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Zusammenfassung:

  • Als Rhesusfaktor werden bestimmte Eiweiße bezeichnet, die auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzen. Fehlt den roten Blutkörperchen dieses Merkmal, gilt das Blut als Rhesus-negativ.
  • Ist die Mutter Rhesus-negativ und das Baby Rhesus-positiv, kann es passieren, dass der Körper der Mutter Abwehrstoffe gegen den Rhesusfaktor des Babys bildet.
  • Meist wirkt sich das erst ab der zweiten Schwangerschaft aus, dann droht beim Ungeborenen eine Blutarmut, die schwere Schäden oder eine Totgeburt zur Folge haben kann.
  • Um dem vorzubeugen wird heute bei Rhesus-negativen Schwangeren mit negativem Antikörper-Suchtest und unbekanntem Rhesus-Status des Babys oder Rhesus-positivem Kind die sogenannte Anti-D-Prophylaxe durchgeführt.

Mit unserer Blutgruppe setzen wir uns meist erst auseinander, wenn wir sie brauchen. Bei einer Operation zum Beispiel oder beim Blutspenden. Ebenso ist es mit dem dazugehörigen Rhesusfaktor. Dem begegnen viele Frauen während ihrer Schwangerschaft. Nämlich dann, wenn ihre Blutgruppe den Zusatz „Rhesusfaktor negativ“ trägt, und die Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Kind vom Vater den Rhesusfaktor „positiv“ mitbekommen hat.

Problematisch wird dies, weil sich das Immunsystem der Rhesus-negativen Schwangeren in Stellung bringt, wenn sie mit Rhesus-positivem Blut in Kontakt kommt. Es bildet sogenannte Antikörper gegen den vermeintlichen Eindringling. „Die Wahrscheinlichkeit, dass kindliche Zellen ins Blut der Mutter geraten und dort die Bildung von Antikörpern auslösen, ist vor allem bei der Geburt gegeben“, sagt Professor Dr. Tobias Legler, Transfusionsmediziner an der Universitätsmedizin Göttingen.

Dieser Austausch von mütterlichem und kindlichem Blut muss nicht, kann aber passieren. Zum Beispiel bei einer FehlgeburtFruchtwasseruntersuchung oder vaginalen Blutung unter der Geburt. Die Eiweißstrukturen des kindlichen Blutes sind der mütterlichen Abwehr fremd und sie reagiert darauf wie auf einen gefährlichen Krankheitserreger. Weil aber die Bildung von Antikörpern Zeit braucht, ist die erste Schwangerschaft selten gefährdet. Anders ist dies, wenn die Mutter erneut ein Rhesus-positives Kind erwartet. Dann können bereits vorhandene Antikörper die kindlichen Blutzellen angreifen und zerstören. Für das Kind kann das dramatisch sein, es kann sogar versterben.

Rhesus-Faktor: Neuer Bluttest erspart Spritze

Um dies in jedem Fall zu verhindern, haben bislang alle Rhesus-negativen Mütter in Deutschland in jeder Schwangerschaft eine Prophylaxe in Form einer Spritze bekommen – unabhängig vom tatsächlichen Rhesusfaktor des Ungeborenen. Das hat sich geändert. Nun ist es möglich, den Rhesusfaktor des Kindes bereits während der Schwangerschaftsvorsorge zu bestimmen. Seit 1. Juli 2021 ist dieser Pränataltest eine Leistung der gesetz­lichen Krankenkassen und wird standardmäßig im Rahmen der Mutterschaftsversorgung angeboten.

Eine Ausnahme bilden Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften, hier hat sich der Test noch nicht als ausreichend zuverlässig erwiesen. Sie erhalten weiterhin die Prophylaxe ohne Test. Das gilt auch für Frauen, die sich gegen den Pränataltest entscheiden. Das Angebot ist freiwillig. Die neue Regelung spart Medikamente und vermeidet, dass Frauen die Prophylaxe unnötigerweise bekommen. Denn bislang erhielten die Spritze alle Rhesus-negativen Schwangeren zumindest einmal während der Schwangerschaft und noch einmal, wenn nach der Geburt festgestellt wurde, dass das Kind Rhesus-positiv ist. Selbst wenn von diesen jährlich etwa 130 000 Schwangeren 35 bis 40 Prozent ein Rhesus-negatives ­Baby erwarteten und die Prophylaxe eigentlich gar nicht brauchten.

Kein Kind bleibt unentdeckt

Untersucht wird bei dem neuen Test DNA, ­also Erbinformationen des Kindes, die in den mütterlichen Kreislauf gelangt sind; der Mutter wird dafür ab der zwölften Schwangerschaftswoche etwas Blut abgenommen. „Das Verfahren ist sehr zuverlässig“, sagt Tobias Legler, der ­Studien dazu durchgeführt hat. Die Fehlerrate ist gering. Bei 1000 Rhesus-positiven Kindern schlägt der Test einmal irrtümlich nicht an. Auch falsch-positive Ergebnisse sind selten. Da weiterhin zusätzlich auch nach der Geburt der Rhesus-Faktor aus dem Nabelschnurblut bestimmt wird, bleibt kaum ein Rhesus-positives Kind unentdeckt. „Durch die Kombination beider Tests wird es vielleicht noch einen Fall pro Jahr geben, bei dem es überhaupt noch zu einer Antikörperbildung kommen kann“, vermutet der Mediziner. Schwangere Frauen, bei denen der Test aufgrund einer speziellen Rhesus-Genvariante gar kein Ergebnis liefert, erhalten weiterhin vorsorglich die Prophylaxe.

Dies trifft laut Tobias Legler bei 0,5 bis zwei Prozent der Fälle zu. Genauso ist es auch, wenn der Test ergibt, dass das Kind tatsächlich Rhesus-positiv ist. Auch dann benötigt die Mutter die Prophy­laxe-Spritze. Dazu sei Folgendes erklärt: „Rhesus-positiv“ (Rh+) bedeutet, dass auf der Hülle der roten Blutkörperchen das sogenannte Rhesus-Anti­gen vorhanden ist. Bei Rhesus-negativen Menschen hingegen fehlt es (Rh-). Letzteres gilt in Mittel­europa für etwa 17 Prozent der Bevölkerung, anderswo, etwa den USA oder Ostasien, sind es deutlich weniger. Der Rhesusfaktor wird dominant vererbt. Zeugen eine Rhesus-negative Mutter und ein Rhesus-positiver Vater ein Kind, kann dies das dominante Merkmal des Vaters erben. Und dieses wiederum ruft die mütterliche Abwehr auf den Plan.

Schon seit Mitte der 1960er-Jahre gibt es daher die Rhesus-Prophylaxe. Das Mittel wird aus Spenderblut gewonnen und enthält Antikörper gegen den Rhesusfaktor, sogenannte Immun­globuline. Sie machen die vermeint­lichen Angreifer aus dem kindlichen Blut unschädlich. Und zwar bevor das Immunsystem der Mutter reagieren kann, weil es zu einem Austausch zwischen kindlichem und mütter­lichem Blut gekommen ist. „Ist das Ungebo­rene einer Rhesus-negativen Mutter Rhesus-positiv, können die Immunglobuline gezielt verhindern, dass sich Antikörper bilden“, sagt Professor Dr. Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Berliner Charité.

Rhesusfaktor: Schutz für das Ungeborene

Nur in etwa einem von 1000 Fällen kommt es durch die Prophylaxe zu leichten, unerwünschten Reaktionen bei der Mutter, wie vorübergehende Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttel­frost. Für das Ungeborene hat das keine negativen Folgen. Schwere Nebenwirkungen dagegen sind noch seltener. Daher sagt der Göttinger Transfusionsmediziner Tobias Legler über die Prophylaxe-Spritze während der Schwangerschaft: „Es handelt sich um ein sehr sicheres Medikament.“ Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weisen derzeit jedes Jahr etwa 300 Frauen schon zu Beginn der Schwangerschaft Antikörper auf, schätzt der Experte: „Wir wissen nicht genau, wo diese Fälle herkommen. Es kann sein, dass die erste Schwangerschaft unbemerkt verlaufen ist, es eine Fehlgeburt gab und keine Prophylaxe gegeben wurde.“ Oder die ­erste Schwangerschaft fand in einem Land statt, in dem die Rhesus-negative Mutter nicht entsprechend versorgt wurde. In diesen Fällen nützt die Prophylaxe-Spritze nichts mehr. Trotzdem lässt sich das Ungebo­rene durchaus schützen. So wird zum Beispiel engmaschig überwacht, ob das Baby in eine Blutarmut rutscht, weil die mütterlichen Antikörper seine roten Blutkörperchen zerstören. Notfalls wird dann bereits im Bauch der Mutter oder nach der Geburt beim Kind eine Bluttransfusion durchgeführt. Transfusionsmediziner Tobias Legler betont: „Anders als vor 30 Jahren gibt es heute eine gute Chance, dass die Schwangerschaft trotzdem erfolgreich verläuft und das Kind keinen Schaden nimmt.“