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Die Frage "Tragetuch oder Tragehilfe?" stellt sich heute so nicht mehr. "Es gibt eine Vielzahl von Produkten, der Übergang ist fließend", sagt Ulrike Höwer, Leiterin der "Die Trageschule" in Dresden. Deshalb falle es vielen Eltern auch so schwer, sich in der Flut der Produkte zurecht zu finden. Es gibt Tragetücher aus gewebtem und elastischem Stoff, sogenannte Ring Slings, bei denen das Tuch mithilfe von Ringen gehalten wird und die unterschiedlichen Varianten der Tragehilfe. "Die Urform ist die Mei Tai: Ein quadratisches Tuch mit vier Bändern", sagt Höwer. "daraus entwickelt haben sich dann Tragehilfen mit Schnallen am Hüftgurt, sogenannte Half Buckles, und solche mit zusätzlichen Schnallen an den Trägern, sogenannte Full Buckles."

Worauf kommt es beim Tragen an? Das erklärt Höwer zusammen mit der Kinderphysiotherapeutin und Trageberaterin Birgit Kienzle-Müller aus Bad Friedrichshall. Zusammen haben sie verschiedene neue Konzepte in der Trageberatung entwickelt und mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht. "Wir vertreten zum einen das sogenannte meilensteingerechten Tragen", erklärt Höwer. "Dabei wird die Art zu tragen immer der motorischen Entwicklung des Kindes angepasst." Außerdem ist den beiden Expertinnen das Konzept der gemischten Lösungen wichtig: Eltern sollten ihr Kind in wechselnden Positionen am Körper tragen. Das sei sowohl gut für die Eltern, weil sie nicht durch immer gleiches Tragen einseitig belastet werden, aber auch für das Kind, weil es verschiedene motorische Anregungen bekommt.

Trageposition der Situation anpassen

Dafür müssen Eltern immer wieder neu entscheiden, welche Trageposition für sie und ihr Kind die richtige ist. "Wichtig ist zum einen das Bauchgefühl der Eltern für die Bedürfnisse ihres Kindes – aber auch für ihre eigenen Bedürfnisse", erklärt Kienzle-Müller. Die Trage müsse zu beidem passen – und die Bedürfnisse könnten sich auch im Laufe der Zeit verändern. "Der Anspruch, dass die Trage vom Neugeborenen bis zum Kleinkind passt, erfüllt eigentlich nur das Tragetuch", gibt Höwer zu. "Aber genau, wie das Spielzeug und die Kleidung nicht die ganze Zeit über passen, ist das eben auch mit der Trage. Und genau wie erstere kann man Tragen ja auch Secondhand kaufen oder untereinander tauschen."

Die Expertinnen raten, dass sich Eltern gut mit dem Thema beschäftigen und von Hebamme oder Trageberaterin Feedback holen sollten, bis sie sich sicher und wohl fühlen. Beim Neugeborenen plädieren sie noch für etwas Zurückhaltung. "Da muss sich die Mutter erst einmal im Wochenbett erholen und das Kind in der Welt ankommen", so Höwer. Wenn sie dann mal kurz um den Block gehen wolle, sei das Tragetuch, in dem das Kleine fest gebunden an Mutter oder Vater liege, die beste Lösung. "Für ein sechs bis acht Wochen altes Kind eignen sich bereits verschiedene Produkte, die aber alle noch gut stabilisieren sollten", so Kienzle-Müller.

Wichtig: Die richtige Haltung beim Kind

"Das Wichtigste ist, dass das Kind die richtige Haltung einnimmt", sagt die Expertin. "Das ist ein tiefer Sesselsitz, bei dem das Kind aufgerichtet, das Becken aber leicht gerundet ist. Das ist bei Babys anfangs natürlich." Die Beine sollten sich in einer angehockten und leicht gespreizten Stellung befinden, die Knie zeigen etwas nach außen. "So kommen die Hüftgelenke in ihre optimale Position", sagt Kienzle-Müller. "Das unterstützt ihre Nachreifung." Die Wirbelsäule des Kleinen sollte nicht überstrecken, dabei würde der Kopf nach hinten wegkippen. Ist es im Hohlkreuz, erkennt man das daran, dass seine Füßchen nach hinten stehen. "Es sollte aber in der Brustwirbelsäule auch nicht zu rund liegen, sonst kann es nicht mehr gut atmen", so Höwer. Neugeborene würden natürlicherweise etwas runder liegen, als ältere Kinder, dies hänge mit der stärkeren Anhockung zusammen aber nicht mit einem runden Rücken, wie oft fälschlich angenommen werde. Die Arme sollten angewinkelt sein und nicht nach unten hängen. "Eltern sollten gucken: Wer ist Herr der Situation, die Schwerkraft oder das Kind?", regt Höwer an. "Wenn das Kind ständig gegen die Schwerkraft ankämpfen muss, ist die Haltung nicht richtig."

Straffes Binden stützt das Baby

Wenn das Tuch oder die Trage dem Kind einen guten Halt geben und  alles fest genug sitzt, nimmt auch der Kopf eine ideale Postion ein. Die Beine des Kindes sollten auch, wenn es entspannt ist – also zum Beispiel schläft – in Hockstellung bleiben. Vor dem dritten Lebensmonat kann das Baby sein Köpfchen noch nicht selbst halten. "Dann muss die Fläche zwischen den Schulterblättern gut gestützt sein", sagt Kienzle-Müller. "Das Tuch soll zudem im Nacken nicht einschneiden. Dazu können die Eltern das Tragetuch im Nackenbereich mit einem kleinen Tüchlein leicht polstern."

Viele Tragehilfen bieten eine Einstellmöglichkeit für Kinder in den ersten Lebenswochen. "Dabei sollte das Baby gut gestützt und die Beine nicht überspreizt sein", so Höwer. "Manchmal denken Eltern, dass der Kopf zusätzlich mit einer Kopfstütze gehalten werden muss. Doch Material über dem Kopf kann das Baby in seiner Bewegung und Atmung einschränken." Das Baby sollte den Kopf immer gut bewegen und frei atmen können, rät die Expertin.

Nicht immer nur vor der Brust tragen

Mit vier bis fünf Monaten ist der Rücken des Kindes soweit entwickelt, dass sich das Kleine mit einer Hand abstützen und im oberen Brustkorb drehen kann, um so in Bauchlage nach einem Spielzeug zu greifen. Diese neue Fähigkeit zeigt das Baby auch in der Trage. "Es stemmt sich dann oft vom Brustkorb der Eltern weg", so Höwer. "Viele Eltern glauben dann, das Kind wolle nicht mehr getragen werden." Dabei wolle es womöglich lediglich etwas mehr sehen. "Wenn es für Kind und Eltern passt, können sie dann beispielsweise probieren, das Kleine seitlich auf der Hüfte zu tragen", erklärt Kienzle-Müller. Mit fünf Monaten kann das Kind schon mit beiden Hände über die Mitte greifen. "Dann ist ein guter Zeitpunkt, das Tragen auf dem Rücken zu probieren, wenn Baby und Eltern das wollen", Höwer. "Das Kind ist motorisch schon soweit stabil, aber es kann sich noch nicht drehen. Das macht das Üben für die Eltern einfacher." Kleinere Babys sollten unbedingt weit oben am Rücken getragen werden – mit dem Tragetuch oder einer geeigneten Trage. Erst, wenn das Kleine motorisch soweit entwickelt ist, dass es von selbst in den schräg abgestützten Sitz kommt, kann es auch weiter unten am Rücken getragen werden.

Auch nach vorne tragen ist laut den Expertinnen bei Kindern ab fünf bis sechs Monaten im Rahmen des Konzeptes der gemischten Lösungen in Ordnung. "Eltern halten ihre Kinder ja auch ab einem gewissen Alter nach vorne gedreht auf dem Arm", so Höwer. "Dieselbe Position ist in der Trage auch in Ordnung." Dabei komme es darauf an, dass das Kind nicht in der Trage eingezwängt ist, sondern eine Haltung einnimmt, die der natürlichen auf dem Arm entspricht. "Mit manchen Produkten geht das, mit anderen nicht", so Höwer. Und: Natürlich komme es auf das Kind und die Situation an. "Die Trageposition ist für spielerische Aktivitäten geeignet, nicht für den Transport", so Höwer. "Zum Beispiel vor dem Spiegel oder im Park zum Blumen angucken." Wenn viel Trubel ist oder die Eltern merken, dass das Kind Ruhe braucht, sollten sie diese Position dagegen meiden.

Tragetuch und Tragehilfe richtig anlegen

Mit dem Tragetuch sind viele Bindetechniken möglich, es kann individuell auf das Kind angepasst werden. Ein gewebtes Tuch sollte 4,60 m lang und 60 cm breit sein. "Richtig gebunden passt es für jedes Kind und für jeden Tragenden", sagt Kienzle-Müller. Die Tücher ähneln sich zwar sehr, können aber jeweils andere Bindeeigenschaften haben. "Daher ist es gut, vor dem Kauf unterschiedliche Modelle auszuprobieren", sagt Kienzle-Müller. Neben den gewebten Tüchern gibt es das elastische Tragetuch.

Auch bei Tragehilfen sollten sich Eltern vor dem Kauf ausgiebig beraten lassen und verschiedene Modelle mit dem Kind ausprobieren. Eine Tragehilfe passt, wenn das Baby – wie oben beschrieben – die richtige Haltung hat und wenn sich Eltern und Baby beim Tragen wohl fühlen.

Checkliste für die richtige Tragehilfe:

  • Der Stoff der Tragehilfe muss sich am Rücken des Kindes anschmiegen.
  • Sie ermöglicht die richtige Beckeneinstellung und Haltung der Beine beim Kind.
  • Der Stoff zwischen den Beinen des Kindes sollte von Kniekehle zu Kniekehle reichen, sodass die Knie des Kindes auch im entspannten Zustand angehockt bleiben.
  • Das Kind kann sein Gewicht an den Körper des Trägers abgeben, dieses verteilt sich dort gleichmäßig. 
  • Nichts sollte einschneiden oder drücken.

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