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Nein, das Kleider-Shopping war nicht der einzige Grund, nach New York zu fliegen. Aber ­natürlich hatte der Gedanke, in der Fashion-Metro­pole durch die Läden zu ­ziehen, ­einen gewissen Reiz. "Entsprechend voll waren die Einkaufs­taschen", erzählt Tanja D. aus dem Raum München über die Zeit nach dem Studium. "Damals dachte ich kaum über Nachhaltigkeit und die Produk­tion von Kleidung nach oder ob ich die Kleidungsstücke wirklich brauche."

Sie war mit ihrer heute achtjährigen Tochter schwanger, als sich das langsam änderte: Zunächst beschäftigte sie sich mit Inhaltsstoffen in der Kosmetik, dann mit ihrer Ernährung und schließlich auch mit dem Thema Kleidung. "Ein entscheidender Moment war dann das Erscheinen der Dokumentation ‚The True Cost‘, die die sozialen und ökologischen Pro­bleme der Kleidungs-produktion sehr drastisch zeigt", sagt Tanja D. und fügt hinzu: "Es ist ein Wahnsinn."

Kleider-Irrsinn

Die Mutter von zwei Kindern nutzt damit dieselben Worte wie Tristan Jorde. Er ist Umwelttechniker und leitet bei der Verbraucherzentrale Hamburg den Bereich Umwelt und Produktsicherheit. Jorde kennt alle Zahlen, die zum Beispiel das Bundes­umweltamt zusammenträgt. Etwa dass die meisten T-Shirts nicht weniger als 20 000 Kilometer hinter sich haben, bis sie bei uns auf dem Ladentisch liegen. Oder dass auf ein Kilo Kleidung bis zu ein Kilo Chemie kommt. Dass man ungefähr 200 Bade­wannen voll Wasser benötigt, um nur ein Kilo Baumwolle zu gewinnen – ein Grund, weshalb der Aralsee, einst der viertgrößte Binnensee der Erde, kaum mehr existiert.

"Allein vor dem Hintergrund des Ressourcenverbrauchs und ohne die sozialen Probleme anzusprechen, ist es irre, was bei uns passiert", meint Jorde. Zum Beispiel, dass gut 20 Prozent der gekauften Kleidungsstücke nie getragen werden – das sind etwa eine Milliarde pro Jahr. Oder, dass tonnenweise Kleidung im Müll landet, nur weil Kollektionen verspätet im Laden ankommen und gleich wieder ersetzt werden.

Das Problem sei, meint Jorde, dass der Kleidungskauf vielfach zum Hobby geworden und ein gedankenloser Massenkonsum entstanden sei. "Vor allem die großen Ketten heizen ihn mit Kollektionswechseln an, die teilweise alle zwei Wochen stattfinden."

"Fast Fashion" nennt sich dieser Trend, der sich durch Corona wohl nur kurzfristig verlangsamt haben dürfte. "Es ist zwar insgesamt weniger Kleidung verkauft worden", sagt Tristan Jorde. Das Geschäft werde sich aber erholen – und die Krise womöglich den Strukturwandel hin zum noch schnelleren und wendigeren Onlinehandel beschleunigen. Kritisch sieht der Experte diesen auch wegen der oft kostenlosen Rücksendung: "Sie verleitet dazu, mehr zu bestellen. Das verursacht nicht nur viel Verkehr, sondern auch wieder Müll: Die großen Händler schmeißen Retouren oft weg."

Länger tragen, reparieren und tauschen

Die einzige Lösung sieht Jorde ­darin, weniger und möglichst nachhaltige Kleidung zu kaufen und diese länger zu tragen, Kleidungsstücke zu tauschen und weiterzugeben, im Zweifel auch mal zu leihen und – ganz wichtig – zu reparieren. Die Zeit für diesen Appell scheint günstig: In einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey gaben drei Viertel der Befragten an, genau dies zukünftig tun zu wollen. Vor allem Jüngere zeigten großes Interesse an Secondhand.

Am Beispiel von Tanja D.s Familie lässt sich zeigen, wie gut dies funk­­tioniert. Aber auch, dass Secondhand allein nicht ausreicht. Zumindest wenn man auch Wert auf ökologisch und "fair" produzierte Kleidung legt, also hohe Umweltbelastungen und soziale Probleme wie Kinder­arbeit bei der konventionellen Herstellung nicht hinnehmen möchte.

Planen und kombinieren

Nachdem Tanja D. beschlossen hatte, auf mehr Nachhaltigkeit bei der Kleidung zu achten, machte sie in allen Kleiderschränken erst einmal Inventur – ein Tipp, der auch von Experten immer als Erstes genannt wird. Am besten zwei-, dreimal im Jahr alles durchgehen. "Das ist die Basis dafür, gezielt einkaufen oder tauschen und damit die Zahl der Kleidungsstücke reduzieren zu können", sagt die Mutter. Sie spricht vom "Kapsel-Kleiderschrank", einem Begriff aus der Minimalismus- Bewegung: Mit etwas Planung lassen sich aus ein paar Basics und wenigen weiteren Kleidungsstücken viele Outfits kombinieren.
Für die Kinderbekleidung nutzt die Mutter viele Quellen. Sie tauscht im Freundes- und Familienkreis, kauft in einem Kinder-Secondhand-Laden, auf Flohmärkten und auf Online-Plattformen. Vor Corona veranstaltete sie eine Kleidertauschparty mit. "Unsere Kinder tragen großteils Secondhand-­­Kleidung", sagt sie. Vor allem Unter­wäsche und Schuhe kaufe sie zwar neu, dafür aber möglichst öko und fair. Das Problem: "Secondhand gibt es wenig ökologisch und sozial nachhaltig produzierte Kinderkleidung."

Logisch: Wenn Öko-Kleidung auf dem Erstmarkt eine Nische ist (und das ist sie noch), wird sie es auf dem Gebrauchtmarkt erst recht sein. Für Erwachsene sehe es zwar tendenziell besser aus. "Da scheitert der Gebrauchtkauf dann aber öfter daran, dass mein Mann und ich an unsere Kleidung schon andere Ansprüche stellen als an die der Kinder, auch weil wir sie deutlich länger tragen wollen", sagt die Mutter. Hin und wieder kaufe sie jedoch auch für sich Secondhand – und lasse die Kleidung im Zweifel ändern.

Nachhaltige Firmen fördern

"Ganz ohne Neukauf geht es sowieso nicht", meint ­Tanja D. "Wenn man nichts kauft, entstehen auch keine neuen Marken, die es besser machen." In den vergangenen Jahren hätten sich ­viele kleinere Firmen gegründet, die nicht nur auf soziale und Umweltstandards achten, sondern mit innova­tiven ­Ideen zum Beispiel Verschnitt reduzieren. "Die müssen auch Geld verdienen." Die Mutter recherchiert vor allem im Internet, liest Blogs, aber auch Bücher, und schaut vor ­allem bei kleineren Shops, bei denen sie das Gefühl hat, besser nachvollziehen zu können, wie diese arbeiten: "Am Anfang ist das schon aufwendig, aber irgendwann weiß man, worauf zu achten ist."

Verbraucherschützer Tristan Jorde

Verbraucherschützer Tristan Jorde

Siegel beachten

Das betrifft zum Beispiel die Sache mit den Siegeln, auf die die Mutter ebenfalls achtet. "Es gibt unglaublich viele davon, und während sich die ­­einen auf Umweltaspekte beziehen, decken die anderen eher das Soziale ab." Orientierung geben ihr zum Beispiel das GOTS-Siegel (Global Organic Textile Standard) für Umweltstandards sowie das Siegel der "Fair Wear Foundation" fürs Soziale. Laut der Website www.siegelklarheit.de der Deutschen Gesellschaft für Interna­tionale Zusammenarbeit setzt das "IVN BEST"-Siegel des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN) hohe ökologische wie soziale Standards.

"Leider herrscht im Textilbereich ein Wildwuchs an Siegeln", sagt auch Verbraucherschützer Tristan Jorde. Zudem seien – anders als etwa bei ­­Lebensmitteln – die Begriffe "Bio" und "Öko" nicht geschützt, sodass im Prinzip jeder damit werben könne. Den "Grünen Knopf", den die Bundesregierung 2019 als globales Siegel für ökologisch wie sozial nachhaltige Kleidung einführte, sieht Jorde nicht nur positiv. "Dass es damit ein quasi-­staatliches Siegel gibt, ist gut", sagt er. Es schließe aber nicht die vorderen Prozesse wie den Baumwoll-Anbau ein, fordere nur den Mindest- statt ­eines jeweils existenzsichernden Lohns und unterstelle gute Sozialstandards, sobald in Europa gefertigt werde. "In Rumänien können die aber sogar schlechter sein als in Südostasien." Er hofft auf eine Weiterentwicklung.

Das hofft auch Tanja D. – für den ganzen Kleidungsbereich. "Cool wäre es", sagt sie, "wenn es überall Geschäfte gäbe, die wie Bibliotheken funktionieren: Reingehen, anprobieren, ausleihen und nach einer Zeit zurückbringen."

Gut bekleidet

Ausbeutung, Kinderarbeit, ein Riesenressourcenverbrauch, mehr CO₂-Ausstoß als die Schiff- und Luftfahrt zusammen. Wer das nicht mehr will, dem helfen diese Tipps:

  1. Weniger ist mehr: Kleidung reduzieren. Dafür Überblick behalten, nur kaufen, was nötig ist. Auf Kombi-Möglichkeiten und eine langlebige Qualität achten. 
  2. Aus zweiter Hand: Kleidung tauschen, in Secondhand-Läden, auf Flohmärkten sowie Online­portalen kaufen/verkaufen.
  3. Ökologisch: bei Neukauf auf Siegel wie GOTS, IVN BEST oder Fair Wear Foundation achten.
  4. Reparieren: klappt oft. Sonst: als Putzlappen nutzen.

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