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Behütet. Dieses Wort umschreibt wunderbar, wie das Leben eines Kindes beginnt. Im Bauch der Mama wird es rundum versorgt – mit allem, was es braucht, um sich zu entwickeln. Ausgesetzt. So geht es nach der Geburt weiter. Aus der sicheren Umgebung im Mutterleib wird das Baby hinauskatapultiert in das Leben draußen. Auf einmal ist es konfrontiert mit Keimen, ­Viren und Bakterien. "Wir kommen als unbeschriebene Tafel zur Welt. Jeder muss sich selbst einen Schutz vor Erregern auf­bauen", sagt Professor Philipp Henneke, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Infektiologie und Rheumato­logie am Universitätsklinikum Freiburg.

Der Nestschutz: Maßgeschneiderter Antikörper-Mix

Und doch: So ganz hilflos sind die Kleinen den Attacken von Krankheits­­erregern nicht ausgeliefert. Denn sie haben etwas mitbekommen, das sie in den ersten Lebensmonaten beim Kampf gegen Krankheitserreger unterstützt: den Nestschutz. "Aus dem mütterlichen Blut gehen über die Nabelschnur Anti­körper direkt in das Blut des Kindes über", erklärt der Kinder- und Jugendarzt. Antikörper sind Eiweißmoleküle, die Krankheits­­erreger erkennen können. Das Baby leiht sich quasi die Immunität seiner Mutter. Je nachdem, ob diese gerade einen Infekt durchgemacht oder ­eine Impfung bekommen hat, verfügt es über eine höhere oder niedrigere Zahl an Anti­körpern. Deshalb ist der Nestschutz immer maßgeschneidert.

Prof. Dr. med. Philipp Henneke leitet die Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg

Prof. Dr. med. Philipp Henneke leitet die Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg

Stunde null. Sie beginnt, sobald die Nabelschnur durchgeschnitten ist. Nun bekommt das Neugeborene keine Anti­körper mehr nachgeliefert, es sei denn, seine Mama stillt es. "Die in der Muttermilch enthaltenen Antikörper sind aller­dings unspezifisch. Antikörper, die ein Kind über das Blut erhalten hat, reagieren spezifischer mit Viren und Bakterien", sagt Henneke. Circa drei Monate wirkt der Nestschutz gewissen Krankheiten ent­gegen. Aber dann lässt er mit der Zeit nach.

Immunabwehr ersetzt Nestschutz

Parallel zu diesem Abbau arbeitet der Organismus des Kindes jedoch bereits an der eigenen Immunabwehr. Da es zunehmend soziale Kontakte hat und mit seiner Umwelt in Berührung kommt, baut es mit jedem Erregerkontakt sein Immunsystem ein Stück weiter auf. Jeder Infekt trägt dazu bei, aber auch die Impfungen gegen Krankheiten, mit denen ab dem zweiten Monat begonnen wird. "Es sind drei Säulen, die einem Kind zur eigenen Abwehr verhelfen: der Nestschutz, das Stillen und die Impfungen", erklärt der Experte.

Bis das Immunsys­tem voll entwickelt ist, vergehen ­Jahre. Sollten Eltern deshalb gerade in den ersten Lebensmonaten ihres Kindes besonders vorsichtig sein und beispielsweise Menschenansammlungen meiden? "Jein", sagt Philipp Henneke. Einerseits sind Säuglinge in gewissem Maße durch die Antikörper der Mutter geschützt. Andererseits schreiten Infektionen, wenn das Kind sich eine einfängt, eventuell sehr schnell voran. Zudem sind sie schwer zu diagnostizieren. "Dies ist eine fragile Phase", so ­Henneke. Menschenansammlungen zur Grippezeit sollten frischgebackene Eltern deshalb tatsächlich aus dem Weg gehen. Was jedoch auch Säuglingen guttut: Spaziergänge an der ­frischen Luft.

Frühgeborene haben höheres Infektionsrisiko

Besondere Vorsicht ist bei extremen Frühchen nötig. Da die Weichen für den Nestschutz vor allem im letzten Schwangerschafts­drittel gestellt werden, besitzen ­diese ­Babys fast keine Abwehrstoffe der Mutter. Sie können sehr schnell an einem Infekt erkranken und diesem wenig entgegenhalten. Manche Kinder kommen auch mit einer angeborenen Störung des Immunsystems zur Welt. "Für die Betroffenen ist das lebensbedrohlich, allerdings kommt dies nur sehr selten vor", sagt Philipp Henneke.

Manche Kinder sind später ständig krank – manche selten

Solange jedoch ein gesundes ­Baby seinen Nestschutz hat, leidet es kaum unter banalen Infekten. Sobald der Nestschutz nachlässt, ändert sich das. ­­Eltern spüren das meist in der zweiten ­Hälfte des ers­ten Lebensjahres. Gerade wenn ein Kind regel­mäßig an­dere ­Babys trifft, etwa in der Krabbel­­gruppe, es ein älteres Geschwister hat, das schon in den Kinder­garten geht, und zusätzlich Winter herrscht, fängt es sich gerne einen Infekt nach dem anderen ein. "Fünf bis sechs Infekte in einem Winter sind völlig normal", erklärt ­Philipp ­Henneke. Babys, die in dem Alter noch viel zu Hause sind, machen die Phase meist erst später durch.

Es scheint aber auch Kinder zu geben, die nie krank sind. Als "­stille Feiung" bezeichnen Kinder­ärzte das Phänomen. Denn die Kleinen schnappen durchaus Erreger auf, ihr Körper setzt sich aber im Stillen mit ihnen auseinander. Das Immunsystem lernt auch auf diese Weise. Selbst bei Geschwistern kann ­die Reaktion auf Erreger sehr unterschiedlich ausfallen. Warum das so ist, wissen die Ärzte nicht. Was sie allerdings wissen: "Egal ob ein Kind in seinem ersten Lebensjahr viel krank ist oder nicht – auf seine spätere Gesundheit wirkt sich dies nicht aus."

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