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Jenny Ohlrich hat in Sachen Nur-Mama-Phase schon einiges erlebt. Die 37-jährige Bremerin hat drei Kinder: Frida ist die Älteste und geht in die Grundschule, gefolgt von Jakob und Baby Louisa. Jennys derzeitige Lieblingsanekdote zum Thema „nur Mama“ geht so: „Im Frühjahr war die ganze Familie krank, nur ich nicht. Also waren alle Kinder bei mir, und mein Mann Tobi hat sich ­allein erholen können. Dann wurde – wie sollte es anders sein – ich krank. Und alle Kinder lagen bei mir, um auf mich aufzupassen.“ Ein weiteres Beispiel: Als Frida etwa zwei Jahre alt war, sollte nur Mama sie ins Bett bringen. Nur Mama konnte Bücher schließlich richtig vorlesen. Nur Mama!!!! AHHHHhh!

Warum sind Kinder auf ein Elternteil fixiert?

„Kinder versuchen, sich zurechtzufinden“, erklärt die Berliner Entwicklungspsychologin Professorin Christiane Ludwig-Körner. Um die Welt zu erkunden, brauchen sie einen sicheren Hafen: die Eltern. Die Mutter sei in der Regel die Hauptbezugsperson, aber auch der Vater könne das sein. „Es spielt eine Rolle, wer im Alltag da ist, Trost spendet und die Windel wechselt“, ergänzt Sozialpädagogin Dana Mundt. Sie arbeitet bei der Online­beratung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) in Fürth.

Das zeigt sich auch in Jennys Familie: Als Frida auf die Welt kam, war sie zu Hause und Tobi nur kurz in ­Elternzeit. Mama war klare Bezugsperson. Bei Jakob hat Jennys Mann nach sechs Monaten die Hauptbetreuung übernommen – und der Dreijährige ist eher ein Papa-Kind. In zugespitzten Phasen durfte nur Tobi ihn ins Bett bringen. Dann war Mama raus.

Neben Alltagsroutinen kann auch die Geburt eines neuen Geschwisterchens dazu führen, dass sich ältere Kinder verstärkt an Mama oder Papa klammern. Jenny Ohlrich erinnert sich, wie anhänglich ihre damals knapp Vierjährige war, als Jakob zur Welt kam: „Sie hat im Wochenbett sehr an mir geklebt, ich konnte kaum alleine auf die Toilette gehen.“ Natürlich hatten sie und ihr Mann Frida auf ihren Baby-Bruder vorbereitet, mit ihr gesprochen, Bücher gelesen, Ausstattung für Jakob gemeinsam besorgt. „Sie fand das Baby zwar toll, aber sie hat viel geweint in der Zeit“, erzählt die Mutter.

Jenny ist mit Frida ab und an allein spazieren gegangen oder mit ihr auf dem Roller in den Schrebergarten der Familie gefahren. Aber die Mama-­Fixierung blieb erst mal bestehen. Sozialpädagogin Dana Mundt wundert das nicht. Für die großen Geschwister sei das eine schwierige Situation. „Das Baby ist in der Regel immer bei Mama“, erklärt sie. Es wird gestillt, gewickelt, getröstet, in den Schlaf gewiegt – rund um die Uhr. „Für das ­ältere Kind fühlt sich das oft an, als sei die Mama belegt.“

Ähnlich schwierig wie die Geburt eines neuen Geschwisterkindes können auch Umzüge oder die Eingewöhnung in die Kita sein. „Die Kinder brauchen dann besonders viel Sicherheit und Vertrauen, um den nächsten Entwicklungsschritt nach außen gehen zu können“, so Mundt.

Was tun, um die Fixierungsphase zu meistern?

Wenn plötzlich nur noch Mama die Windel wechseln oder ausschließlich Papa die Gutenachtgeschichte vorlesen darf, ist das eine herausfordernde Situation für beide Elternteile. Sowohl für den, der gerade nicht gewünscht ist, als auch für den, an den sich geklammert wird. „Wichtig ist, dass ­beide sich bewusst machen: Es ist nur eine Phase und es wird sich wieder ändern“, betont ­Dana Mundt. Bis es aber so weit ist, sollten die Eltern über die Situation sprechen und Aufgaben neu verteilen. So haben es Jenny und Tobi Ohlrich auch gemacht: Während sie Frida ins Bett gebracht hat, machte ihr Mann in der Küche klar Schiff. Als Jakob nur den Papa wollte, konnte Jenny sich verstärkt um Frida kümmern.

Trotz aller Absprachen und Umverteilungen, solche Phasen sind schwierig. „Der Elternteil, an dem das Kind gerade sehr hängt, kann nicht einfach abspringen, wenn es zu viel wird“, weiß Dana Mundt. Dennoch sei es wichtig, der Partnerin oder dem Partner klar zu sagen, wenn man Unterstützung braucht, und gemeinsam zu überlegen, wie man Entlastung schaffen kann. Und: Wer sich bewusst macht, dass die Klammerei vorübergeht, bleibt leichter geduldig und kann die intensive Phase vielleicht sogar genießen.

Wie schafft man es, alle miteinzubeziehen?

Dem Elternteil, der gerade nicht die erste Geige spielt, rät Mundt: „Sich nicht gekränkt zurückziehen, sondern es als Phase akzeptieren und dem Kind gegenüber Verständnis zeigen.“ Damit der unerwünschte Papa oder die unerwünschte Mama weiterhin teilhaben kann, könnten sie zum Beispiel die ein oder andere Aufgabe beim Schlafengehen übernehmen: Der Papa liest vor, die Mama liegt daneben – und morgen wird getauscht. Und natürlich sollten Fami­lien in solchen Phasen gemeinsam ­etwas unternehmen. „Schöne Erlebnisse schaffen Verbindung“, so Mundt.

Und was, wenn der Elternteil, an dem das Kind sehr hängt, mal verreist? „Bei Kindergarten- oder Schulkindern sollten Eltern das ein wenig anbahnen“, empfiehlt Sozialpädagogin Mundt. Heißt: im Vorfeld drüber sprechen und den anderen Elternteil schon vorher bei Alltagsritualen mit ins Boot holen. „Ist Mama oder Papa dann weg, läuft es für das Kind wie gewohnt. Natürlich darf es auch ­etwas Besonderes geben, nach dem Abendessen noch mal Verstecken spielen zum Beispiel“, erklärt Mundt.Wenn doch die Tränen fließen, helfen Trost, Geduld und Ablenkung.

Ein Patentrezept, wie Mütter und Väter mit Nur-Mama- oder Nur-­Papa-Phasen umgehen, gibt es leider nicht. Oft hilft die Zeit selbst. Das wissen auch Jenny und Tobi Ohlrich. Frida sei immer noch Mama-Kind, aber die „Nur-­Mama-Phase“ ist überstanden. Jakob orientiert sich nach wie vor am Papa. Aber Mama darf ihn wieder trösten und ins Bett bringen. Nun sind die Eltern gespannt, was sich die einjährige Louisa noch einfallen lässt. Im Moment heißt es bei der Kleinen: „Nur Mama und ­Papa!“

Wo gibt’s Unterstützung?

Empfinden Eltern die Nur-Mama- oder Nur-Papa-Phase als sehr belastend, ist es völlig okay, sich Hilfe zu suchen. Unterstützung gibt es zum Beispiel in der Kinderarzt­praxis oder in einer psychosozialen Beratungsstelle. Auch online finden Sie viele Angebote, etwa die bke-Onlineberatung (eltern.bke-beratung.de), oder per Telefon, zum Beispiel über das Elterntelefon der Nummer gegen Kummer unter 0800 111 05 50, montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, dienstags und donnerstags bis 19 Uhr.


Quellen: