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Die Geburt des eigenen Kindes ist für viele das größte Geschenk der Welt. Aber manchmal bleibt das Mutterglück aus. Zehn bis 15 Prozent aller Frauern geraten nach der Geburt in eine Depression – die sogenannte postnatale oder Wochenbettdepression. Das Phänomen ist in der Medizin bekannt und gut erforscht. Bis auf eine Sache: Postnatale Depression betrifft auch Männer. Und zwar fast so häufig wie Frauen, wie nun auf einer Tagung der American Psychological Association bekannt wurde: Zehn Prozent der neuen Väter schlittern danach in eine postnatale Depression. 18 Prozent entwickeln eine Angststörung. Warum die Geburt des Kindes gerade für Männer eine besonders schwierige Situation sein kann, schildert die Psychologin Iris Hauth – Ärztliche Direktorin des Zentrums für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee.

Frau Hauth, warum klingt es denn irgendwie verwunderlich, dass auch Männer an einer postnatalen Depression erkranken können?

Die Männer sind da noch viel zu wenig im Blick, weil sich die Medizin bei der Schwangerschaft bislang auf die werdende Mutter mit all ihren körperlichen und hormonellen Veränderungen konzentriert hat. Und auch nach der Geburt hatte man natürlich die Frau im Fokus.

Muss man dann die postnatale Depression bei Männern weniger ernst nehmen?

Auf keinen Fall. Das ist genau der Punkt. Es ist ohnehin schon eine Herausforderung als Außenstehender eine Depression bei Männern zu erkennen, weil die Symptome oft anders sind. Männer haben noch immer Probleme, Ihre Gefühle zu zeigen, vor allem depressive.

Weiß man warum Väter in eine postnatale Depression geraten?

Man weiß, dass Väter eher zu einer Depression neigen, wenn die Frau bereits eine Wochenbettdepression hatte. Und bei den Risikofaktoren vermutet man neben dem Schlafmangel auch eine gewisse Überforderung. Der neue Vater trägt auf einmal mehr Verantwortung, ist oft noch der Alleinverdiener und muss die Frau unterstützen. Das setzt viele unter Druck.

Und Väter müssen ja auch erstmal ihren Platz in der eigenen Familie finden.

Ja. Es ist für Väter oft nicht leicht, sich in ihre neue Rolle hineinzufinden. Bislang war da ja nur die Paarbeziehung. Die Beziehung zwischen Kind und Mutter ist schon durch das Stillen ziemlich klar. Der Vater muss noch seinen Platz finden und kann sich gerade in der Anfangszeit recht ausgeschlossen fühlen.

Nun gerät man ja bestimmt nicht von heute auf morgen in eine Depression. Was können bei Vätern erste Anzeichen sein?

Gefühle von Überforderung, Stress oder Schlaflosigkeit können erste Anzeichen sein, aus denen sich eine postnatale Depression entwickeln kann. Bei Männern tritt sie jedoch wesentlich später als bei Frauen auf – zwischen drei und sechs Monate nach der Geburt.

Dr. med. Iris Hauth – Ärztliche Direktorin des Zentrums für Psychiatrie am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee

Dr. med. Iris Hauth – Ärztliche Direktorin des Zentrums für Psychiatrie am Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee

Wie erkennt man denn selbst, ob man in einer Depression steckt?

Neben der depressiven Stimmung empfinden die Menschen keine Freude mehr – nicht einmal an den Dingen, die sie sonst gerne gemacht haben. Aber auch Antriebslosigkeit, Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen am Arbeitsplatz können ein Symptom sein.

Und Männer reden darüber natürlich kaum.

So ist es leider. Männer kaschieren eher. Sie gehen häufig raus, machen noch mehr Sport oder arbeiten noch mehr um die negativen Gefühle und Gedanken irgendwie wegzuarbeiten. Männer sind im Gegensatz zu Frauen bei einer depressiven Symptomatik auch eher reizbar und fast etwas aggressiv. Und sie reden natürlich auch nicht darüber.

Aber reden würde helfen?

Ja. Das wäre mein erster Ratschlag, wenn Männer merken, dass sie sich nach der Geburt in eine solche Richtung verändern. Aber sie tun sich damit natürlich schwer. Denn die Selbstvorwürfe sind ganz ähnlich der der Mütter: "Ich muss mich doch freuen, dass ich jetzt Vater bin. Und jetzt fühle ich mich so erschöpft, so antriebslos, das darf doch gar nicht sein." Aber genau das darf auch sein. Und es ist wichtig, sich zu öffnen und mit der Familie oder Freunden darüber zu sprechen, damit die Betroffenen wissen, dass sie damit nicht alleine gelassen werden.

Ist irgendwann auch ärztliche Hilfe notwendig?

Ja. Wenn man nach etwa zwei Wochen merkt, dass man aus dieser Grundstimmung nicht mehr heraus kommt. Ein erster Ansprechpartner kann da immer der Hausarzt sein, der einen kennt und mit dem man darüber sprechen kann. Er kann auch entlastende Gespräche führen und feststellen, ob es sich tatsächlich um eine Depression handelt.

Und wenn es eine Depression ist?

Dann sollte sie von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychothereapie oder psychologische Psychotherapeuten oder gegebenenfalls auch medikamentös behandelt werden.

Und wenn ich mich nicht an den Hausarzt, die Frau, Familie oder Freunde wenden möchte. Wer kann mir noch helfen?

Da gibt es im Internet unter www.schatten-und-licht.de eine sehr gute Selbsthilfe-Initiative zum Thema postnatale Depression, die sich auch gut als erste Anlaufstelle eignet.

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