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Meine ­Grundschullehrerin ist schuld. Da bin ich mir heute sicher. Sie hat jeglichen sportlichen Ehrgeiz meinerseits im Keim erstickt. Damals, in der zweiten Klasse: Da war ich Profi im Brennballspielen und zeigte ein durchaus erwähnenswertes Talent beim Bänkebalancieren im Abenteuerparcours der Grundschule Hamminkeln. Andere sahen das nicht so. Am Ende gab es für meine sportlichen Leistungen auf dem Zeugnis eine schlechte Drei und Tränen – weil Andrea, damals meine beste Freundin, eine Eins minus bekommen und dann auch noch bei den Bundesjugendspielen eine Siegerurkunde eingeheimst hatte. Ich hingegen tapezierte die Wand oberhalb meines Bettkastens mit Teilnehmerurkunden aus buntem Tonpapier. Da standen Dinge drauf wie: "Kopf hoch, Julia. Vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal." Oder: "Wenn du noch ein bisschen übst, kannst du bei den nächsten Spielen auch ein Abzeichen bekommen."

Ausdauer im Ausruhen

Nach Jahren der Frustration gab ich auf. Schwer enttäuscht. Von meiner Grundschullehrerin, vom Bundesjugendspiele-Komitee und von allen, die verdammt noch mal besser waren als ich. Ich brach mit dem Sport. Trotzig. Willensstark. Endgültig! Und diesmal bewies ich Ausdauer. Im Ausruhen. Gut 20 Jahre lang.

Dann kam Felix. Groß gewachsen, sportliche Figur und mein Traummann. "Du treibst sicher auch Sport", stellte er beim Anblick meiner langen Beine fest. "Hmm," nickte ich selig lächelnd. "Hab’s nur in letzter Zeit ein bisschen vernachlässigt." Was für eine Lüge! Ich erwähnte sicherheitshalber nicht, dass ich mich sogar zu Abizeiten noch aufs Klo verzogen und wahlweise Durchfall oder Blasenentzündung vorgetäuscht hatte, wenn die Ringe heruntergelassen wurden. Aber Hand aufs Herz. So schwer kann Sport nicht sein. Joggen zum Beispiel, das kann ja angeblich jeder. Joschka Fischer ist einen Marathon gelaufen, und Reiner Calmund ging zumindest einen halben. Da müssen 30 Minuten leichtes Jogging mit einem Body-Mass-Index im Normbereich doch machbar sein. Zeit, dazuzugehören!

Erster Versuch: Alleine klappt es nicht...

Das Outfit stand mir schon mal prima. Bei der Auswahl meiner Schuhe hatte ich mich nicht lumpen lassen. Denn das hatte ich mir ja schon angelesen, ist eigentlich das einzige große Geheimnis aller Sportler: die richtigen Laufschuhe. Perforierte Einlegesohle für maximale Atmungsaktivität, optimale Aufpralldämpfung, Fersenschutz und geformte Innen­sohle. Wow! Allein die Beschreibung auf dem Schuhkarton versetzte mich in optimistische Hochstimmung. Ein Selbstläufer quasi!

Ich startete an einem sonnigen Samstagvormittag. ­Voller Ehrgeiz. Die Isar entlang. In meinen Ohren dudelte was Dynamisches. Die ers­ten 30 Sekunden erfreute ich mich an Musik und Landschaft. Dann fing plötzlich alles an wehzutun. Ich keuchte. Stechender Schmerz im linken Unterbauch. "Weitermachen", befahl mein Hirn meinen Beinen. Ich lief. Und schwitzte. Und keuchte weiter. Nach Minute fünf zwickte es im großen Zeh. Nach sieben Minuten im ganzen Bein. Ich gab auf. Nach siebeneinhalb Minuten Dauerlauf. Wie beschämend!

Zweiter Versuch: Der eigene Freund als Coach

"Du brauchst einfach nur einen guten Coach", sagte Felix, während ich versuchte, meine Vitalfunktionen – schnaufend auf dem Boden liegend – wiederherzustellen. Damit meinte mein Liebs­ter sich selbst. Zwei Tage später joggte er mit pädagogisch wertvoller Miene und vielen guten Ratschlägen neben mir her. "Locke­rer", "Arme runter", hörte ich von der Seite. Und er sagte Dinge wie: "Laufen macht den Kopf frei", "Irgendwann kannst du nicht mehr ohne" und "Dann kommst du in den Flow, und der Körper schüttet Glückshormone aus".

Bei Minute sechseinhalb war ich von Glücksgefühlen so weit entfernt wie als Schülerin von meiner Siegerurkunde. Stattdessen entwickelte ich Aggressionen. Weil Felix aussah wie nach einer entspannenden ­Ayurveda-Massage und locker-flockig, breitgrinsend im Abstand von mindestens zehn Metern vor mir herlief. Ich dagegen: keine Puste mehr, roter Kopf, gefährlich hohe Pulsfrequenz. "Pause", keuchte ich mit letzter Kraft und ließ mich auf den Sockel vom Münchner Friedensengel sinken. "Nicht schlappmachen", raunte es von Weitem. Felix grinste oberlehrerhaft. Ich heulte. Und kündigte meinem Coach fristlos.

Dritter Versuch: Hilfe vom Profi

Meine Umwelt zeigte Mitleid. "Du brauchst professionelle Hilfe", rieten mir meine allesamt sportlichen Kolleginnen. Im Internet fand ich die Nummer von Karin Engert, Trainerin von den Frauenlaufkursen in München.

Karin Engert leitet die Frauenlaufkurse in München

Karin Engert leitet die Frauenlaufkurse in München

Meine letzte Hoffnung lächelte freundlich, als ich mich mit ihr das erste Mal im Englischen Garten traf. "30 Minuten in acht Wochen?", fragte Karin Engert. "Das kriegen wir hin! Ich habe genauso angefangen wie Sie." ­­Leidensgenossin? Schwer vorstellbar bei dieser durchtrainierten Figur. Ihr Rezept: Intervalltraining. Laufen und Gehen im Wechsel. Ausdauersport mit Pausen, quasi. "Die Laufeinheiten werden mit der Zeit länger, die Walking-Einheiten kürzer", erklärte mir Karin Engert. Das Wort Pause klingelte in meinen Ohren.

Unsere erste Einheit gefiel mir. Statt Verbesserungsvorschläge bekam ich diesmal Lob. "Das machen Sie ganz toll", sagte Karin Engert mit herzlicher Stimme.

Und das tat gut. Ich liebte meine neue Trainerin! Ihre einzige Ansage: langsam laufen. "So, dass man sich noch unterhalten kann?", fragte ich und versuchte streberhaft mit dem mir angelesenen Theoriewissen zu glänzen. "Stimmt, aber die Regel haben Männer erfunden. Wir Frauen quatschen so viel, dass wir aufpassen müssen dabei nicht aus der Puste zu kommen", sagte sie. Die nächsten Male lief ich allein. Dreimal in der Woche. Nach einem vorgegebenen Laufplan meiner Trainerin. Meine ersten Einheiten: ein bis zwei Minuten Dauerlauf, dazwischen eine Minute Walken – ein Pensum, gegen das mein Körper nicht rebellierte. Noch nicht.

Rückschläge gehören dazu

Bei meiner ersten Fünf-Minu­ten-Laufeinheit am Stück war ich kurz davor, meine Zauberlaufschuhe mit perforierter Einlegesohle in der Isar zu versenken. Mich plagten Seitenstechen, ­Luftprobleme, schlechte Laune. "Ist ganz normal", war Karin Engerts Antwort. "Beim Laufen gibt es gute und schlechte Tage. Geht mir genauso."

Nicht aufgeben also. Tapfer bleiben. Weitermachen. Und ich staunte, wie gut das ging. Die nächste Einheit wurde besser. Allmählich fielen mir zumindest die ersten Minuten leichter. Die letzten waren manchmal ein Kampf. Ich hielt trotzdem durch. Auch wenn’s zwischendurch hart war. Ausreden gab’s schließlich genug: Sportzeug in der Wäsche, Sport-BH nicht auffindbar, zu viel Sonne, zu viel Regen, Erkältung im Anmarsch. Unsportlichkeit macht erfinderisch. Aber mein Durchhaltewillen lohnte sich. Irgendwann war sie da, die 30-Minuten-Einheit. Ich lief los.

Ich atmete ein und aus. Nur ruhig bleiben! Bei Minute 15 wurde ich schwach. Noch mal so lange? Uff! Egal. Tempo raus und weiter. "Dieser Weg wird kein leichter sein", dudelte Xavier Naidoo in meinen Ohren bei Minute 25. Oh jaaa! Trotzdem nicht aufgeben. Fünf Minuten noch. Von Flow keine Spur. 30 Sekunden. Dann das Smartphone-Klingeln. Ende. Endlich.

Noch schwer atmend fiel ich zu Hause aufs Bett. Augen zu, Luft holen. Was war das denn da über meinem Bettkasten? Ich entzifferte: "Siegerurkunde für Julia". "Selbstgebastelt", sagte Felix, der auf einmal in der Tür stand und lächelte. Und in diesem Moment konnte ich sie zum ersten Mal spüren: die Glückshormone.

Hier finden Sie Julia Schulters Tipps und den Trainingsplan von Karin Engert.