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"Zuerst war es für uns wie ein Schlag ins Gesicht", erzählt Sarah Fieth (Name von der Redaktion geändert). Dass sie ihre Tage nur unregelmäßig bekam und kaum Eizellen heranreiften – schon schlimm genug. Dass aber auch die Fruchtbarkeit ihres Mannes stark beeinträchtigt war – ein Schock: Er produzierte nicht nur zu wenig Spermien, sondern auch zu langsame und fehlgeformte. Sie waren kaum in der Lage, in eine Eizelle einzudringen und diese zu befruchten. "Rückblickend entspannte es aber die Situation sogar, weil es an uns beiden lag, dass wir Schwierigkeiten mit dem Kinderkriegen hatten. Es half, den Weg gemeinsam zu gehen."

Mit dem Weg meint die heute 37-Jährige die dann folgende, gut fünf Jahre andauernde Kinderwunschbehandlung. Für einen regelmäßigen Zyklus nahm sie Hormone. Kaum waren Eizellen herangereift, entnahmen Ärzte sie aus ihren Eierstöcken, injizierten Spermien ihres Mannes und setzten die befruchteten Eizellen zurück. "Im Grunde lief alles gut", sagt Fieth. "Ich nahm die Hormone immer relativ kurz und niedrig dosiert, hatte kaum Nebenwirkungen und am Ende eher zu viele reife Eizellen als zu wenige." Auch die Injektionen klappten. Zu einer Schwangerschaft kam es aber nur einmal – und die endete in der achten Woche.

Immuntherapie weckt neue Hoffnung

Als die Fieths schließlich das Kinderwunschzentrum wechselten, hörte das  Ehepaar von einer Immuntherapie, die Paaren wie ihnen helfen könnte.  Die Ärzte erklärten, Fieth würde gegen ihren Mann geimpft. "Komisch  hörte sich das schon an, so, als wäre er eine Krankheit", sagt sie und  lacht. Ihrem Mann nahmen die Ärzte Blut ab, sie behandelten es und  spritzten es Sarah Fieth. Gleich mit der nächsten Kinderwunschbehandlung  wurde Fieth schwanger – und Mutter einer gesunden Tochter. Die Therapie, die die Fieths am Universitätsklinikum Göttingen haben durchführen lassen, nennt sich  "Aktive Immunisierung mit Partnerlymphozyten". 

Schwangerschaft ist wie ein kleines Wunder

Dr. Veronika Günther ist am Universitätsklinikum in Kiel verantwortlich für diese Therapie und Spezialistin für Reproduktionsimmunologie sowie Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Medizinerin erklärt zunächst, wie ineffizient die menschliche Fortpflanzung ist: "Von 100 Paaren, die ganz normal schwanger werden wollen, erleben statistisch gesehen 30 eine Lebend- und 70 eine Fehlgeburt. Die meisten davon eine sehr frühe, von der sie kaum etwas mitbekommen", erklärt Günther. Eine gelingende Schwangerschaft, das will die Expertin damit sagen, ist immer ein kleines Wunder.

Mögliche Gründe dafür gibt es viele, besondere Aufmerksamkeit erhielt in den vergangenen Jahren aber die Immunologie der Frühschwangerschaft. "Obwohl wir immer mehr darüber wissen, bleibt die Einnistung des Embryos ein Stück weit ein Mysterium", sagt Veronika Günther. "Er ist schließlich eine Art Transplantat, das zur Hälfte aus väterlichem Genmaterial besteht und eigentlich bekämpft werden müsste wie zum Beispiel eine fremde Niere." Die Frage sei, wieso er das nicht werde, oder besser: nicht immer.

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Befruchtete Eizelle kurz vor der Einnistung

In der Gebärmutterschleimhaut sitzen viele Immunzellen, die den Körper zum Beispiel vor Erregern schützen. Sie erkennen alles, was fremd ist. Die befruchtete Eizelle gehen sie aber nicht an.

Immunzellen der Mutter schützen den Embryo

Man muss sich das so vorstellen: Wenige Tage nachdem das Spermium die  Eizelle befruchtet hat, heftet sich dieser  Halb-Vater-halb-Mutter-Komplex an die Gebärmutterschleimhaut. Er  schüttet Enzyme aus, die sie teilweise auflösen, und frisst sich so in  sie hinein, während die zahlreich vorhandenen Immunzellen, die ihn  eigentlich angehen müssten, tatenlos zuschauen. "Tatsächlich schützen  sie ihn sogar – wenn alles gut läuft", erklärt Günther. Die Medizinerin  spricht von einer komplexen Immunreaktion: Für den Embryo negativ  wirkende Immunzellen werden herunter-, positiv wirkende heraufreguliert.

Voraussetzung für all das scheint etwas zu sein, das zunächst paradox  klingen mag: "Der Embryo muss als fremd erkannt werden", erklärt  Günther. Nur, wenn dies geschehe, bilde die Frau genügend Antikörper –  und die sogenannte Immunmodulation komme in Gang. "Dass das bei manchen  nicht passiert, liegt womöglich an den sogenannten HLA-Merkmalen. Sie  sitzen auf Zellen, und das Immunsystem unterscheidet anhand von ihnen  zwischen fremd und nicht fremd. Sind sie zu ähnlich, erkennt es das  Fremde nicht", erklärt Günther. "Es gibt aber auch Paare mit sehr  unterschiedlichen HLA- Merkmalen, wo der Mechanismus nicht richtig  funktioniert. Warum, ist unklar."

Das passiert bei der Einnistung

Therapie gleicht einer Impfung

An dieser Stelle jedenfalls setzt die Immuntherapie an: Dem Mann werden meist um die 70 Milliliter Blut abgenommen. Dann wird es gewaschen und zentrifugiert, um die weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) zu isolieren. Die Mediziner gewinnen so zwischen 20 bis 70 Millionen Zellen, die sie mit Kochsalz aufschwemmen. Am Ende misst das Präparat einen Milliliter und wird der Frau an etwa zehn Stellen am Unterarm zwischen die Hautschichten gespritzt, ähnlich wie bei einem Prick-Test.

"Das Prinzip ist das einer Impfung", erklärt Günther. "Wir konfrontieren  den Körper der Frau mit den weißen Blutkörperchen des Partners. Es  bilden sich Antikörper, und der Körper der Frau kann beim nächsten  Kontakt schneller eine Immunantwort geben, in diesem Falle also die  gewünschte Immunmodulation starten." Zumindest theoretisch: "In der  Praxis sind die Ergebnisse zur Wirksamkeit der Therapie  unterschiedlich", sagt die Gynäkologin.

Impfung

Impfung

Die Impfung

Dem Partner wird Blut abgenommen, und die weißen Blutkörperchen werden isoliert. Speziell aufbereitet bekommt die Frau sie gespritzt. Ihr Körper reagiert darauf mit der Bildung von Antikörpern. Sie sollen helfen, dass sich die Eizelle in der Gebärmutter einnistet.

Wie erfolgreich ist die Methode?

Als 1981 das erste Mal drei ungewollt kinderlose Frauen auf diese Weise  behandelt wurden, waren hinterher zwei von ihnen schwanger. 1985 gab es  dann die erste qualitativ hochwertige Studie: Von 22 tatsächlich  behandelten Frauen wurden 17 schwanger, in der Kontrollgruppe waren es  zehn von 27. Darauf folgten weitere Untersuchungen und in den 90ern die  ersten Meta-Studien, die größere, kleinere und keine Effekte  feststellten.

2016 schloss eine Meta-Studie 18 hochwertige  Untersuchungen ein und kam zu guten Ergebnissen. Nichtsdestrotz gibt es  eine Reihe von Studien, welche keinen Nutzen der Therapie belegen  konnten. "Aufgrund dieser relativ dünnen und widersprüchlichen Datenlage  findet sich die Immuntherapie in keiner medizinischen Leitlinie, und  die Krankenkassen übernehmen die Kosten von gut 2000 Euro meist nicht",  erklärt Veronika Günther.

Immuntherapie oft letzter Versuch

Die Mehrheit der Paare, die zu ihr kommen, hat schon eine Odyssee hinter sich wie die Fieths: Jahrelange Kinderwunschbehandlungen, erfolglose Embryotransfers, Fehlgeburten. "Das ist für uns auch eine Art Einschlusskriterium", sagt sie. "Alle bekannten medizinischen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft worden und erfolglos gewesen sein." Eine vorherige Untersuchung, die beweist, dass immunologische Ursachen dem unerfüllten Kinderwunsch zugrunde liegen, gibt es nämlich nicht. "Die Immunisierung ist also lediglich als Therapieversuch zu werten, ohne Versprechen auf Erfolg." Das ist das große Manko dieses Verfahrens.

Nebenwirkungen oder Gefahren birgt die Therapie kaum, dafür sorgen gründliche Vorbefragungen und -untersuchungen: Krebs- oder infektiöse Erkrankungen beim Mann etwa führen zum Ausschluss. Der kritischste Punkt ist wohl: Sollte einmal eine Organtransplantation bei der Frau nötig sein, ist der Spenderkreis eingeschränkt. Sowohl der Mann selbst, als auch potenzielle Spender, welche ihm vom HLA-Muster ähnlich sind, kommen als Organspender für die Frau nicht mehr infrage. Das gilt es gut abzuwägen. "Daher behandeln wir keine Frauen mit Vorerkrankungen, die in Zukunft eine Organtransplantation bedeuten könnten", erklärt Günther.

Die Fieths sind froh, dass sie ihre Tochter haben. "Sicher wissen, dass uns die Therapie geholfen hat, können wir natürlich nicht", sagt Sarah Fieth.