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Glaubt man den Diagnosezahlen, wird es immer riskanter, ein Kind zu bekommen. Lange Jahre ist der Anteil sogenannter Risikoschwangerschaften stetig gewachsen: 2010 waren es laut Bundesministerium für Gesundheit fast 75 Prozent. Aktuellere Zahlen gibt es nicht – Dreiviertel aller Schwangeren geraten damit unter besondere medizinische Beobachtung und Betreuung. Das tatsächliche Risiko von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen in Deutschland befindet sich hingegen auf historischem Tiefstand, wie OECD-Gesundheitsdaten zeigen. Bilden diese etwa das Resultat der besonderen Umsicht ab? Oder führt die Abnahme realer Gefahren zur unverhältnismäßigen Wahrnehmung theoretischer Risiken?

Weniger Komplikationen trotz höherer Risiken

"Wir haben trotz steigender Risikofaktoren weniger Komplikationen, was auf die enormen Fortschritte der Geburtsmedizin zurückzuführen ist", sagt Professor Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena. Die Häufigkeit der Diagnose Risikoschwangerschaft hält der Gynäkologe demnach nicht für überzogen, die Risiken für real. "Über die Hälfte der Gebärenden ist heute über 30 Jahre", nennt der Experte den Hintergrund der besonderen Vorsicht, "ab diesem Alter drohen in steigendem Maße Komplikationen wie Frühgeburten oder Schwangerschaftsdiabetes." Gleichwohl möchte Schleußner nicht Dreiviertel aller werdenden Mütter krank stempeln: "Die Diagnose soll vielmehr eine höhere Achtsamkeit bei Arzt und Patientin bewirken."

Wie ist eine Risikoschwangerschaft definiert?

Ein Expertengremium des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat typische Schwangerschafts- und Geburtsrisiken zusammengefasst, die im Mutterpass unter den Kategorien A und B dokumentiert werden, wenn sie vorliegen. In die Gruppe A fallen Vorerkrankungen wie Diabetes oder starkes Übergewicht. Auch genetische Belastungen, also bestimmte Erkrankungen in der Blutsverwandtschaft, werden dort vermerkt, genau wie altersabhängige Risiken. Die werden grundsätzlich für Frauen über 35 festgestellt, ebenso wie bei minderjährigen Schwangeren.

Ein höheres Gefährdungspotential weisen auch Frauen auf, die bereits Fehlgeburten oder komplizierte Schwangerschaften durchgemacht haben. Die Kategorie B erfasst Probleme, die sich erst während der Schwangerschaft bemerkbar machen. Blutungen, Wassereinlagerungen oder Plazentastörungen fallen darunter. Auch Mehrlingsschwangerschaften gelten per se als riskant. Insgesamt hat der G-BA 52 Kriterien aufgeführt. Liegt eines davon vor, kann der Arzt eine Risikoschwangerschaft diagnostizieren.

Welche Risiken bestehen bei diesen Schwangerschaften?

Die medizinischen Komplikationen, die für Mutter und Kind aus den diversen Umständen entstehen können, sind naturgemäß vielfältig. Es gibt aber Hauptprobleme, wie die Frühgeburtlichkeit. Vermutlich ist der weibliche Körper evolutionär bedingt darauf angelegt, eine Schwangerschaft zu beenden, wenn ihm Gefahr droht. Verschiedene Erkrankungen während der Schwangerschaft, zum Beispiel Infektionen, aber auch chronische Probleme wie Bluthochdruck und die sich daraus manchmal entwickelnde Präeklampsie, können eine Frühgeburt auslösen.

Je unreifer ein Kind zur Welt kommt, desto schwerere Folgeschäden drohen ihm. Extreme Frühchen, die weniger als 1000 Gramm bei der Geburt wiegen, überleben nur mit Hilfe der Intensivmedizin und erleiden häufig bleibende Schäden. Bei höherem Alter der Mutter steigt das Frühgeburtsrisiko ebenfalls, ebenso wie die Gefahr mancher Fehlbildungen beim Kind, die ihrerseits wieder Schwangerschaft und Geburt komplizieren können.

Ein Problem besteht auch, wenn das Kind gewissermaßen zu gut gedeiht. Das ist bei Schwangerschaftsdiabetes der Mutter häufig der Fall, da der Fetus zu viel Zucker über die Plazenta erhält. "Werden die Kinder sehr groß, erschwert das die Geburt, was wieder die Komplikationsrate erhöht", erklärt Ekkehard Schleußner.

Welche Auswirkungen hat die Diagnose?

Die Feststellung einer Risikoschwangerschaft dient dazu, die Schwangere und ihren Arzt darauf zu sensibilisieren, Untersuchungstermine besonders gewissenhaft wahrzunehmen und relevante Befunde aufmerksam zu kontrollieren. Mögliche Probleme sollen frühzeitig erkannt und dadurch tatsächliche Komplikationen verhindert werden.

Welche Zusatzuntersuchungen und -maßnahmen nötig werden, entscheidet der Arzt im jeweiligen Fall. Das Behandlungsbudget, das die Krankenkassen vergüten, ändert sich daher bei einer Risikoschwangerschaft auch nicht automatisch. Erst konkret begründete Extrauntersuchungen kann der Arzt zusätzlich abrechnen. Ekkehard Schleußner verneint daher, dass für Ärzte ein wirtschaftlicher Anreiz bestünde, eine Risikoschwangerschaft festzustellen. "Ob neben der wichtigen Vorbeugung von Komplikationen Risikoschwangerschaften auch aus wirtschaftlichen Gründen klassifiziert werden, können die Krankenkassen nicht sagen", so Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband.

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