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Viele Eltern finden ihre moppeligen Kleinen einfach nur putzig. Doch schon drei, vier Kilo zu viel auf den Rippen sind für Kinder eine Menge. Um am eigenen Leib zu spüren, was das bedeutet, bekommen Eltern in der Berliner Adipositasambulanz an der Charité einen Rucksack aufgesetzt. In diesem stecken Gewichte – proportional auf die Körpergröße hochgerechnet. "So spüren Eltern, welche Last ihre Kinder zusätzlich schleppen müssen. Vielen zeigt das erst, wie groß das Problem Adipositas tatsächlich ist", sagt Dr. Susanna Wiegand. Sie leitet die Adipositassprechstunde an der Kinderklinik der Charité in Berlin sowie die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Zu ihr kommen Kinder mit sehr starkem Übergewicht, die professionelle Hilfe brauchen.

Der Body-Mass-Index als Orientierungshilfe

Doch wie viel ist zu viel? "Entscheidend ist der Body-Mass-Index", sagt Wiegand. Der Body-Mass-Index (BMI) wird mit einer speziellen Formel aus der Körpergröße und dem Gewicht berechnet und sollte innerhalb der entsprechenden Normkurven der Kinder liegen. "Wer schwerer als 90 Prozent der gleichaltrigen Kinder ist, schleppt zu viele Kilos mit sich herum. Wer schwerer als 97 Prozent ist, hat sogar sehr starkes Übergewicht. Wir bezeichnen das als Adipositas", erklärt Wiegand. Doch es gibt auch Ausnahmen: So liefert der BMI bei Kindern mit einem sehr athletischen Körperbau und vielen Muskeln falsche Hinweise.

Zeit zum Eingreifen

"Bei Babys bin ich gnädig, sie brauchen die Fettreserven für Krankheitsphasen", sagt Dr. Hermann Josef Kahl, Bundespressesprecher der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. Aber spätestens mit einem Jahr spricht der Kinderarzt Eltern übergewichtiger Kinder auf das Gewicht an, um sie bereits vorab für das Thema zu sensibilisieren.

Frühzeitiges Handeln ist wichtig. Denn übergewichtige Kinder wiegen nicht nur zu viel. Für sie ist jede Bewegung anstrengender als für normalgewichtige Kinder. Sie werden oft gehänselt und die zusätzlichen Kilos legen den Grundstein für Erkrankungen, die das ganze Leben beeinträchtigen können. Bei Kindern im Vorschulalter sind Krankheiten, die durch das Übergewicht ausgelöst werden, noch selten. "Ab dem Schulalter zeigen sich die ersten Symptome", sagt Wiegand. Der Blutdruck steigt, die Leber verfettet, ein Diabetes kann sich entwickeln.

Was Eltern gegen das Übergewicht ihrer Kinder tun können

Die Ursache für Übergewicht ist nur in etwa einem Prozent der Fälle eine Erkrankung. Zumeist spielen das Unwissen der Eltern, zu wenig Bewegung und zu viel Essen oft die Hauptrolle. Doch eine Diät muss in der Regel nicht sein. "Eine gesunde und ausgewogene Ernährung reicht völlig, dann normalisiert sich bei Kindern im Vorschulalter das Gewicht mit der Zeit", sagt Kahl.

Um die gesunde Entwicklung des Nachwuchses zu fördern, empfehlen die Experten:

Alltagsanalyse!
Was isst das Kind überhaupt? Wo stecken die Zuckerfallen?

Weg mit den süßen Getränken!
Eistee, Limo, Saft, Smoothies und süße Milchgetränke liefern große Mengen Energie. Wasser und ungesüßter Tee sind die bessere Wahl.

Regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten
Auf den Tisch sollen viele frische Produkte, Gemüse, Obst, Vollkorn kommen. Die Ernährungspyramide des Bundeszentrums für Ernährung zeigt, wie das Essen zusammengestellt werden kann. "Spezielle Kinderlebensmittel für Kleinkinder sind unnötig", sagt Wiegand. Und es gilt: Fernseher und andere Medien sind beim Essen tabu.

In Maßen nicht in Massen
Süßigkeiten und Fastfood lassen Kinderherzen schneller schlagen. Trotzdem gehören sie nur selten und in kleinen Portionen auf den Tisch.

Bewegen, bewegen und noch mehr bewegen
Schon die Kleinsten sollten sich drehen und wenden dürfen. Wer in Buggy oder Kindersitz stundenlang verharrt, trainiert keine Muskeln. Ältere Kinder sollten regelmäßig raus – auf den Spielplatz, in den Park, in den Wald. Wichtig ist es, möglichst viel zu laufen, zu springen und zu klettern. "Die unangeleitete Bewegung im Freien ist für Kinder am besten", sagt Wiegand.

Medienfreie Zone
Fernseher und Tablets haben in Kinderzimmern nichts verloren. In der Zeit, in der die Kinder auf den Bildschirm glotzen, bewegen sie sich nicht.

Ausreichend schlafen

Zum Abnehmen zur Kur?

Die Tipps klingen leicht, sind allerdings für viele Eltern nicht so einfach umzusetzen. Ist das Kind übergewichtig, gibt es ambulante Angebote, wie zum Beispiel die Adipositas-Sprechstunde für Kinder an der Charité. Aber diese Angebote sind für kleine Kinder in Deutschland rar. In Absprache mit dem Kinderarzt steht für Familien auch eine Reha zur Wahl.

"Zu uns kommen schon kleine Kinder mit ihren Eltern", sagt Dr. Markus Koch, leitender Oberarzt der Rehabilitationsklinik Hochried. Während der vierwöchigen Reha-Kur sollen nicht nur Fettpolster schmelzen und Muskeln aufgebaut werden. Die Kinder sollen auch einen gesünderen Lebensstil kennenlernen. Daher stehen neben Sport und regelmäßiger Bewegung im Freien auch Gespräche über gesunde Ernährung auf dem Programm. "Die Kinder müssen wieder Spaß an der Bewegung finden", sagt Koch.

Die Eltern sind wichtiger Bestandteil der Reha. Sie werden in ihrer Rolle als Vorbild gestärkt und lernen, was sie im Alltag anders machen können: Was ist gesundes Essen? Wie wird eine Mahlzeit zusammengestellt? Wie kommt mehr Bewegung in den Alltag? Es gibt Kochkurse, Einkaufstrainings und eine Ernährungsberatung. Viel Wissen in kurzer Zeit.

Die Kinder verlieren während der Zeit in der Reha im Schnitt etwa zehn Prozent des Ausgangsgewichtes. Erhöhte Blutdruck- und veränderte Leberwerte können sich durch den Gewichtsverlust wieder normalisieren. Und zu Hause? "Viele Familien wollen etwas ändern und sind sehr motiviert", sagt Koch.

Wer zahlt die Reha?

Gut 80 Prozent der Reha-Maßnahmen werden von der Deutschen Rentenversicherung bezahlt. Seit einigen Jahren ist die Diagnose Adipositas alleine ausreichend als Grund für eine Reha. Bei leichterem Übergewicht wird eine Rehabilitation genehmigt, wenn weitere Beschwerden wie z.B. Bluthochdruck oder gar ein Diabetes vorliegen. Der Antrag lässt sich auf den Seiten der Rentenversicherung herunterladen; dort gibt es auch eine Anleitung, was zu tun ist. So muss der Kinderarzt die Reha befürworten und die Gründe im Antrag darlegen. Mehr Informationen und Antragsformulare bietet die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Rehabilitation und Prävention.

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