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Rund 40 Wochen Bauchzeit hat die Natur für ungeborene ­Babys vorgesehen. Nicht alle halten so lange durch: Acht Prozent aller­ Neugeborenen, so ­eine Statistik aus dem Jahr 2015, starten zu früh ins Leben und kommen vor der vollendeten 37. Schwangerschafts­woche zur Welt­. Deutschland liegt damit vor Ländern wie Schweden oder Frank­reich, wo die Früh­geburtsrate bei sechs Prozent­ liegt. Die Gründe­ dafür sind viel­­­fältig, wie Professor Ekkehard Schleußner, Direktor der Universitätsfrauen­klinik ­Jena, erklärt: "Nehmen wir das Beispiel Frankreich. Dort bekommen die Frauen im Durchschnitt mehr Kinder, und bei Mehrgebärenden sinkt das Risiko für Frühgeburten." Außerdem seien werdende Mütter in Deutschland älter – im Durchschnitt 31 Jahre –, und mit steigendem Alter werden Frühgeburten wahrscheinlicher. Auch dass es hierzulande mehr künstliche Befruchtungen und Zwillingsgeburten gibt, trage dazu bei.

Je früher ein Kind zur Welt kommt, desto höher ist die Gefahr für Komplikationen und Folge­­­schäden. Deshalb versuchen­ Gy­nä­ko­logen schon in der Schwangerschaft, dieses Risiko zu minimieren. "Möglich ist das nur bei etwa einem Drittel der Früh­geburten, bei zwei Dritteln können wir wenig beeinflussen, etwa wenn die Mutter am HELLP-Syndrom erkrankt", sagt Ekkehard Schleußner­. Insbesondere wenn ­eine frühere Schwangerschaft mit einer Frühgeburt oder einer späten Fehlgeburt endete, unter­suchen Mediziner mögliche Risikofaktoren genau:

Prof. Dr. Ekkehard Schleußner ist Direktor der Universitätsfrauen­klinik in ­Jena

Prof. Dr. Ekkehard Schleußner ist Direktor der Universitätsfrauen­klinik in ­Jena

Alter und frühere Schwangerschaften

Mit zunehmendem Alter der Frau steigt das Frühgeburtsrisiko. "Zudem treten häufiger Komplika­tionen aus anderen Bereichen auf, zum Beispiel Herzerkrankungen oder Diabetes. "Auch sind die Gefäße bei manchen Frauen nicht mehr elastisch und stabil genug, und es kommt zu Versorgungsproblemen beim Ungeborenen", sagt Dr. Jan-Peter Siedentopf, Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Das sei der Grund für sogenannte ärztlich veranlasste Frühgeburten, etwa durch ­eine Geburtseinleitung oder ­einen geplanten Kaiserschnitt. Auch bei Mehrlingsschwangerschaften ist ­eine Frühgeburt wahrscheinlicher. Die Kinder kommen oft drei bis vier Wochen vor dem errechneten Termin zur Welt. Ein weiterer ­Risikofaktor ist ein sehr kurzer Abstand zwischen den Schwangerschaften, "allerdings nur, wenn der Abstand zwischen Geburt und der nächsten Schwangerschaft kürzer als sechs Monate ist", sagt Ekkehard Schleußner. Schwan­gere mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko sollten sich so gut wie möglich schonen. "Das bedeutet nicht, dass sie automatisch viel liegen müssen", meint Schleußner. So sei nicht belegt, dass Bettruhe das Frühgeburtsrisiko­ senke, wohl aber erhöhe sie das Risiko für eine Thrombose.

Dr. Jan-Peter Siedentopf ist Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Universitätsmedizin in Berlin

Dr. Jan-Peter Siedentopf ist Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Universitätsmedizin in Berlin

Lebensweise

Der Nachwuchs von Raucherinnen hat ebenfalls ein Risiko, zu früh zur Welt zu kommen. Raucht ­eine Schwangere 15 Zigaretten am Tag, steigt das Risiko um 58 Prozent, ergab eine Studie der Universität Greifswald. Wer raucht, sollte damit während­ der Schwangerschaft aufhören – den Zigarettenkonsum zu reduzieren reicht nicht. Auch bei übergewichtigen Müttern ist das Risiko erhöht. Das wies eine kanad­ische Übersichtsstudie aus dem Jahr 2010 nach. "Sehr wahrscheinlich spielt hier der Druck auf den Gebärmutterhals eine Rolle. Wir wissen, dass übergewichtige Schwangere von einer vorzeitigen Eröffnung des Muttermunds stärker betroffen sind", sagt Jan-­Peter Siedentopf. Von einer Diät oder einer­ einseitigen Ernährung während der Schwangerschaft raten Mediziner jedoch nachdrücklich ab. Besser: eine bewusste Ernährung mit möglichst wenig zuckerreichen Nahrungsmitteln.

Stress in der Familie oder am Arbeitsplatz kann eine Schwangerschaft überschatten – so sehr, dass in manchen Fällen ein Beschäftigungsverbot oder Bettruhe nötig werden. "Stress kann Frühgeburten auslösen, aber was wir als Stress empfinden, ist sehr subjektiv", sagt Gynäkologe Siedentopf. Manche Schwangere schiebt bis zum Mutterschutz problemlos Überstunden, für andere kann schon das normale Pensum zur Belastung werden. Für alle gilt: Stress so gut wie möglich reduzieren, "Nein" sagen zu Zusatzaufgaben, lieber einen Gang zurückschalten.

Gebärmutterhals

Um die 20. Schwangerschafts­woche herum kann der Gynäkologe per Ultraschall die Länge des Gebärmutterhalses (Zervix) messen. Bis zur Geburt sollte seine Länge nicht weniger als 25 Milli­meter betragen. Ein verkürzter Gebärmutterhals zur Halbzeit der Schwangerschaft erhöht das Risiko für eine Frühgeburt deutlich. Der Muttermund könnte sich ­lange vor dem Geburtstermin öffnen. Um das zu verhindern, kann der Muttermund eventuell mit einem Kunststoffband (Cerclage) oder Ring (Pessar) verschlossen werden.

Frauen mit verkürzter Zervix erhalten außerdem Progesteron in Tablettenform, ein Hormon, das für den Erhalt der Schwanger­schaft sorgt. "Bei Schwangeren­ mit verkürzter Zervix senkt die Progesteron-­Gabe das Risiko für eine Früh­geburt um ein Drittel­ und verhindert frühe Frühgeburten vor der 31. Woche", erklärt Ekkehard Schleußner. Auch bei anderen Risi­­kofaktoren wie etwa vorangegangenen Frühgeburten kann Progesteron das Risiko deutlich senken. Werdende Mütter nehmen das Mittel dann bis zur
34. Woche ein.

Infektionen

Juckreiz in der Scheide und riechender Ausfluss sollten in der Schwangerschaft immer ein Alarm­zeichen sein. In vielen Fällen ist nämlich eine Infektion in der Scheide, die bakterielle Vaginose, die Ursache einer Frühgeburt. Wandert diese Infektion in Richtung Gebärmutter, kann sie dort Wehen oder einen Blasensprung auslösen. Frauenärzte kontrollieren deshalb bei jeder Untersuchung, ob das Milieu in der Scheide stimmt. Schwangere können das auch selbst tun, mit einem speziellen Handschuh (aus der Apotheke), der den pH-Wert in der Scheide misst – dieser ist bei ­einer Infektion häufig erhöht.

"Auch wenn die Datenlage nicht eindeutig ist, empfehle ich wie viele Frauenärzte ­diese Selbstmessung", sagt Schleußner, der vor 15 Jahren in Thüringen bei ­einer Aktion zur Vermeidung von Frühgeburten mitgearbeitet hat. Schwangere Frauen bekamen den Handschuh zur Messung des vagi­­nalen pH-Wertes kostenlos beim Frauenarzt und konnten sich selbst testen. "Darauf fiel die Frühgeburtsrate vor der 32. Woche ­rapide", sagt Schleußner. Andere­ Bundesländer haben diese Aktion­ mit ähnlichen Ergebnissen wieder­­holt. Mittlerweile übernehmen auch ­einige Krankenkassen die Kosten für den Handschuh.

Scheideninfektionen sind oft ein Auslöser für Frühgeburten oder Spätaborte. Ist dieses Risiko bekannt, kann bei einer erneuten Schwangerschaft der Muttermund mit einer dünnen Gewebeschicht verschlossen werden. "Es entsteht so ­eine bakteriendichte Bar­riere, die den Muttermund schützt, sich bei der Geburt aber problemlos öffnet", sagt Mediziner Jan-­Peter Siedentopf. Solche Operationen – wie auch die Cer­clage – bergen aber auch Risiken und sollten daher mit dem Arzt vorher gründlich abgewogen werden.

Test hilft Frühgeburtsrisiko einzuschätzen

Befürchten Gynäkologen, dass ­eine Früh­geburt bevorsteht, können bestimmte Tests helfen, das Risiko bei der Schwange­ren einzuschätzen. Eine Mög­lichkeit dafür ist der Nachweis von speziellen Eiweißen im Scheidensekret. Ist ihre Konzentra­tion im Zervixschleim erhöht, ist das ein ­­Zeichen, dass eine Frühgeburt drohen könnte.

Die Erklärung: Bereitet sich der Körper auf die Geburt vor, werden die Eiweißstoffe abgebaut und finden sich im Scheidensekret wieder. Zu jedem Eiweiß gibt es einen eigenen Test. Welcher angewendet wird, hängt von Arzt oder Klinik ab. Ein negatives Test­ergebnis­ bedeutet, dass in den nächsten 14 ­Tagen sehr wahrscheinlich ­keine Geburt bevorsteht. Infrage kommen diese Tests nur, wenn Ärzte wegen vorzeitiger Wehen oder einem verkürzten Gebärmutter­hals von einem erhöhten Frühgeburts­risiko aus­gehen.

Bestätigt sich der Verdacht, versuchen ­Mediziner entweder dem Baby so viel Bauchzeit wie möglich zu verschaffen – oder sie leiten die Geburt ein, wenn sie das Kind draußen besser versorgt wissen.

Vorsorge

Viele Krankenkassen bieten schwangeren Mitgliedern spezielle Vorsorge­­programme an, die helfen sollen, eine Früh­geburt zu vermeiden, oder sie übernehmen die Kosten dafür. Zum Beispiel für BabyCare. Hier füllen Schwangere einen Fragebogen aus und erhalten individuelle Tipps zur Vorbeugung. Der Verband der Frauen­ärzte ­empfiehlt das wissenschaftlich fundierte Programm.

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