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Der Traum von uns Eltern sind Kinder, die gut ein- und durchschlafen. Doch je jünger der Nachwuchs, umso eher gehört der Schlafmangel zum Alltag. Und zwar bei uns Müttern und Vätern. Wir fühlen uns dann wie durch die Mangel gedreht, weil wir nachts mal wieder gefühlt kein Auge zugemacht haben. Für manche bedeutet das eine so große Belastung, dass sie zu Medikamenten greifen, um ihre Kinder ruhigzustellen. Vom "Zaubersaft" ist dann gerne verniedlichend die Rede.

Tipps zu Schlafmitteln kursieren im Netz

Dass Tipps dazu unter Eltern in Internet und Babygruppen kursieren, wissen viele Kollegen, stellte Prof. Dr. Thomas Erler, Kinder- und Jugendmediziner, fest, als er sich jüngst auf einer Tagung mit anderen Schlafmedizinern darüber austauschte. Von Kinderschlafsäften bis hin zu hochwirksamen Medikamenten wie Allergietropfen (Antihistaminika), Säften und Zäpfchen gegen Reisekrankheit und Übelkeit (Antiemetika), Husten- und Erkältungspräparaten ist offenbar alles Mögliche dabei. Dass sie sedieren, also müde und schläfrig machen, ist eigentlich eine Nebenwirkung der Mittel. Das für seine Kinder zu nutzen, halten Ärzte für einen sehr bedenklichen Trend.

Mittel oft Rezeptfrei – aber nicht harmlos

Die vermeintlichen Zaubermittel sind zwar ohne Rezept erhältlich, aber keinesfalls harmlos. "Sie können gefährliche Nebenwirkungen haben, Leber und Nieren schädigen, bei Überdosierung oder Fieber bis zu Atem- und Kreislaufstillstand führen", warnt Erler. "Manche Mittel sind für das Säuglings­alter gar nicht zugelassen. Und Arzneimittel für Erwachsene kann man Kindern nicht einfach in geringerer Dosis geben", betont der Mediziner. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, ihr Körper reagiert anders."

Wie viele ihrem Kind Medikamente geben, damit es schläft, ist unklar. "Belastbare Zahlen gibt es nicht", sagt Dr. Hermann Josef Kahl vom Berufsverband der Kinder- und Ju­gend­ärzte mit Praxis in Düsseldorf. In einer Online-Umfrage von Baby und Familie 2017 gaben sechs Prozent der 501 befragten Eltern an, dass sie ihrem Kind schon mal ein nicht verschreibungspflichti­ges Medikament geben, damit es müde wird, wenn es Einschlafpro­bleme hat und die Eltern dadurch schon völlig übermüdet sind.

Julia Bark ist Apothekerin in Kaiserslautern. Auch sie merkt, dass immer wieder Eltern kurz davorstehen, ihrem Kind ein nicht geeignetes Mittel zu geben, damit es schläft. "Den Leidensdruck offen anzusprechen traut sich zunächst kaum jemand. Wenn Eltern tatsächlich zu einem nicht dafür zugelassenen Arzneimittel greifen, dann sicher in Einzel­fällen und in höchster Not. Seinem Kind bewusst schaden möchte keine Mutter und kein Vater", sagt sie. "Zum Glück fragen sie zuvor oft zumindest nach einer homöopathischen Alternative."

Auch "sanfte" Mittel sind der falsche Weg

Mediziner Kahl hält allerdings auch homöopathische Mittel für ungeeignet: "Schlafprobleme mit Medikamenten, egal welchen, therapieren zu wollen ist falsch. Die Kinder holen sich den Schlaf, den sie benötigen, schon irgendwann. Das Problem sind die überlasteten Eltern." Gerade Mütter müssten ihre Erschöpfung loswerden, sich ausruhen und Kraft tanken können. "In der Regel empfehlen wir den gnadenlosen Einsatz der Verwandtschaft. Für Papas, Großeltern, Paten und Freundinnen heißt das Babysitten!", so Kahl. Nur haben nicht alle eine Familie in der Nähe, die unter die Arme greifen kann. Viele sind alleinerziehend und müssen sehen, wie sie den Wiedereinstieg in den Beruf mit wenig Nachtschlaf schaffen. "Junge Eltern stehen ganz schön unter Druck", so Julia Bark. "Ihr Umfeld erwartet wenige Monate nach der Geburt, dass sie und ihre Kinder funktionieren. Dass ein Baby mit einem halben Jahr durchschläft, ist aber unrealistisch." Viele wissen nicht, dass es normal ist, wenn ein Kind fünf, sechs Mal wach wird. Sie haben das Gefühl zu ver­sagen, schämen sich, dem Arzt ihre Not zu schildern.

Hilfsangebote wahrnehmen

Dabei gibt es Hilfe. Um Eltern zu entlasten, wurde in Deutschland ein großes Netz an sogenannten Frühen Hilfen aufgebaut. In Düsseldorf startete zu Jahresbeginn ein Modellprojekt: Pädiater kleben seither bei den U-Untersuchungen eine Liste mit Telefonnummern örtlicher Beratungs­stellen ins Untersuchungsheft. Damit Eltern im Notfall dort anrufen können. Wer woanders wohnt, dem rät Kahl: "Sprechen Sie Kinderarzt, Hebamme oder die nächste Kinderschutzambulanz an. Sie sind da, um Ihnen zu helfen!"

Eine andere Möglichkeit sind Schrei- und Schlaf­sprechstunden an Kinderkliniken. "Ihr Kinderarzt kann Sie dorthin überweisen", sagt Erler, der in Potsdam selbst eine Schlafsprechstunde hält. Dort ist Zeit für die Beratung betroffener Familien. Oft stellt sich heraus, dass fehlendes Wissen und Missverständnisse zu den Schlafproblemen führten. Schon kleine Verhaltensänderungen können spürbare Entlastung bringen.

Auch Julia Bark ist froh, wenn müde Mütter ihren Rat suchen. Die Apothekerin, die eine fünfjährige Tochter hat, weiß aus eigener Erfahrung, wie belastend gestörte Nächte sind. Sie nimmt die Frage nach Homöopathika zum Anlass, um mit Eltern ins Gespräch zu kommen, ihnen etwa eine Elternschule zu empfehlen, wo sie Unterstützung finden. Und sie gibt den Müttern ein kleines Entspannungsbad mit. "Einige sind schon wiedergekommen, um sich eine größere Flasche zu holen", freut sie sich. "Weil sie gemerkt haben, wie gut es ist, etwas für sich selbst zu tun!"