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Käme unser Baby jetzt auf die Welt, müssten wir es wahrscheinlich nackt aus dem Krankenhaus mit nach Hause nehmen. Tatsache ist: Wir haben nichts. Keine Strampler, keine Bodys, keine Handtücher, keine Söckchen. Und ja: Sieben Wochen vor dem Entbindungstermin macht mich das etwas nervös.

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Das Buch zur Kolumne

Geschichten über Schwangerschaft und Babyzeit – mit Witz und Charme erzählt von einer jungen Mutter zum Artikel

Erstausstattungs-Albtraum

Nicht, dass mich niemand vorgewarnt hätte: Sogar mein ­E-Mail-Schwangerschafts-Newsletter erinnerte mich pünktlich Anfang Woche 26 daran, dass es nun an der Zeit sei, sich nach Babyzimmer-­Möbeln umzuschauen, den Kinderwagen vorzubestellen und die neue Babymatratze auszulüften. Ich – damals offen­sichtlich unter dem Eindruck realitätsverzerrender Hormone stehend – sah die Sache völlig entspannt und hörte lieber auf den Rat meiner 90-jährigen Oma. "Niet to völl in vorrut koopen", gab sie mir auf Plattdeutsch mit auf den Weg. Ja nicht zu viel zu früh kaufen. Diese niederrheinische Weisheit kam mir besonders gelegen. Denn es ist ja so: Babysachen kaufen bedeutet Kataloge wälzen, Einrichtungsmärkte besuchen und Prüfnormen googeln – um dann aus Abertausenden Produkten das allerperfek­teste Erstausstattungs­-Equipment auszuwählen. Für eine werdende Mutter, die wahrlich nicht mit Entscheidungsfreudigkeit gesegnet ist, ein echter Albtraum!

Entscheidungen treffen? Nicht mein Fall!

Schon als Neunjährige hätte mich die schwierige und langwierige Wahl zwischen einer rot glitzernden losen Zahnspange und einem himmelblauen Exemplar mit Sternchen beinahe um den kieferorthopädischen Behandlungserfolg meiner hinteren drei Backenzähne gebracht. Und nicht zu vergessen, was mir der ­letzte Umzug abverlangt hat. Regale in Weiß oder Buche? Schiebetüren oder Schwingvariante? Hochglanz-Küche oder Landhausstil? Muss ich erwähnen, vor welch schwieriger Herausforderung ich sieben Wochen vor der Geburt stehe?

Nur das Beste für das Baby

Nach dem Studium verschiedener Erstausstattungs-Checklisten im Internet, weiß ich, dass wir mindestens Bettchen, Wickelkommode, Badewanne, Windel­eimer und Stillkissen brauchen. Meine einzige Anforderung: Ich will das Beste für mein Kind. Schadstofffrei, gut getes­tet, hautfreundlich. Und, ganz ehrlich, erschwinglich wäre auch nicht so verkehrt.

"Als Erstes brauchst du einen Kinderwagen", riet mir meine beste Freundin Mia, erfahrene Mutter einer Anderthalbjährigen und Groupie eines Kinderwagenherstellers, der von seinen Käufern nicht nur ein Faible für puristisches Design erwartet, sondern auch ein großes Portemonnaie oder zumindest spendable Schwieger­eltern. "Schau dir dieses Sonnenverdeck an", sagte Mia in Verkäuferinnenmanier, während sie an zwei Klappen schraubte. "Lässt sich superweit runterziehen. Da sparst du dir den Schirm." Sie drehte gekonnt an einem seitlichen Rädchen. "Und schwupps", kommentierte sie, "hast du ganz einfach aus deinem Kinderwagen einen Sport­wagen gezaubert." Zugegeben: Ich war wirklich überzeugt. Gute Federung, dicke Reifen für Spaziergänge an der Isar, feststellbare Schwenkräder, dreh- und höhenverstellbare Griffe, wendige Fahrweise und Fünf-Punkt-Sicherheitsgurt. Klang plausibel. "Wir haben damals 1000 Euro bezahlt. War im Angebot", sagte Mia. Ich schluckte.

"1000 Euro?", fragte meine Mutter irri­tiert am Telefon. "So teuer war ja nicht mal mein erstes Auto." "Hat aber auch feststellbare Schwenkräder und ein extra­langes Sonnensegel", murmelte ich kleinlaut. "Braucht kein Mensch", sagte ­meine ­Mutter. "Du bist auch prima im gebrauchten Kinderwagen durch die Gegend kutschiert worden. Oder hat es dir irgendwie geschadet?" Ich ­­brummelte etwas von anderen Zeiten, großstädtischen Voraus­setzungen und UV-Strahlung. Aber ich war verunsichert.

Die Rettung: Das Baby-Spezialkaufhaus

Mein Liebster und ich entschieden uns also für den in unseren Augen einzig richtigen Schritt: den Besuch eines Baby-Spezial­kaufhauses. Solche Fachgeschäfte punkten ja gemeinhin mit Qualität und Expertise. Außerdem konnten wir uns gleich nach dem restlichen Equipment erkundigen. Was wir sahen, war also unsere Zukunft: Kindersitze in zig verschiedenen Größen mit Hightech-Basisstationen und Isofix-Befestigung. Kinder­wagen mit Namen, die an nordische Krieger oder italienische Mafia-­Bosse erinnerten. Schweißgebadete Schwangere, die gemeinsam mit ihren frustrierten Ehemännern über zusammenge­klappten Buggys knieten und verzweifelt versuchten, sie wieder auseinander zu bekommen. Annikas, Constantins und Maximilians, die wahlweise die Sprossen aus Gitterbettchen entfernten oder Molton­tücher mit Eulenaufdruck aus dem Regal zupften.

Nach etwa zweistündiger Beratung durch die ver­sierte Baby­markt-Fachkraft waren wir schlauer. Unsere Erwartungen, vor allem im Hinblick auf unser Budget, erfülle wohl am ehesten ein Mittelklasse-Kinderwagen mit großem Einkaufskorb und unkompliziertem Handling, resümierte die forsche Verkäuferin vorwurfsvoll. Und sie ließ uns deutlich spüren, was sie von werdenden Eltern hielt, die nicht bereit waren, in ein überdurchschnittlich großes Sonnenverdeck zu investieren. Ob wir denn wenigstens eine Basisstation für die Babyschale kaufen wollten? Alles andere sei unter Sicherheitsaspekten eigentlich unverantwortlich. "Ist aber selbstverständlich Ihre persönliche Entscheidung. Ich sag’s ja nur", schob sie nach und lugte hinter ihrer Brille hervor.

Kombi-Kinderwagen oder All-in-one Paket?

Während ich dann eine säuglingsgroße Puppe im Bade­eimer-Dummy badete, eine luftdichte Plas­tiktüte im geruchsneutralen Windeleimer probeinstallierte und darüber nachdachte, ob ein Stillkissen von 1,80  Metern Länge unsere Beziehung auf 1,60  Meter Bettbreite eventuell nachhaltig stören könnte, war der Platz neben mir plötzlich leer. Mein Liebster hatte sich nach mehrmaligem Auf-und-ab-Fahren des Wind-und-Wetter-Parcours mit diversen Buggy­modellen genervt in die Spielzeugabteilung verzogen. Ich wollte nach Hause – aber fühlte mich unter den strengen Augen der Verkäuferin irgendwie unter Druck gesetzt, mich endlich zu entscheiden: Kombi-Kinderwagen mit Softtasche oder doch lieber das All-in-one-Paket inklusive Baby­schale? Aaaaah!

Einem hysterischen Trotzanfall ­Annikas oder Constantins ist es zu verdanken, dass ich meine Entscheidung weiter aussitzen konnte. Einer von beiden hatte in seiner Wut Maximilian offensichtlich ­eine herausgeschraubte Gitterbettchensprosse über den Kopf gezogen. Maximilian lag nun brüllend auf dem Boden und zog die ungeteilte Aufmerksamkeit des gesamten Babymarkt-Personals sowie eines Großteils der Eltern auf sich. Ich ergriff die Chance und flüchtete unauffällig.

Klägliche Ausbeute: ein Plüschhammer

"Wir haben nichts", stellte ich am Abend frustriert auf der Couch sitzend fest. "Unser Baby wird hier nie ein­ziehen können." Die Augen meines Liebs­ten leuchteten auf. "Nicht traurig sein, Spatzl, ich habe vorgesorgt", sagte er und griff in seinen Rucksack. Er ­grinste: "Guck mal, der lacht, wenn man hämmert", sagte er und präsentierte mir stolz Teil eins unserer Baby-Erstausstattung: ein grün-weißer, batteriebetriebener Plüschhammer. "Hahaha", grunzte das Plüschwerkzeug, während er auf unseren Wohn­­zimmertisch hämmerte. Ich musste ­lächeln und dachte an meine Oma: "Alle Betsches batten" – jede Kleinigkeit zählt, würde sie jetzt sagen. Noch so eine niederrheinische Weisheit, auf die ich nur allzu gerne baue.