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Manche Kinder sind stets ein wenig ungeschickter als ihre gleichaltrigen Spielkameraden. Sie stolpern über die Türschwelle oder fassen ins Leere,­ wenn sie nach einem Bauklotz greifen. Ein kleiner Tollpatsch, könnte man denken. Dabei steckt manchmal ein unerkannter Sehfehler hinter der Unbeholfenheit. Die Welt verschwimmt vor den Augen. Sieht ein Kind in der Nähe genauso unscharf und verzerrt wie in der Ferne, kann das an ­einer Hornhautverkrümmung liegen, im Fachjargon auch Astigmatismus genannt.

Verformte Hornhaut führt zu Stabsichtigkeit

Der Name deutet es schon an: Bei dieser Fehlsichtigkeit ist die Hornhaut verformt. Sie umgibt den Augapfel gemeinsam mit der Lederhaut und schützt ihn vor Verletzungen. Vor allem aber sorgt die Hornhaut dafür, dass das Licht im richtigen Winkel ins Augen­innere fällt. Im Ideal­fall bildet sie eine gleichmäßige Kugeloberfläche. Beim Astigmatismus weicht sie von dieser Form ab.

Dr. med. Wilhelm Happe, Kinderaugenarzt in Kiel, erklärt das seinen Patienten so: "Stellen Sie sich das Auge wie einen Tennisball vor, der in einem Schraubstock steckt. Wenn leichter Druck ausgeübt wird, werden die durch die Hornhaut ins Auge treffenden Lichtstrahlen nicht mehr punktgenau gebündelt. Stattdessen erfolgt eine gleichmäßige Verzerrung. Zum Beispiel wird ein am Himmel gesehener, punktförmiger Stern auf der Netzaut als kurze Linie abgebildet." Das Phänomen nennt man daher auch Stabsichtigkeit. Wer das nachempfinden will, braucht nur durch ein leeres Wasserglas zu schauen.

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Verschwommene Bilder

Ist die Hornhaut des Auges perfekt rund, werden parallele Lichtstrahlen so gebrochen, dass sie sich in einem Punkt auf der Netzhaut treffen. In der Netzhaut sitzen die Sehsinneszellen, die das einfallende Licht messen. Ist die Hornhaut hingegen gekrümmt, geraten Lichtstrahlen quasi auf die schiefe Bahn. Sie treffen nicht mehr punktgenau auf die Netzhaut, sondern verteilen sich großflächiger. Das Gehirn erhält also ungenaue Daten vom Auge. Entsprechend unscharf ist das Bild, das es daraus erstellt. Und zwar in der Nähe wie in der Ferne.

Sehfehler kann Entwicklung beeinträchtigen

Die verschwommene Sicht macht aus einfachsten Handlungen eine Herausforderung: Gar nicht so leicht, jetzt einen Kugelschreiber aufzuheben oder einen engen Flur entlangzugehen. Entsprechend stark kann ein beidseitiger Astigmatismus die motorische Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen. Nicht nur deshalb sollte die Sehstörung so früh wie möglich entdeckt werden. "Ein unerkannter Astigmatismus kann ­eine bleibende Sehschwäche verursachen", sagt Dr. med. Timm Bredehorn-Mayr, Oberarzt am Universitätsklinikum Halle.

Gehirn blendet schwächeres Auge aus

Der Grund: Die stetige Un­schärfe bremst die Hirnentwicklung aus. Das Nervennetz, das die Informationen der Augen verarbeitet, bleibt unvollständig. Ist die Hornhaut in einem Auge stärker gekrümmt als im anderen, entsteht leicht eine einseitige Sehschwäche. Das Gehirn kombiniert nämlich unentwegt die beiden "Fotos", die unsere Augen gleichzeitig aufnehmen, zu einem einzigen. Würde es das nicht tun, würden wir zwei überlappende Bilder sehen. Wenn sich die Bildqualität links und rechts aber zu sehr unterscheidet, misslingt die Fusion. Auf ­Dauer blendet das Gehirn das schwächere Auge einfach aus.

Unbedingt früh behandeln

In den ersten Lebensjahren ist das Gehirn sehr wandelbar. Wird die Fehlsichtigkeit früh mit einer Brille ausgeglichen, können sich feh­lende Nervenbahnen noch bilden. Manchmal muss das bessere Auge dafür eine Zeit lang abgeklebt werden. So ist das Gehirn gezwungen, die Eindrücke des schwächeren zu verarbeiten.

"In den ersten drei Jahren sind die Erfolge am besten, bis zum zwölften Lebensjahr hat man eine gute Chance, dass sich das Gehirn anpasst", sagt Bredehorn-Mayr. "Im Erwachsenenalter konnte bisher nicht ausreichend belegt werden, dass eine dauerhafte Sehschwäche therapiert werden kann."

Deshalb prüft der Kinderarzt bei bestimmten Vorsorgeuntersuchungen, ob ein Kind richtig sieht, und überweist es im Zweifel an den Augenarzt. "Wenn der Astigmatismus nur an einem Auge ausgeprägt vorhanden ist, wird mit beiden Augen zusammen dennoch gut gesehen", erklärt Happe.­ "Deshalb werden solche Sehstörungen oft sehr spät entdeckt." Er empfiehlt Eltern, die selbst einen Sehfehler haben, ihr Kind früh von einem spezialisierten Augenarzt untersuchen zu lassen, spätestens wenn es zwei Jahre alt wird. Denn Sehprobleme werden häufig vererbt. Die Hornhautverkrümmung ist meist angeboren, nur selten entsteht sie im Laufe des Lebens, zum Beispiel falls das ­Auge verletzt wird. "Auch wenn ein Kind auffallend ungeschickt ist, kann das auf einen Sehfehler hindeuten", erklärt Experte Happe.

Babys brauchen spezielle Brillen

Bei der Untersuchung projiziert­ der Augenarzt ein Muster auf die­ Augen des Kindes. Erscheint es verzerrt, zeigt das eine Krümmung der Hornhaut. Eine Normabweichung von bis zu einer Dioptrie gilt als unauffällig, alle Werte darüber sollten ausgeglichen werden. Für Kleine ist die Brille das Mittel der Wahl. Babys brauchen allerdings ganz besondere Brillen: Die Gläser sollten aus bruchsicherem Kunststoff bestehen, der Nasensteg aus weichem Silikon, damit er die Stupsnase nicht eindrückt.

Statt Bügeln hat die Babybrille ein elastisches Band wie eine Skibrille.­ Auch für Kleinkinder ist Stabilität besonders wichtig, damit beim Toben nichts ins Auge gehen kann. "Die Gläser, die die gesetzlichen Kassen übernehmen, sind leider nicht bruch­sicher", ist die Erfahrung von Christian Müller, Optiker in Mülheim an der Ruhr. Etwa 100 Euro müssten Eltern für Kinderbrillen deshalb drauflegen. Ab dem fünften Lebensjahr können auch Kontaktlinsen zum Einsatz kommen – vorausgesetzt, das Kind kooperiert und die Eltern kümmern sich um die Pflege der Linsen. Wer als Erwachsener keine Lust mehr auf eine Sehhilfe hat, kann seinen Augenarzt fragen, ob eine Laserbehandlung sinnvoll ist.

Einen Fehler sollten Eltern bei der Brillenwahl unbedingt vermeiden, sagt Müller: "Die eigene Eitel­keit auf Kinder zu übertragen". Manchen Eltern ist ein modischer Look sehr wichtig. Doch Kinder brauchen eine Brille, deren Gläser möglichst weit nach oben reichen, denn sie blicken oft hoch zu Erwachsenen. Und das Kind soll ja nicht in erster Linie schick aussehen, sondern gut sehen.

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