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Seinen Nachwuchs zu stillen ist das Natürlichste auf der Welt. Und eine bessere Nahrung als Muttermilch gibt es für die Kleinen nicht. Also sollte es doch auch kein Problem sein, ein Kind in der Öffentlichkeit zu stillen, wenn es Hunger hat – dachte ich, bis ich selbst ein Baby hatte. Dann saß ich auf der Parkbank, gab meiner Tochter die Brust und erntete schiefe Blicke. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter mehr als 2000 Deutschen ergab kürzlich: 48 Prozent der Deutschen ist es unangenehm, Mütter beim Stillen in der Öffentlichkeit zu sehen. Vielleicht ist das ein Grund für den Umstand, dass sich laut der Studie 77 Prozent der Frauen selbst dabei unwohl fühlen würden, ihrem Kind an öffentlichen Orten die Brust zu geben. Nach öffentlichen Toiletten, Verkehrsmitteln und Geschäften wäre es immer noch 58 Prozent der Frauen unangenehm, in Restaurants oder Cafés zu stillen.

Und die, die es doch tun, bekommen dort häufig wenig Unterstützung. Immer wieder werden stillende Mütter aufgefordert, das Café zu verlassen, weil sich andere Gäste belästigt fühlen könnten. Als dies vor ein paar Jahren in Kopenhagen passierte, wandte sich die junge Mutter an den Rat für Gleichberechtigung. Doch er wies ihre Klage ab mit dem Argument, man müsse das Schamgefühl der anderen respektieren. Daraufhin organisierte die junge Mutter auf dem Rathausplatz ihrer Stadt ein "Still-in", ähnlich wie es eine andere Frau bereits 2011 im englischen Brighton getan hatte.

Aufregung über nackte Brüste?

Als Stillende fühlt man sich bei schiefen Blicken rasch beschämt und gekränkt. Sind wir zu verklemmt? Wohl kaum. Schließlich gehört der Anblick nackter Brüste zur Alltagserfahrung. In München zum Beispiel hängt in Bahnhöfen und an jeder zweiten Litfaßsäule Werbung für Erotikmessen. In Cafés liegen Zeitschriften mit halbnackten Damen auf dem Titel. Das regt niemanden auf. Warum dann die Empörung, wenn die Brust nicht zu werbe- oder voyeuristischen Zwecken enthüllt wird, sondern zum Stillen eines Babys im Restaurant oder Park?

"Das Problem ist unsere westliche Doppelmoral", sagt die Hamburger Hebamme Regine Gresens. "Weibliche Brüste gelten vor allem für Männer als Sexobjekt. Demzufolge wird auch Stillen als sexueller Akt angesehen." Ein Still-Busen als Sexspielzeug? Meinen Töchtern die Brust zu geben gehörte zu den intimsten Momenten in meinem Leben, aber nie war ich weiter entfernt von Sex. "Manche öffentlich Stillenden bekommen sogar zu hören, das sei eklig oder obszön", sagt Gresens.

Lokalbesitzer darf Stillen untersagen

Wer gestillt hat, weiß, dass man nie genau planen kann, wann ein Baby Hunger hat. Den bekommt es – egal, ob man zu Hause sitzt, spazieren geht oder gerade Windel-Nachschub besorgt. Und wenn die Winzlinge etwas gar nicht aushalten, dann ist es Hunger.

Gesetzlich sind Stillende unzureichend geschützt. Der Deutsche Hebammenverband fordert seit Jahren ein Gesetz zum Schutz des Stillens in der Öffentlichkeit wie in Schottland oder Australien. Eine entsprechende Online-Petition beim Deutschen Bundestag fand kaum Unterstützung. Deshalb gilt weiter: In Cafés, Museen oder Kaufhäusern darf der Besitzer sein Hausrecht ausüben und Stillen untersagen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ruft das Netzwerk Gesund ins Leben aktuell mit dem Hashtag #stillenwillkommen dazu auf, sich für selbstverständliches Stillen in der Öffentlichkeit stark zu machen.

Zum Stillen aufs Klo? Nicht einschüchtern lassen!

Häufig werden Mütter auch in die Wickelräume verwiesen. Aber zum Stillen aufs Klo gehen? Muss das sein? Schließlich geht es so diskret, dass man oft nicht erkennt, ob das Baby an der Brust trinkt oder im Arm schläft. Eine Vielzahl von Shirts, Blusen und Kleidern erlaubt das Stillen ganz unauffällig. Ich hatte immer ein dünnes Tuch dabei, das ich mir über die Schulter gelegt habe. Regine Gresens empfiehlt Müttern, sich im Restaurant in eine ruhige Ecke zu setzen. "Ich bin oft in die Bücherei gegangen oder habe die Umkleidekabinen in Kaufhäusern genutzt", erzählt sie. "Auch in vielen Apotheken gibt es ein Zimmer, das man nutzen darf." Auf keinen Fall aber, meint sie, sollte man sich einschüchtern lassen.

"Unsicheren Müttern empfehle ich, daheim vor dem Spiegel oder mit dem Partner das diskrete Stillen zu üben und zunächst an Orte zu gehen, wo Stillen normal ist, wie in Stillgruppen oder Rückbildungskursen." Und dann selbstbewusst in die Öffentlichkeit zu gehen. Denn wer seinem Baby die Brust gibt, braucht sich nicht zu verstecken.