf reagieren?

Für Kinder sind solche Begriffe deshalb lustig und spannend, weil sie eine Reaktion darauf erhalten. Erwachsene sind dann peinlich berührt und fragen nach, woher das Kind dieses „schlimme Wort“ hat. Im ersten Schritt sollte man klären, ob das Kind überhaupt weiß, was das bedeutet. Dann könnte man erklären und bewerten: „Das ist ein Begriff für die Vulva. Es ist aber kein schönes Wort, deshalb möchte ich das hier bitte nicht hören.“

Das Kind spielt in der Öffentlichkeit oder bei Freunden an der Vulva oder am Penis herum.

Wir kommen mit fertig ausgeprägten Geschlechtsorganen auf die Welt. Kinder können sich stimulieren und sogar einen Orgasmus bekommen. Manche nutzen das, um sich herunterzufahren und zu entspannen. Es ist ein Tabuthema, viele Eltern sind völlig ratlos und überfordert, wenn Kinder masturbieren. Dabei kommen Kinder völlig schamlos und unbedarft auf die Welt. Sie wissen gar nicht, dass sie etwas Sexuelles machen. Es fühlt sich schön an, Punkt. Sie müssen also erst lernen, dass so etwas einen Ort braucht – und das können Sie ihnen sagen: „In deinem Zimmer ist es okay, wenn du dich anfasst. Aber hier an der Bushaltestelle oder wenn Besuch bei uns zu Hause ist, machen wir das nicht.“ Später, im Grundschulalter, bilden sich die natürlichen Schamgrenzen mehr und mehr aus.

Die Geschwister sitzen in der Badewanne und fassen sich gegenseitig im Intimbereich an

Man sollte Kinder gewähren lassen, denn Körpererkundungsspiele finden oft unter Geschwistern statt. Gelegenheiten bieten sich beim Baden oder Kuscheln eben an. Das ist okay, solange der Altersabstand nicht zu groß ist: Es sollte kein Machtgefälle entstehen. Kein Kind sollte dem anderen überlegen sein. Erklären Sie den Kindern aber, dass sie jederzeit Stopp sagen sollen, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Eine Regel muss zudem klar sein: Nichts wird in irgendwelche Körperöffnungen gesteckt. Es reicht, es so allgemein zu formulieren.

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