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Was ist eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte?

Unter dem Begriff Lippen-Kiefer-Gaumenspalte fassen Ärzte angeborene Fehlbildungen zusammen, bei denen Lippen, Oberkiefer und/oder Gaumen nicht vollständig zusammengewachsen sind. Eine solche Cheilognathopalatoschisis, wie es in der medizinischen Fachsprache heißt, entsteht während der Embryonalentwicklung im Mutterleib. In Europa kommt etwa eines von fünfhundert Kindern mit einer Spaltbildung zur Welt. Damit zählen die Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Alles in allem sind Jungen rund 1,5 Mal so oft betroffen wie Mädchen.

Mediziner unterscheiden mehrere Formen: In etwa 20 Prozent der Fälle handelt es sich um reine Lippen- oder Lippen-Kiefer-Spalten. Die mit ungefähr 50 Prozent häufigste Krankheitsform sind komplette Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Isolierte Gaumenspalten, die Mädchen etwas häufiger treffen als Jungen, machen die übrigen 30 Prozent aus.

Normalerweise verschließt sich die Gaumenspalte während der Schwangerschaft (gestrichelte Linie)

Normalerweise verschließt sich die Gaumenspalte während der Schwangerschaft (gestrichelte Linie)

Fehlbildungen entstehen dort in den ersten beiden Schwangerschaftsmonaten, seltener im dritten Monat. Je nach Schweregrad betreffen sie nur die Lippe oder den Gaumen, manchmal auch beide, ein- oder beidseitig

Fehlbildungen entstehen dort in den ersten beiden Schwangerschaftsmonaten, seltener im dritten Monat. Je nach Schweregrad betreffen sie nur die Lippe oder den Gaumen, manchmal auch beide, ein- oder beidseitig

Welche Ursachen haben Lippen-Kiefer-Gaumenspalten?

Am Anfang der Schwangerschaft entwickeln sich die linke und rechte Gesichtshälfte des Ungeborenen zunächst getrennt. Dann verwachsen sie von außen nach innen miteinander. Im Bereich der Nase, der Oberlippe und des Oberkiefers findet diese Verschmelzung normalerweise zwischen der fünften und der siebten Schwangerschaftswoche statt. Die Bestandteile des Gaumens vereinigen sich zwischen der zehnten und zwölften Schwangerschaftswoche. Wenn diese Entwicklungsschritte nicht oder nur unvollständig ablaufen, führt das zu einer Spaltbildung.

Viele der betroffenen Eltern stellen sich die Frage, warum ausgerechnet ihr Kind von der Fehlbildung betroffen ist und welche Gründe dahinter stecken. Meist lässt sich keine konkrete Erklärung finden. Allerdings haben Forscher eine Reihe von Faktoren gefunden, die eine Spaltbildung offenbar begünstigen, wenn sie in der empfindlichen Phase der Gesichtsentwicklung einwirken. Dazu gehören Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum, Erkrankungen der Mutter, ein Mangel an Folsäure, die Überdosierung der Vitamine A und E, sowie starker Stress.

Eine Rolle spielen wohl auch die Gene. Dafür spricht, dass es bei sieben bis zehn Prozent der Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in der Familie oder der nahen Verwandtschaft noch mindestens einen weiteren Betroffenen gibt.

Wie äußert sich eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte?

Die Symptome bei Kindern mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hängen davon ab, wie ausgeprägt die Fehlbildung ist. Lippenkerben und kleine Lippenspalten sind in erster Linie ästhetisch störend. Bei stärkeren Spaltbildungen fehlt hingegen die wichtige Trennung von Mund- und Nasenraum. Zudem ist auch das reibungslose Zusammenspiel der Muskulatur im Bereich von Lippen und weichem Gaumen beeinträchtigt. Ohne Behandlung kann es zu funktionellen Störungen in verschiedenen Bereichen kommen:

  • Sprechen und Sprachentwicklung
  • Ernährung
  • Gesichtsmimik
  • Wachstum von Gesicht und Kiefer
  • Atmung
  • Gehör
  • Zahnentwicklung

Probleme beim Sprechen entstehen beispielsweise, weil eine Spaltbildung des Gaumens die korrekte Lautbildung erschwert. Die vor allem bei einer Gaumenspalte beeinträchtigte Belüftung des Mittelohrs begünstigt wiederholte Mittelohrentzündungen, die unter Umständen dann zu Schwerhörigkeit führen. Dadurch kann auch die Entwicklung der Sprache gestört werden.

Wie wird eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte diagnostiziert?

Bereits in der zweiten Ultraschalluntersuchung, die im Rahmen der gesetzlichen Schwangerenvorsorge bei werdenden Müttern um die 20. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird, kann der Arzt eine Spaltbildung erkennen – vorausgesetzt, das Ungeborene befindet sich in einer geeigneten Position. Frauen, in deren Familien schon Lippen-Kiefer-Gaumenspalten aufgetreten sind, sollten das dem Frauenarzt vorab mitteilen, damit er besonders auf diese Fehlbildung achten kann. Vor der Geburt hat diese Diagnose zwar keine Konsequenzen, doch sie eröffnet den Eltern die Möglichkeit, sich frühzeitig über die Behandlungsmöglichkeiten zu informieren.

Gesichtsspalten mit Beteiligung der Lippen lassen sich nach der Geburt schon äußerlich erkennen. Bei verdeckten Gaumenspalten mit intakter Schleimhaut ist das deutlich schwieriger. In jedem Fall gehört eine eingehende Betrachtung von Gesicht, Mund- und Rachenraum zur Routine bei allen neugeborenen Babys. Wenn eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte festgestellt wurde, zieht der Kinderarzt einen Spezialisten für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie hinzu. Dieser beurteilt in einer gründlichen Untersuchung, welches Ausmaß die Fehlbildung hat. Dann bespricht er mit den Eltern das weitere Vorgehen.

Ein kleiner Teil der betroffenen Kinder leidet noch unter zusätzlichen Fehlbildungen, etwa am Herz oder an den Nieren. Um solche Störungen auszuschließen, sind weitergehende Untersuchungen wie eine Nierensonografie oder ein Elektrokardiogramm (EKG) notwendig.

Wie wird eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte behandelt?

Die Art der Behandlung hängt von Form und Schweregrad der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ab. Das Therapieziel ist dabei immer das Gleiche: Es soll einerseits ein normales äußeres Erscheinungsbild erreicht werden, andererseits soll eine gute Sprach-, Hör-, Ess-, Trink- und Atmungsfunktion hergestellt werden, die dem Kind eine unbeeinträchtigte Entwicklung erlaubt. Deshalb sollte die Behandlung in einem auf die Fehlbildung spezialisierten Zentrum erfolgen. Dort arbeiten Fachleute aus verschiedenen Disziplinen Hand in Hand: Kinderärzte und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Kieferorthopäden, HNO-Ärzte, Phoniater sowie Sprachtherapeuten (Logopäden) und Psychologen.

Wenn die Spaltbildung den weichen und harten Gaumen betrifft, beginnt die Behandlung in vielen Spaltzentren bereits in den ersten Lebenstagen. Der Arzt nimmt dann einen Abdruck des Oberkiefers und lässt eine Gaumenplatte anfertigen, die dem Kind vor Beginn des Stillens eingesetzt wird. Sie trennt die Nasenhöhle vom Mundraum und erleichtert den Babys das Trinken. Außerdem fördert die in regelmäßigen Abständen neu anzupassende Plastikplatte die korrekte Lage und Funktion der Zunge sowie die Ausformung von Kiefer und Gaumen. Das vereinfacht die später anschließende Operation.

Lippenspalten werden im Alter von drei bis sechs Monaten chirurgisch verschlossen. Als Faustregel gilt, dass das Baby bei diesem Eingriff ein Gewicht von fünf Kilogramm erreicht haben sollte. Was den "besten" Zeitpunkt für die Operation des Gaumens angeht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Auf der einen Seite sollte der Gaumen frühzeitig verschlossen werden, um eine ungehinderte Sprachentwicklung zu ermöglichen. Auf der anderen Seite sollte der Eingriff möglichst spät erfolgen, weil die Narben das Wachstum des Kiefers stören können. In den meisten Zentren hat sich deshalb durchgesetzt, dass die Kinder in etwa mit einem Jahr operiert werden – also zu einem Zeitpunkt, an dem sie mit dem Sprechen lernen so richtig anfangen.

Um das Behandlungsergebnis so optimal wie möglich zu gestalten, können aber bis ins Erwachsenenalter noch weitere Operationen erforderlich sein. Dazu gehören ästhetische Korrekturen wie eine Verlängerung der Lippen oder des Nasenstegs, aber auch sprachverbessernde Eingriffe. Manchmal muss der Kieferkamm noch verschlossen werden, wenn er schon verknöchert ist. Das geschieht in etwa im Alter von neun Jahren.

Falls das Kind Probleme beim Hören hat und/oder unter wiederkehrenden Mittelohrentzündungen leidet, kann der Arzt frühzeitig ein Paukenröhrchen einlegen, das für eine ausreichende Belüftung des Mittelohrs sorgt.

Wie ist die Prognose bei einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte?

Dank moderner Operationsmethoden und ergänzender konservativer Therapieverfahren wie der Logopädie und Kieferorthopädie lassen sich Lippen-Kiefer-Gaumenspalten heute sehr gut behandeln. Das gilt sowohl in ästhetischer Hinsicht als auch für die funktionellen Probleme, die mit der Fehlbildung einhergehen. Zumeist gelingt es, Störungen von Sprache, Gehör und Ernährung zu normalisieren, sodass die Kinder sich ohne Einschränkungen entwickeln und ein ganz normales Leben führen können.

Damit Auffälligkeiten und Schwierigkeiten erkannt werden und die behandelnden Ärzte gegebenenfalls frühzeitig eingreifen können, sind regelmäßige Nachuntersuchungen unabdingbar. Diese Routine-Kontrollen sollten bei allen Kindern mit einer Spaltbildung einmal jährlich gemacht werden, bis sie erwachsen sind und ihre Entwicklung abgeschlossen ist.

Kann man einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vorbeugen?

Es ist ein Stück weit Schicksal, wenn ein Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt kommt. Nichtsdestotrotz lässt sich das Risiko einer Spaltbildung minimieren. Zu den wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen gehört, dass werdende Mütter sich gesund ernähren und auf Alkohol und Zigaretten verzichten. Im Idealfall schon vor der Empfängnis, spätestens aber mit Beginn der Schwangerschaft sollten die Frauen dann Folsäure-Tabletten einnehmen. Experten empfehlen eine Dosierung von 400 µg täglich bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels.

Beratende Expertin: Dr. Dr. med. Wiebke Schupp, Fachärztin für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Freiburg

Quellen:
1. Deutscher interdisziplinärer Arbeitskreis Lippen-Kiefer-Gaumenspalten/kraniofaziale Anomalien: Elterninformationen. Online: www.ak-lkg.de (Abgerufen am 27. 08. 2014)
2. Görtner L, Meyer S und Sitzmann CF: Duale Reihe Pädiatrie.  4. Auflage Thieme-Verlag 2012

3. Interdisziplinäres Zentrum für Gesichtsfehlbildungen Medizinische Hochschule Hannover: Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Online: www.mh-hannover.de/fileadmin/kliniken/gesichts_chirurgie/download/spaltenbroschuere.pdf (Abgerufen am 27. 08. 2014)