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Manchmal sind es zufällige Beobachtungen, die Eltern stutzig machen: Der Griff in die Spielzeugkiste geht schon zum dritten Mal ins Leere, und das Kind stolpert ständig über seine Sachen. Erste Anzeichen für eine Sehschwäche? Vielleicht.

Welche Möglichkeiten es gibt, das herauszufinden, erläutern unsere Experten Professor Dr. Joachim Esser, leitender Arzt der Sehschule an der Universitätsaugenklinik Essen, und Detlef Reichel, Kinder- und Jugendarzt aus Prenzlau.

Wie bekommt man mit, dass ein Kind schlecht sieht?

Die frühzeitige Diagnose ist schwierig. "Schlechtes Sehen tut ja nicht weh", sagt Augenarzt Esser. Nur deutlich schielenden Kindern sei ein Sehfehler anzusehen. Viele andere Augenprobleme bleiben oft lange unentdeckt. Und deshalb sollten Eltern ihr Kind gut beobachten. Denn: "Die wichtigsten Hinweise ergeben sich aus Verhaltensauffälligkeiten der Kleinen im Alltag", so Kinderarzt Reichel. Sie halten zum Beispiel Bilderbücher ganz nah an ihre Augen oder verwechseln beim Essen Löffel und Gabel.

Wie werden die Augen bei den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen überprüft?

Unmittelbar nach der Geburt (U1) beurteilt der Kinderarzt die Augen des Neugeborenen äußerlich. Einige Tage nach der Geburt (U2) werden die Lichtreaktion und die Beschaffenheit von Pupillen und Hornhaut mit einem Augenspiegel untersucht. Die altersgemäße Entwicklung des Sehvermögens wird auch mit dem sogenannten Brückner-Test überprüft, der Kurz- und Weitsichtigkeit, Hornhautverkrümmung und Schielen aufdecken kann. Durchleuchtung und Brückner-Test führt der Kinderarzt bei allen Vorsorgeterminen von der U2 bis zur U7 durch. "Ab dem dritten und vierten Lebensmonat können wir das Sehvermögen besser einschätzen", erklärt Reichel. "Bei der U4 testen wir, ob die Kleinen ihre Finger betrachten und bespielen können und ob sie schielen." Bei der U7a zwischen dem 34. und 36. Lebensmonat testet der Kinderarzt mit verschiedenen Methoden, ob rechtes und linkes Auge gleich scharf und räumlich sehen können.

Professor Dr. Joachim Esser ist leitender Arzt der Sehschule der Universitätsaugenklinik in Essen

Professor Dr. Joachim Esser ist leitender Arzt der Sehschule der Universitätsaugenklinik in Essen

Wann sollten Eltern mit ihren Kindern zum Augenarzt gehen?

Wenn der Kinderarzt Auffälligkeiten feststellt, überweist er die kleinen Patienten an einen Augenarzt weiter. Für Frühgeborene gehört ein regelmäßiger Check-up der Augen sowieso zum Pflichtprogramm, da sie häufig eine geschädigte Netzhaut haben. Eltern, die selber unter einer Fehlsichtigkeit oder Sehschwäche leiden, sollten ihren Nachwuchs im Alter von ein bis zwei Jahren beim Augenarzt vorstellen. "Sehfehler werden nämlich häufig weitervererbt", erklärt Esser.

Dipl.-Med. Detlef Reichel ist niedergelassener Kinder- und Jugendarzt und hat eine eigene Praxis in Prenzlau

Dipl.-Med. Detlef Reichel ist niedergelassener Kinder- und Jugendarzt und hat eine eigene Praxis in Prenzlau

Sollte jedes Kind in den ersten Lebensjahren einmal augenärztlich untersucht werden?

Ja. Darin sind sich Esser und Reichel einig. Denn trotz gründlicher Vorsorge können beim Kinderarzt viele Sehfehler nicht festgestellt werden. Aber im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern wird so eine Früherkennungsuntersuchung beim Augenarzt hierzulande nur von wenigen Krankenkassen bezahlt. Je früher ein Problem aber erkannt wird, desto besser lässt es sich behandeln. Experte Esser rät Eltern daher, ihre Kinder generell zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr einem Augenarzt vorzustellen.

Aber wie kann man denn schon bei so kleinen Kindern feststellen, ob sie richtig sehen können?

Selbst Säuglinge können schon mit der so genannten Preferential-Looking-Methode untersucht werden. Dabei zeigen Ärzte den Babys Karten mit kleiner werdenden schwarz-weißen Streifenmustern. "Dreht das Kleine sein Köpfchen in die Richtung eines Musters, können wir davon ausgehen, dass es die Streifen mit einer ausreichenden Sehschärfe erkennt", erläutert Joachim Esser. Viele Kinder- und Jugendarztpraxen verfügen mittlerweile außerdem über ein automatisches Refraktometer, welches hilft, Sehfehler etwa ab dem sechsten Lebensmonat zu erkennen. Bei auffälligen Befunden ist der Augenarzt der nächste Ansprechpartner. "Leider übernehmen noch nicht alle Krankenkassen die Kosten für diese Untersuchung", sagt Reichel.

Etwas älteren Kindern zeigt der Augenarzt Tafeln mit unterschiedlich großen Symbolen, die sie im Anschluss auf einer Motivkarte wiedererkennen und zuordnen müssen.

Welche Untersuchungen kommen beim Augenarzt noch auf die kleinen Patienten zu?

"Stellen wir fest, dass das Kind nicht gut sieht, berechnen wir anschließend die Stärke der notwendigen Brillengläser", erklärt Augenarzt Joachim Esser. Es wird natürlich auch überprüft, ob das Kleine schielt und ob es räumlich sehen kann. Mithilfe von Lupe und Lampe schaut sich der Arzt dann den Augenhintergrund an. Dabei bekommt er einen Eindruck von Netzhaut, Sehnerv und den Blutgefäßen.

Welche Sehfehler treten bei Kindern oft auf?

Kurz- und Weitsichtigkeit, Schielstellungen und Hornhautverkrümmungen sind häufige Probleme im Kindesalter. In vielen Fällen können die kleinen Patienten Objekte aus einer bestimmten Entfernung nicht scharf erkennen. Beim Schielen blendet das Gehirn ein Auge aus. So wird zwar verhindert, dass Doppelbilder entstehen, dafür kann das schielende Auge aber schwachsichtig werden.

Warum ist es wichtig, so früh mit der Therapie zu beginnen?

Weil die Schwachsichtigkeit später nicht mehr gut behandelt werden kann. "Da beim Schielen ein Auge ausgeblendet wird, kann das Gehirn nicht lernen, den Seheindruck dieses Auges zu verwerten", erklärt Esser. Gleiches gilt auch bei einer stark einseitigen Fehlsichtigkeit. Mit einem unscharfen Bild kann das Gehirn das Sehen ebenfalls nicht lernen. Die Folgen: Das gesunde Auge übernimmt die alleinige Sehfunktion, das schielende oder fehlsichtige wird schwachsichtig. Und das kann oft schon im Schulalter nicht mehr behandelt werden.

Wie werden Sehfehler bei Kindern behandelt?

Vielen Kindern kann mit einer Brille oder Kontaktlinsen geholfen werden. Beim Schielen oder einer einseitigen Fehlsichtigkeit wird das gesunde Auge mit einem Pflaster abgeklebt. "So ist das andere Auge auf sich allein gestellt und bekommt neue Entwicklungsanreize", erklärt Esser. Sieht das Kind auf diesem Auge zusätzlich schlecht, kriegt es außerdem eine Brille. Die Behandlung mit dem Schielpflaster kann Wochen, Monate, manchmal sogar Jahre dauern. Wenn das nicht hilft, wird die Schielstellung der Augen operiert.

Kann sich ein Sehfehler im Laufe der Zeit wieder verwachsen?

"Die Kurzsichtigkeit bleibt oft bestehen und verschlechtert sich mit zunehmendem Alter sogar", sagt Esser. Weitsichtige Kinder haben aber gute Chancen, dass die Fehlsichtigkeit durch das Wachsen des Augapfels im Jugendalter wieder verschwindet.