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Präeklampsie, unter ­diesem Begriff können sich vermutlich die wenigsten Schwangeren spontan etwas vorstellen. Die umgangssprachliche Bezeichnung "Schwangerschaftsvergiftung" lässt erahnen: Es geht um ­eine ernste Komplika­tion – im schlimmsten Fall kann sie tödlich enden. Die Ursachen der Erkrankung, die früher auch EPH-Ges­tose genannt ­wurde und etwa zwei bis fünf Prozent ­aller Schwangeren betrifft, sind bis heute unklar. Die Symp­tome fallen oft unspezifisch aus, was die Diagnose erschwert.

Symptome meist ab der 20. Schwangerschaftswoche

Fest steht: "Die Plazenta nistet sich in der achten bis 13. ­Woche schlecht ein. In der Folge gelangen schädliche Stoffe in den mütterlichen Kreislauf", erklärt Dr. Dietmar Schlembach, Chefarzt der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. "Sie wirken sich, zeitversetzt, negativ auf das Gefäßsystem der Mutter aus, wahrscheinlich, sobald ein gewisser Schwellenwert überschritten ist." Die Leitsymptome der Präeklampsie, Blutdruckerhöhung und vermehrte Eiweißmengen im Urin, bemerken die meisten Frauen zunächst nicht. Etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche können sich erste Warnsymptome zeigen. Sie umfassen Flüssigkeitseinlagerungen im Gewebe, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Lichtempfindlichkeit, Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzen im (rechten) Oberbauch und eine starke Gewichtszunahme von mehr als einem Kilogramm pro Woche – vor allem im letzten Schwangerschaftsdrittel.

Dr. Dietmar Schlembach ist Chefarzt an der Vivantes Geburtsklinik Neukölln in Berlin

Dr. Dietmar Schlembach ist Chefarzt an der Vivantes Geburtsklinik Neukölln in Berlin

Engmaschige Überwachung bei Präeklampsie

Die Definition der Präeklampsie ist derzeit im Wandel. Bisher mussten für eine Präeklampsie zwei ­Kriterien erfüllt sein: Bluthochdruck und erhöhte Eiweißwerte im Urin. "Das tatsächliche klinische ­­Spektrum ist aber sehr breit gefächert", so Dr. Stefan Ver­lohren, Oberarzt der Klinik für Geburts­medizin an der Berliner ­Charité. In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin (DGGG) wird dem Rechnung getragen. Eine Präeklampsie kann jetzt diagnostiziert werden, wenn zusätzlich zum erhöhten Blutdruck (ab 140/90 mmHg) Laborveränderungen der Blutplättchen, Leber- oder Nierenwerte, oder Organsymptome in Lunge oder Nervensystem auftreten – zum Beispiel ein Lungenödem (Wasser in der Lunge), Augenflimmern oder Kopfschmerzen. Der erhöhte Blutdruck bleibt dabei das wichtigste Kriterium. Kommen aber Organveränderungen hinzu, die keiner anderen Ursache zugeordnet werden können, spricht man von Präeklampsie.

Dr. Stefan Verlohren ist Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Berlin und leitet dort die Arbeitsgruppe Präeklampsie

Dr. Stefan Verlohren ist Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Berlin und leitet dort die Arbeitsgruppe Präeklampsie

Eklampsie: Komplikation mit Krampfanfällen

Schwerere Verläufe machen ­immer ­einen stationären Aufenthalt erforderlich. "Bei ­einer Eklampsie etwa treten in der Schwanger­schaft, während oder nach der Geburt Krampfan­fälle auf, die sowohl für die Schwangere als auch für das Kind lebensbedrohlich werden können", sagt Ver­lohren. Beispielsweise sind ­­eine Plazentaablösung oder ein Nierenver­sagen möglich. "In seltenen Fällen steigt der Blutdruck sehr schnell sehr hoch, so dass es bei der Schwangeren zu Durchblutungsstörungen im Gehirn bis hin zum Schlaganfall kommen kann", so Schlembach.

HELLP-Syndrom: Gestörte Leberfunktion

Das HELLP-Syndrom gilt als weitere schwere Komplikation. Hier treten Störungen der Leberfunktion und der Blutgerinnung auf, zum Teil ­ohne ­dass der Blutdruck ansteigt. Oberbauchschmerzen sind ein Warnzeichen. "Deshalb sollte jede Schwangere bei Schmerzen im Oberbauch oder hinter dem Brustbein, bei plötzlich auftretenden Schwellungen vor allem im Gesicht, bei sehr ­rascher Gewichtszunahme oder bei Übelkeit und Erbrechen sofort den Frauen­arzt auf­­suchen und nicht erst zum Hausarzt gehen."

Risikofaktoren kennen

"­Gerade ­junge Erstgebärende sind eher gefährdet, eine Präeklampsie zu entwickeln. Aber auch bei Mehrlingsschwangerschaften oder nach Kinderwunschbehandlungen besteht ein höheres Risiko", sagt Schlembach. Bestehende Auto­immunerkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck oder andere voran­gegangene Herz-Kreislauf-Probleme sind für Schwangere ebenfalls ein Grund, den Arzt beim kleinsten Verdacht um Rat zu fragen. Frauen, die bereits eine Präeklampsie erlitten haben, haben bei einer weiteren Schwangerschaft zwar ein leicht erhöhtes Erkrankungsrisiko, die Beschwerden können aber auch völlig ausbleiben.

Früherkennung und Prävention möglich

Bereits zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche können Frauen einen Früherkennungstest auf Präeklampsie machen lassen – der allerdings keine Regelleistung im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge ist. "Im Rahmen dieses Tests kann mit einer Kombination aus medizinischer Vorgeschichte, Blutdruckmessung, Blutflussmessung der Gebärmutterarterien und Bestimmung bestimmter Bluteiweißstoffe die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer früh einsetzenden Präeklampsie bestimmt werden", sagt Schlembach. "Ist das Risiko erhöht, kann der Arzt vorbeugende Maßnahmen ergreifen." Mit der täglichen Einnahme von niedrig dosiertem Aspirin (100-150 mg/Tag) kann das Auftreten einer Präeklampsie vor der 37. SSW um über 60 Prozent reduziert werden, wie in einer großen internationalen Studie gezeigt werden konnte. "Die regelmäßige und frühzeitige Aspiringabe vor der 16. Schwangerschaftswoche stellt auch die einzige wissenschaftlich belegte Maßnahme dar, einer Präeklampsie bei Frauen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko vorzubeugen.", so Schlembach.

Klare Prognose mittlerweile möglich

Hat eine Schwangere bereits erste Symptome, war es bisher außerdem nahezu unmöglich vor­herzusagen, ob sich tatsächlich ­eine Präeklampsie entwickelt. Nun ließ sich anhand einer internationalen Studie zeigen, dass das Verhältnis bestimmter Eiweiß-Boten­stoffe im Blut eine mögliche Ges­tose zuverlässig ausschließen kann. Dabei geht es um ­einen bestimmten Trennwert. Stefan Verlohren, Senior-­Autor der Studie: "Frauen, deren Wert unter 38 liegt, erkranken mit 99,3-prozentiger Sicher­heit inner­halb ­einer Woche und zu 94,3 Prozent innerhalb von vier Wochen nicht an Prä­eklampsie." Das klingt für Laien nicht spektakulär, bietet den Betroffenen jedoch eine große Entlastung. Sie müssen kurzfristig keine plötzliche Verschlechterung ihres Zustandes fürchten. Statt stationär aufgenommen zu werden, dürfen sie sich zu ­Hause schonen. Ein auffälliger Wert dagegen kann bei Frauen mit gering ausgeprägten Symptomen ein Anlass sein, sie intensiver zu überwachen. Der Test ist ab Oktober 2019 Kassenleistung.

Frühe Präeklampsie besonders problematisch

Je früher sich Anzeichen einer Präeklampsie zeigen, desto problematischer für Mutter und Kind. Die eigentliche Therapie besteht in der zeitnahen Entbindung und der Entfernung des Mutterkuchens. Erst dann erholt sich das Gefäßsystem der Mutter im Normalfall wieder. "Das stellt uns bei einer frühen Präeklampsie in der 24. Woche vor ein Dilemma: Wie können wir die Schwangerschaft möglichst verlängern, um dem Kind mehr Zeit zur Entwicklung zu geben, ohne Mutter und Kind zu schaden?", so Chefarzt Schlembach. Lässt sich der Blutdruck medi­kamentös einstellen und droht dem Kind keine Mangelversorgung, werden Schwangere meist ­intensiv überwacht, um noch einige Wochen zu gewinnen. Hier hilft der neue Bluttest, Ärzte und betroffene Frauen besser auf drohende Komplikationen vorzubereiten.

Die Warnzeichen

Kopfschmerzen: Sie sind ein Grund, den Blut­druck vom Gynäkologen kontrollieren zu lassen

Wassereinlagerungen: Bei plötzlich auftretenden Schwellungen – vor allem im Gesicht –, bitte sofort zum Frauenarzt!

Hoher Blutdruck: Werte ab 140/90 mmHg sind zu hoch und ein Fall für den Frauenarzt. Er misst den Blutdruck auch bei jeder Vorsorge­untersuchung

Oberbauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen: Bei diesen Symptomen bitte sofort zum Frauenarzt!

Das Baby wächst nicht richtig: Auch das kann auf eine Präeklampsie deuten und wird beim Ultraschall vom Gynäkologen kontrolliert

Eiweiß im Urin: Erhöhte Werte sind ein Symptom der Präeklampsie. Der Arzt kontrolliert den Wert bei jeder Vorsorgeuntersuchung