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Als geheimnisvollster Körperteil einer Frau wird der Beckenboden bisweilen bezeichnet. Für viele birgt er tatsächlich ein Geheimnis: Bis zur ersten Schwanger­schaft sind nur wenige Frauen mit der Muskulatur im Becken vertraut oder haben sie bewusst gespürt.

Mit dem Beckenboden sind die drei Muskelschichten gemeint, die das Becken auskleiden. In vielen Darstellungen liegen diese Schichten wie drei Scheiben übereinander, tatsächlich aber bilden sie eine Art Schale im unteren Becken. Bis zur Schwangerschaft erfüllt diese Muskulatur in der Regel reibungslos ihre Dienste: Sie hält Bauch­organe wie Blase und Gebärmutter, verschließt die Ausscheidungsorgane, vor allem bei plötzlichem Druck durch Niesen oder Lachen, und ermöglicht eine erfüllte Sexualität. Sobald sich das Baby eingenistet hat, wird auch der Beckenboden auf die Geburt vorbereitet – und damit auf eine Aufgabe, die so gar nicht seiner üblichen Funktion entspricht

Beckenboden schon in der Schwangerschaft kräftigen

Gewebe, das auf Schließen ausgerichtet ist, muss sich nun maximal dehnen, um das Baby durchzulassen. "Die Schwanger­schaftshormone sorgen dafür, dass das Bindegewebe weicher und auf diese Aufgabe vorbereitet wird", sagt Heike Gross, Yogalehrerin aus München und spezialisiert auf Rückbildung und Beckenbodentraining.

Die meisten Frauen haben einen eher verspannten Beckenboden, manche starten auch mit einer Beckenbodenschwäche in die Schwangerschaft, so die Erfahrung von Heike Gross. "Das hängt unter anderem ab von der Größe des Kindes, ob es sich um die zweite oder dritte Schwangerschaft handelt und wie fest das Bindegewebe ist." Letzteres sitzt bei Frauen per se lockerer als bei Männern. Es soll sich ja während der Geburt dehnen. "Hinzu kommt oft eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche", sagt Prof. Dr. Ursula Peschers, Chefärztin für Gynäkologie am Isar-Klinikum München. In vielen Familien ziehen sich Beckenbodenprobleme über Generationen. "Dann muss man den Beckenboden schon in der Schwangerschaft kräftigen", sagt Heike Gross.

Konsequent Übungen machen

Ob sich damit auch eine Inkontinenz verhindern oder lindern lässt, ist nicht klar. "Eine aktuelle Übersichtsstudie zeigt: Es gibt keine überzeugenden Zahlen, die einen Nutzen eindeutig belegen", sagt Ursula Peschers. Die größte Herausforderung bleibt zudem, die Übungen konsequent zu machen – viele Mütter haben mit dem neuen Lebensrhythmus genug zu tun und wenig Aufmerksamkeit übrig für den Beckenboden.

Deshalb ist es so wichtig, ihn frühzeitig zu beachten: Frauen, die schon während der Schwangerschaft gelernt haben, den Beckenboden wahrzunehmen und anzusteuern, tun sich nach der Geburt damit leichter. "Nach dem Spüren geht es in der Geburtsvorbereitung darum, zu üben, die Muskulatur anzuheben und loszulassen", erklärt Heike Gross. Weil die Beckenbodenmuskulatur tief im Körper liegt und nicht sichtbar ist, gelingt das am besten über Bilder. Diese Übungen können Sie im Sitzen, Stehen oder Liegen machen und gut in den Alltag integrieren:

  • Stellen Sie sich vor, in Ihrer Scheide befindet sich eine Blüte, die sich mit dem Einatmen nach außen öffnet und mit dem Ausatmen wieder nach innen zurückzieht.
  • Versuchen Sie gedanklich, mit den Beckenbodenmuskeln ein Tuch vom Boden aufzuheben, und lassen Sie es wieder fallen.  
  • Stellen Sie sich vor, dass Sie mit dem Beckenboden einen Kirschkern greifen und wieder loslassen.
  • Steuern Sie den Beckenboden in Ihrer Vorstellung an wie einen Fahrstuhl, der drei Stockwerke nach oben fährt: Anheben (der erste Stock), weiter anheben (der zweite Stock), noch weiter heben (der dritte Stock), halten und nun Stockwerk für Stockwerk nach unten fahren.

Es kann etwas dauern, die versteckte Muskulatur zu finden, das ist normal. Anfangs kneift man dabei vielleicht unwillkürlich die ­Pobacken zusammen – das hat allerdings keinerlei Wirkung. "Weil der Beckenboden mit dem Zwerchfell inter­agiert, ist es sinnvoll, mit der Ein- und Ausatmung zu arbeiten", sagt Heike Gross. Mit dem Einatmen senken sich Zwerchfell und Beckenboden, die Muskulatur entspannt. Mit dem Ausatmen geht das Zwerchfell nach oben, und der Beckenboden hebt sich. Ähnliches gilt für das Kiefergelenk, deshalb raten manche Hebammen, unter der Geburt nicht die Zähne zusammenzubeißen: Dann macht auch der Beckenboden "zu".

Fehlender Halt nach der Geburt

Spätestens nach der Geburt macht sich der Beckenboden meist bemerkbar. "Viele Frauen fühlen sich offen und klagen über einen fehlenden Halt in der Scheide", sagt Heike Gross. Bei der Untersuchung einige Wochen nach der Geburt prüft die Frauen­ärztin, wie gut die Mutter ihren Beckenboden aktivieren kann. In den meisten Fällen regeneriert sich die Muskulatur von alleine. Ob vaginale Geburt oder Kaiserschnitt: Fast 40 Wochen war der Beckenboden im Extrem-Zustand – so lange oder noch länger braucht er, um seine Form wiederzufinden, sagen Hebammen. "Belastungen wie schweres Heben und Tragen, Sit-ups und Crunches oder Joggen sollten im ersten Jahr nach der Geburt vermieden werden", sagt Heike Gross.

Übungen, um den Beckenboden zu spüren und zu kräftigen, sind ein Muss im Rückbildungskurs. Ebenso richtiges Alltagsverhalten: Heben Sie den Beckenboden ausatmend an, bevor Sie etwas hochnehmen. Heben und tragen Sie alles körpernah, und möglichst keinen Gegenstand, der mehr wiegt als das Baby. Auch auf der Toilette spielt der Beckenboden eine wichtige Rolle: Sitzen Sie aufrecht, unterbrechen Sie den Harnstrahl nicht. Zum Schluss den Beckenboden anheben und sich vorstellen, die Harnröhre zu schließen.

Anhaltende Beckenbodenprobleme können im Alter Inkontinenz oder eine Gebärmuttersenkung zur Folge haben. "Sprechen Sie bei Beschwerden mit Ihrer Frauenärztin oder ­Urologin", sagt Ursula Peschers. Gezieltes Training, über den Rückbildungskurs hinaus, bieten spe­ziell geschulte Physiotherapeutinnen. Vieles heilt der Körper selbst, wenn er im Wochenbett die nötige Ruhe bekommt. Allein über den Beckenboden Bescheid zu wissen, trägt dazu bei. Wie wichtig diese komplexe Muskulatur ein Leben lang ist, sollte für keine Frau ein Geheimnis bleiben.