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Gerade hat die Mama noch das Kunstwerk des Nachwuchs-Picassos bewundert, da dreht sie sich kurz um – schon ist der Kindermund farbverschmiert. Fingerfarben, Buntstifte oder Filzer landen nicht immer nur auf dem Blatt: Kleine Kinder stecken sie auch manchmal in den Mund. Ist das gefährlich?

Was viele nicht wissen: Farben und Stifte, die für Kinder gedacht sind, fallen in Deutschland bezüglich ihrer Inhaltsstoffe unter die Bestimmungen für Spielzeug und werden daher bei Grenzwerten für potentiell schädliche Substanzen besonders genau unter die Lupe genommen. Allerdings gibt es Ausnahmen. „Zum Beispiel gilt ein Radiergummi in Tierform als Spielzeug, genau wie Filzstifte in einer Verpackung und Farbpaletten, die für Kinder gestaltet sind“, erläutert Dr. Kristin Lorenz, Mitarbeiterin der Fachgruppe Sicherheit von Verbraucherprodukten am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). „Ein normaler Büro-Radiergummi, Textmarker oder auch Filzstifte in feinen Farbabstufungen, die für Künstler vorgesehen sind, dagegen nicht.“ Lorenz verweist darauf, dass die Übergänge bei diesen Produkten teilweise fließend sind und letztlich die Behörden des Risikomanagements entscheiden, was als Spielzeug zu betrachten ist. Sie stellt auch klar: „Der Begriff „giftig“ ist im Zusammenhang mit Farben für Kinder nicht zutreffend. Denn unter einer Vergiftung versteht man einen zeitnahen gesundheitlichen Effekt, der beispielsweise unmittelbar zum Erbrechen oder zu Organschäden führen kann.“

Produktsicherheit: Hersteller ist verantwortlich

Problematisch könnten bei Malutensilien eher mögliche Langzeitwirkungen sein. Gesetzliche Vorgaben sollen Verbraucher davor schützen. „Da die Substanzpalette sehr groß ist und immer wieder mal neue Stoffe verwendet werden, kann der Staat aber nicht für jeden Stoff und jedes Produkt Grenzwerte festlegen“, erklärt Kristin Lorenz. „Weil letztlich nur die Hersteller beziehungsweise die Händler wissen, was in den Produkten enthalten ist, lautet die Vorgabe: Sie müssen sicherstellen, dass ihre Produkte den gesetzlichen Vorschriften entsprechen und die Gesundheit nicht gefährden.“ Für bestimmte Stoffe, die als kritisch beurteilt werden, gibt der Staat zusätzlich Grenzwerte vor. Bei Spielezeug sind das unter anderem krebserzeugende Stoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), primäre aromatische Amine, Schwermetalle und allergieauslösende Stoffe wie Nickel oder auch Duftstoffe und einige Konservierungsmittel. Die Grenzwerte werden strenger festgelegt als bei vielen anderen Produkten, um die Gesundheit der Kinder zu schützen.

Neue Erkenntnisse: Grenzwerte können sich ändern

Und wie kommen die Messwerte zustande? „Risikobasierte Grenzwerte für einzelne Stoffe in Spielzeug richten sich nach dem aktuellen Wissensstand“, so Expertin Lorenz. Im Tierversuch wird die Menge eines Stoffes ermittelt, die schädlich ist. Davon leiten die Forschenden eine unbedenkliche Menge ab, die ein Mensch über seine Lebenszeit aufnehmen kann. Manchmal kann diese Information aber auch direkt aus Beobachtungsstudien am Menschen hergeleitet werden. Anschließend wird festgelegt, zu welchem Prozentsatz Spielzeug zur täglichen Aufnahme eines Stoffes beitragen darf. So berücksichtigt man, dass der Mensch den Stoff auch aus anderen Quellen wie Nahrung oder Trinkwasser aufnehmen kann. „Sobald neue Erkenntnisse über die Stoffe bestehen, werden die Grenzwerte jeweils angepasst“, sagt Lorenz.

So gelten für Spielzeug seit 2018 zum Beispiel niedrigere Grenzwerte für die Freisetzung des Schwermetalls Blei. Für die negativen Effekte von Blei auf die Gehirnentwicklung von Kindern konnte bisher keine sichere Dosis abgeleitet werden. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ist bereits eine orale Aufnahme von 0,5 Mikrogramm Blei pro Kilogramm Körpergewicht und Tag mit einem geringen Risiko für die Abnahme des Intelligenzquotienten um durchschnittlich 1 Punkt verbunden. Das berücksichtigend und unter der Annahme, dass ein Kind täglich geringe Mengen an Spielzeugmaterial verschluckt, wurden die aktuell gültigen Freisetzungsgrenzwerte abgeleitet. Somit dürfen Buntstiftminen nur noch zwei statt 13,5 Milligramm Blei pro Kilogramm Spielzeug enthalten, Fingerfarben nur noch 0,5 statt 3,4 Milligramm.

Bei schweren Mängeln Rückruf oder EU-weite Warnung

Generell gilt die Qualität in Deutschland verkaufter Produkte als gut. Doch wie bei allen anderen Produktgruppen gibt es Ausreißer. Der Hersteller muss zwar für seine Produkte eine Sicherheitsbewertung durchführen – entweder in der eigenen Firma oder durch eine externe Prüfgesellschaft. Doch bei den regelmäßigen Stichproben, die staatliche Kontrollinstanzen durchführen, werden immer wieder mal Mängel festgestellt. „Die Konsequenz kann zum Beispiel ein Rückruf des Produkts durch den Hersteller oder Handel beziehungsweise eine Beanstandung durch die Überwachungsbehörden sein oder auch eine EU-weite Warnung über das eigens dafür vorgesehene Schnellwarnsystem Safety Gate", berichtet Kristin Lorenz. In der jährlichen Auswertung der Schnellwarnmeldungen sei zu sehen, dass Spielzeug relativ häufig gemeldet wird – allerdings aus verschiedensten Gründen.

Produkte mit GS-Siegel

Tipp an die Eltern: Beim Kauf die Nase benutzen! „Ein unangenehmer Geruch kann ein Signal dafür sein, dass die Qualität nicht so gut ist“, weiß Lorenz. Darüberhinaus sollten immer die auf den Produkten angegebenen Sicherheitshinweise beachtet werden.

Orientierung beim Kauf können Prüfsiegel wie beispielsweise das GS-Zeichen bieten. Dahinter stehen zusätzliche freiwillige Prüfungen, die der Hersteller bei einem unabhängigen Labor in Auftrag geben kann. Die Kriterien zur Vergabe dieser Siegel sind teilweise strenger als die gesetzlich vorgegebenen. Allerdings müssen auch Produkte ohne Prüfsiegel sicher sein. Da laut TÜV-Verband zunehmend gefälschte Waren ohne jegliche Schadstoffüberprüfung auf den Markt gelangen, sollten Eltern die Hinweise auf der Verpackung genau studieren: Kommen im Produktnamen Rechtschreibfehler vor? Oder wird eine unübliche Altersgruppe genannt, etwa „empfohlen von 0 bis 5 Jahren“, anstatt der gängigen Einstufung 0 bis 3 Jahre? Das sind Hinweise auf Produktfälschungen.

Was gilt für einzelne Farben und Stifte?

Fingerfarben

Fingermalfarben sind schon für Kleinkinder geeignet. Ein eigener Abschnitt in der europäischen Norm für Spielzeug, DIN EN 71 Teil 7, regelt ihre Inhaltsstoffe. „Dieser Normenteil legt unter anderem fest, welche Farb- und Konservierungsstoffe in Fingerfarben enthalten sein dürfen und in welchen Mengen“, erklärt Martina Junk, stellvertretende Pressesprecherin des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Die Norm schreibt auch vor, dass in den Farben Bitterstoffe wie Naringin zugesetzt werden müssen. Dieser kommt zum Beispiel in Grapefruits vor. Er soll verhindern, dass Kinder die Malfarben in größeren Mengen verschlucken. Um den Kontakt zur Farbe zu minimieren, empfiehlt sich ein Malkittel und das anschließende gründlichen Abwaschen von Fingerfarbe, die auf die Haut gelangt ist. Angebrochene Farbbecher lassen sich übrigens laut TÜV-Verband nicht monate- oder jahrelang aufbewahren. Denn es bilden sich recht schnell Schimmelsporen oder schädliche Keime. Der Hinweis „länger haltbar“ sollte aber auch kein Kaufanreiz sein. In einer Ökotest-Untersuchung vom Dezember 2021 zeigte sich nämlich, dass dann teilweise Konservierungsmittel und pilzhemmende Stoffe zugesetzt wurden, die etwa die Schleimhäute reizen Allergien auslösen können.

Straßenkreiden

Laut BfR ist gewöhnliche Straßenkreide für Kinder ungiftig. Allerdings warnt das Institut, dass bei kleinen Kindern Kreide in die Luftwege gelangen kann. Eltern sollten ihr Kind also nicht unbeaufsichtigt spielen lassen und den Notarzt rufen, falls es nach dem Verschlucken von Kreide Atembeschwerden hat. Und Vorsicht: Professionelle Künstlerkreiden können laut BfR giftige Pigmente enthalten. Sind Eltern unsicher, ob ihr Kind etwas Giftiges gegessen hat, sollten sie sich an den Giftnotruf wenden. "Wenn Sie das Produkt nennen, können wir meist schnell Auskunft geben", sagt Anja Michel, Humantoxikologin bei der Vergiftungs-Informations-Zentrale der Uniklinik Freiburg. Bei starken Beschwerden müssen Eltern sofort den Notarzt rufen.

Blei- und Buntstifte

Blei- und Buntstifte müssen in Deutschland ebenfalls gesetzliche Anforderungen erfüllen. „Bleistifte enthalten heute kein Blei mehr“, sagt Anja Michel. "Auch der Lacküberzug solcher Stifte ist in der Regel ungefährlich, wenn Kinder daran lutschen." Wer ganz sichergehen will, kauft unlackierte Buntstifte mit Holzverkleidung. Daran herumknabbern sollten Kinder in beiden Fällen möglichst nicht: Es besteht Splitter- und Verletzungsgefahr. Vor dem Farbstoff einer Stiftart warnt die Expertin explizit: „Kopierstifte – vor allem blaue – enthalten manchmal Methylviolett, das die Schleimhäute stark reizen kann.“ Solche Stifte gehören nicht in Kinderhände.

Filzstifte

Filzstifte zaubern leuchtende Farben aufs Papier. Und sehen interessant aus: Wie fließt bloß die Farbe aus der filzigen Spitze? „Wenn ein Kind die Filzstiftspitze kurz in den Mund nimmt, ist das meistens unproblematisch“, meint Michel. Lutscht es sehr lange daran oder beißt ihn auf, sollten die Eltern sich vorsichtshalber an den Giftnotruf wenden und das Produkt nennen. Wenn etwas von dem Stift abgebissen und geschluckt wurde, ebenso. Für die Inhaltsstoffe von Filzstiften gibt es in Deutschland zwar genaue Regelungen. Trotzdem gilt: Filzstifte sind nicht zum Essen gedacht. Auch Stiftkappen gehören nicht in den Mund, die Kinder könnten sich daran verschlucken.

Wachsmalkreiden

Wachsmalstifte und -kreiden enthalten je nach Produkt unterschiedliche Stoffe. „Wurde das Produkt in Deutschland gekauft, ist es nicht gefährlich, wenn ein Kind es mal in den Mund steckt“, erklärt Michel. Isst das Kleine jedoch von einer ölhaltigen Kreide, sollten es die Eltern anschließend für einige Zeit beobachten. „Es könnte mit Magen-Darm-Beschwerden reagieren“, sagt Anja Michel „Wenn es nichts essen will, kann es sein, dass ein Stück in Darm oder Speiseröhre stecken geblieben ist. Wenn das Kind anfängt zu husten, muss ausgeschlossen werden, dass etwas in die Luftwege gelangt ist.“ In diesen Fällen sollten die Eltern mit ihm zum Arzt.

Was tun im Notfall?

Wie sollten Eltern im Notfall reagieren, wenn Ihr Kind Farbe zu sich genommen hat? „Wichtig ist: nie Erbrechen auslösen“, so Anja Michel. „Das hat man früher empfohlen, aber heute weiß man, dass es oft gefährlich ist.“ Stattdessen gelte: Wassermischbare und -lösliche Farben sind meist unproblematisch. Dann die Gitftinformationszentrale anrufen. Das Kind sollte ein paar Schlucke Wasser trinken, sofern die Giftinformationszentrale nichts anderes rät. Vor allem Farben auf Lösemittelbasis können dagegen schädlich oder giftig sein. Dann unbedingt mit der Verpackung oder dem Stift in der Hand den Giftnotruf anrufen oder bei schweren Symptomen wie Atemnot oder Ohnmacht sofort den Notarzt verständigen.