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"Wir planen ein Kind. Hätten Sie in etwa neun Monaten Zeit, uns zu betreuen?" Hebamme Maike Lyding aus Taunusstein muss lachen, als sie von diesem Anruf erzählt. Es ist ein etwas verzweifeltes Lachen. "Das ist doch verrückt", sagt sie. "Als ich vor 18 Jahren als Hebamme angefangen habe, hatte jede Frau, die wollte, eine Hebamme fürs Wochenbett, auch wenn sie erst nach der Geburt angefragt hat. Wenn mich Frauen heute in der zwölften Schwangerschaftswoche anrufen, ist das schon zu spät."

Hebamme gesucht – und nicht gefunden. Auf der Landkarte der Unterversorgung des Hebammenverbandes kann man mitverfolgen, wie viele Frauen erfolglos eine Hebamme suchen. Von den zigtausenden Einträgen bezieht sich der Großteil auf die Wochenbettbetreuung. "Die aufsuchende Betreuung ist das Herzstück der Heb­ammenarbeit, doch sie steht stark unter Druck", sagt Ursula Jahn-Zöh­rens, Hebamme in Bad Wildbad und Vorstandsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes. Betroffen sind vor allem Großstädte, aber auch Schwangere in ländlichen Regionen und Kleinstädten brauchen oft Ausdauer und Glück, um eine Hebamme zu finden. "Viele Schwangere sind nicht mehr guter Hoffnung, sondern voller Sorge, ohne Hebammenunterstützung zu sein", sagt Katharina Desery, Sprecherin der Bundeseltern­initiative Mother Hood e. V. aus Bonn.

"Vergütung und Aufwand in keinem Verhältnis"

In den vergangenen Jahren haben viele freiberufliche Hebammen aufgrund der steigenden Versicherungskosten (von 179 Euro im Jahr 1991 auf 7639 Euro in 2019) die Geburtshilfe aufgegeben. Für Hebammen, die nur Vor- und Nach­sorge anbieten, stiegen die Kosten nicht so dramatisch. "Die Arbeits- und Rahmenbedingungen haben sich aber verschlechtert. Viele Hebammen gaben ihren Beruf auf oder haben ihre Stunden stark reduziert", sagt Jahn-Zöhrens. "Wir müssen heute viele administrative Aufgaben und Dokumentationen für das Qualitätsmanagement erledigen, was viel Zeit und Geld kostet. Auch deshalb haben viele ihre Wochenbettbetreuung eingestellt", erklärt Lyding. Für einen Wochenbettbesuch bekommt eine Hebamme pauschal 38 Euro von der Kasse, egal ob der 15 Minuten oder zwei Stunden dauert. "Wenn ich einer Frau zusage, muss ich ihr 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche zur Seite stehen können", sagt Ursula Jahn-Zöhrens. "Vergütung und Aufwand stehen in keinem guten Verhältnis." Und Maike Lyding berichtet: "Viele Hebammen haben früher ein bis zwei Nachsorgen im Monat gemacht, neben ihrer Arbeit in der Klinik. Das lohnt sich nicht mehr. Manche zahlen fast drauf."

Julia A. aus Berlin, Mutter von Jimmy (22 Monate)

"Der Austausch mit anderen Müttern war super"
"Ich bin mitten in der Schwangerschaft umgezogen. Als ich im fünften Monat angefangen habe, eine Hebamme zu suchen, blieb das erfolglos. Bei meiner Frauenärztin habe ich einen Aushang für Frauen ohne Nachsorgehebamme gesehen: eine Sprechstunde in einer Hebammenpraxis. Da bin ich zum ersten Mal hingefahren, als mein Kleiner eine Woche alt war. Natürlich wäre es entspannter gewesen, ich hätte mit ihm zu Hause bleiben können anstatt 20 Minuten mit dem Auto zu fahren, aber ich war froh, dass ich eine ­­Hebamme gefunden hatte. Sie hat mir geholfen, als ich einen Milch­stau hatte. Zehn Wochen lang bin ich einmal die Woche zu der Sprechstunde gegangen. Danach habe ich einen Rückbildungskurs gemacht und konnte der Hebamme dort meine Fragen stellen. Den Austausch mit den anderen Müttern fand ich super. Da waren auch Frauen, die schon zwei oder drei Kinder haben und die viel von ihren Erfahrungen weitergegeben haben.
In der Schwangerschaft war ich auch bei einem Stillvorbereitungsseminar und fand es sehr hilfreich als Vorbereitung."

Offene Sprechstunden

"Wir stecken in einem Dilemma: Wir wollen allen helfen, haben aber begrenzte Kapazitäten", meint Maike Lyding. Sie hat für sich eine Lösung gefunden, indem sie eine Sprechstunde anbietet. Der Vorteil: So kann sie mehr Frauen beraten. Einmal pro Woche, bei Bedarf auch häufiger, berät sie in den Apotheken von Moritz Stöber in Taunusstein. Der Apotheker hat extra ein Zimmer für Lyding eingerichtet, so dass sie die Babys untersuchen und wiegen und mit den Müttern in einem geschützten Rahmen sprechen kann. "Wir ersetzen nicht den Hausbesuch, aber mit diesem Service können wir vielen helfen", sagt Stöber, selbst Vater von drei kleinen Kindern.

Die Frauen müssen für diese Beratung nicht bezahlen. Seit gut einem Jahr können Hebammen ambulante Beratung auch außerhalb der Wohnung der Familien abrechnen. Hebammensprechstunden gibt es daher immer häufiger in Hebammen­praxen, Kliniken und Apotheken. "Ich empfehle sie Schwangeren oder Frauen nach dem Wochenbett. In den ersten Wochen ist es wichtig, dass die Mutter Ruhe hat", rät Jahn-Zöhrens. Bei akuten Pro­blemen sollte man sich an den Arzt wenden.

Online-Beratung

Auch digital finden Schwangere und Mütter Hilfe. So gibt es bereits ausschließliche Online-Geburtsvorbereitungskurse sowie Plattformen, über die man Hebammen um Rat fragen kann. Online-Kurse müssen die Frauen in der Regel selbst zahlen. Einen Online-Beratungsservice durch Hebammen bieten einige Kliniken und Kassen ihren Versicherten mittlerweile kostenlos an, andernfalls zahlen die Frauen einen Ein­malbetrag oder können ein Monats­paket kaufen. "Anfangs waren wir überrascht, wie gut man per Videochat oder Telefon helfen kann, selbst bei Themen wie Stillen", sagt Nicole Höhmann, Leiterin des Hebammenteams eines Beratungsservices. Sie sieht auch die Grenzen: "Alles, wo man abtasten oder untersuchen muss, kann man online nicht einschätzen. Dann wird an einen Arzt oder Hebamme vor Ort verwiesen."

Jahn-Zöhrens wertet die Angebote durchaus positiv, sagt aber klar: "Sie sind kein Ersatz und können nur ein Zusatzangebot sein. Frauen finden eine Antwort auf ihre Frage, aber die Beratung hat eine andere Qualität als die aufsuchende Betreuung. Nur da kann ich individuell auf die Frau eingehen, weil ich ihre persönliche Situation kenne." Wichtig sei zu berücksichtigen, dass Profis den Service anbieten und auf Datenschutz achten. "Wir nutzen ein spezielles Tool, das den deutschen Standards entspricht und nur deutsche Server. WhatsApp käme nie infrage, da die Frauen ja Gesundheitsdaten preisgeben", erklärt Höhmann.

Carina H. aus München, Mutter von Louis (5 Monate)

"Yoga und Meditation haben mir geholfen"
"Ich wollte abwarten, bis die ersten drei Schwangerschafts­monate vorbei waren und dann mit der Suche anfangen. Das war zu spät! Ich bekam nur Absagen. Da habe ich mich alleine auf die Geburt vorbereitet, mit zwei guten Büchern und viel Yoga und Meditation. Ich bin Sängerin und mache täglich Atem- und Gesangsübungen. All das half mir, meinen Körper und meine Bedürfnisse wahrzunehmen und achtsam mit mir umzugehen. Gegen Ende der Schwangerschaft wurde ich unruhig und fühlte mich sehr un­sicher beim Thema Stillen. Meine Mama lebt zwar in der Nähe und konnte mir bei vielen Fragen in der Schwangerschaft und rund ums Baby helfen, aber sie hatte keine Erfahrung mit dem Stillen. Kurz vor der Geburt bin ich daher zu einem offenen Stilltreff gegangen. Die Mütter dort waren total lieb, haben mir Tipps gegeben und eine gab mir die Nummer ihrer Hebamme. Die hat mich über drei Ecken weitervermittelt. Ich bin froh, dass das so kurz vor der Geburt doch noch geklappt hat. Das mit dem Wickeln und Baden kriegt man ohne Hebamme hin, aber ich wäre mit dem Wiegen und Beurteilen des Gewichts überfordert gewesen. Meine Hebamme konnte mir viele Sorgen nehmen."

Kurse, Seminare, Treffen

Bei allgemeinen Fragen zu Schwangerschaft, Geburt oder Leben mit Baby sind Kurse eine Möglichkeit. "In Säuglingspflege- oder Stillvorbereitungskursen erfährt man viel für das Wochenbett, und man hat eine Ansprechpartnerin für seine Fragen", rät Jahn-Zöhrens. Katharina Desery empfiehlt auch Still-Treffs: "Dort finden Mütter praktische Unterstützung beim oft schwierigen Stillstart." Maike Lyding nennt auch Yoga-Kurse als weitere Möglichkeit zur Geburtsvorbereitung sowie Rückbildung: "Wehwehchen werden besprochen. Die Entspannung, Körper­­wahr­nehmung und auch die Atemtech­niken merkt man der Frau unter der Geburt an. Es hilft ihr, mit den Wehen besser zurechtzukommen."   

Notfall-Hotline

In einigen Städten gibt es Hotlines für Schwangere, die keine Hebamme gefunden haben. Die Idee ist simpel: Suchende Frauen werden an Hebammen vermittelt, die noch freie Plätze haben. In Köln beispielsweise arbeitet das Hebammennetzwerk seit gut 20 Jahren nach diesem Prinzip. "In vielen Fällen können wir den Frauen helfen", sagt Ulrike ­Zborowska vom Netzwerk. "Aber unsere Kapazitäten sind begrenzt, da wir ein gemeinnütziger Verein sind und der Service kostenfrei ist." Das Kölner Netzwerk erhält seit Kurzem Fördergelder. "Damit können wir hoffentlich mehr Frauen helfen, denn auch uns tut es weh, einer Frau absagen zu müssen", so Zborowska.

In München etwa wurde ein entsprechender Vermittlungsservice als Hebammen-Hotline von der Stadt betrieben. Jedoch: Das Projekt war befristet. Der Hebammenverband fordert mehr politische Unterstützung und einen bundesweiten Terminservice wie bei Ärzten. Im neuen Terminservice- und Versorgungs­gesetz ist dies aber nicht geregelt. Die Kassen müssen allerdings Listen über Hebammen führen. Ein Anruf dort ist also künftig eine weitere Option bei der Hebammensuche.