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Warten auf Tag X. Darauf, dass das Baby endlich auf die Welt drängt, man es in den Armen halten kann. Doch für etwa jede zehnte Schwangere kommt der errechnete Geburtstermin – und nichts passiert. Keine Wehe, kein Blasensprung. Nichts. Dafür häufen sich die Fragen und Sorgen: Geht es dem Baby gut? Kann man einfach abwarten? Oder muss die Geburt eingeleitet werden?

Der Geburtstermin: Eher ein Anhaltspunkt

Wenn der berechnete Termin über­schritten ist, bedeutet das meist keinen Grund zur Sorge. "­Alle bio­lo­gischen Prozesse unterliegen Schwankungen, auch die Schwangerschaft", erklärt Prof. Dr. med. Sven Hildebrandt, Gynäkologe aus Dres­den. "Eine Schwangerschaft bis zur 42. Woche ist eigentlich normal."

Prof. Dr. Sven Hildebrandt ist Frauenarzt in Dresden und Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Hochschule Fulda

Prof. Dr. Sven Hildebrandt ist Frauenarzt in Dresden und Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Hochschule Fulda

Immer häufiger beginnen Geburten aber mit einer medizinischen Einleitung. Ein Grund: die Zunahme von Risikoschwangerschaften (Mehrlingsgeburten, Schwangerschaftsdiabetes). Auch bei Kompli­kationen wie einer Präeklampsie steht eine Einleitung außer ­Frage. "Das Ziel ist immer, ein besseres Ergebnis für Mutter und Kind zu erreichen als durch Abwarten", erklärt Professor Dr. med. Werner Rath, Universitätsprofessor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Fakultät der Universität Aachen.

Allerdings: "Die ­Mehrzahl der Einleitungen lässt sich nicht ­allein mit medizinischen Gründen erklären", sagt Dr. Christine ­Loytved, Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Der häufigste Grund für die Geburts­einleitung ist schlicht die Terminüberschreitung. Warteten Ärzte früher in der Regel die 42. Schwangerschafts­woche ab, wird heute Schwangeren die Einleitung oft möglichst bald ab "41+0 SSW" empfohlen.

Fehleranfällige Berechnung

Diesen einseitigen Blick auf die Schwangerschaftsdauer hinterfragen mittlerweile Forscher. Ein Argument: Bei der Bestimmung des Termins komme es oft zu Ungenauigkeiten. Denn Frauenärzte und Hebammen berechnen diesen mit der Naegele-Regel. ­Grundlage dafür bildet das Datum der letzten ­Periode. Manche Frauen erinnern sich aber nicht daran oder verwechseln die Einnistungsblutung mit der Menstruation. "Meiner persönlichen Erfahrung nach stimmt ein Drittel der angegebenen Termine nicht", sagt Sven Hildebrandt. Deshalb raten Experten wie er dazu, mehrere Faktoren zusammen zu betrachten: Das Datum der letzten Periode und die Zykluslänge, den Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs und das geschätzte Embryonalalter aus der Ultraschalluntersuchung. "Vor der zehnten Schwangerschaftswoche ist die Scheitel-Steiß-Länge im Ultraschall ausschlaggebend, danach der biparetale Durchmesser", sagt Hildebradt. Auch das werde nicht immer so eingehalten.

"Ergeben diese Werte ein einheitliches Bild, kann man den Konzeptionstermin und damit den wahrscheinlichen Geburtszeitraum abschätzen. Den Begriff des errechneten Geburtstermins empfehle ich aber, konsequent zu vermeiden", sagt Hildebrandt. Innerhalb des geschätzten Geburtszeitraumes gebe es eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, wann die Geburt stattfinden könnte. Ein konkreter Zeitpunkt sei nicht bestimmbar. "Heute haben Frauen bei 40+3 das Gefühl, sie haben den Termin um drei Tage überschritten", sagt Hildebrandt. Das sei jedoch falsch. "Es ist normal, dass manche Kinder früher und manche später zur Welt kommen."

Dr. Christine Loytved ist Hebamme und Gesundheits- wissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur

Dr. Christine Loytved ist Hebamme und Gesundheits- wissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur

Denn, das ist ein weiteres Argument der Kritiker: Die Methoden zur Terminbestimmung berücksichtigen ­keine individuellen Faktoren. "Heute wissen wir, dass das Alter der Schwangeren, ihre ethnische Herkunft und ihr Body-Mass-Index (BMI) die Dauer der Schwangerschaft beeinflussen können", sagt Loytved. Auch Erstgebärende überschreiten den Termin öfter als Mehrgebärende.

Gute Überwachung nötig

Und auch die Schätzung des Geburtszeitraumes gelingt laut Hildebrandt nicht immer. Ergeben die oben genannten Faktoren widersprüchliche Daten zum möglichen Konzeptionstermin, sollten Gynäkologen weitere Ultraschallbefunde heranziehen oder den geschätzten Geburtszeitraum mit einem Fragezeichen versehen.

"Die Plazenta gehört zu den Organen mit einer sehr individuellen Reifung", erklärt Hilde­brandt. Wie lange die Plazenta das Kind versorgen kann, könne man nicht vorher berechnen. "Stattdessen müssen wir aufpassen, dass die Ressourcen ausreichen", sagt er. Je länger die Schwangerschaft andauert, desto stärker nehmen sie ab. Deshalb bestellt der Frauenarzt die Schwangere ab dem berechneten Termin alle zwei, drei Tage in seine Praxis oder die Klinik. Jedes Mal bestimmt er die Fruchtwassermenge und fragt nach Kindbewegungen. "Ob es dem Kind gut geht, kann die Schwangere selbst überprüfen", ergänzt Hildebrandt. "Regelmäßige Kindsbewegungen sind ein gutes Zeichen. Hören sie auf, kann es sein, dass die Plazenta nicht mehr richtig arbeitet." Dann sollte die Schwangere die Hebamme oder den Arzt kontaktieren.

Prof. Dr. Werner Rath ist Universitätsprofessor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Fakultät Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel

Prof. Dr. Werner Rath ist Universitätsprofessor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Fakultät Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel

Das Abwarten: Einleitung oft nicht notwendig

Wenn aber die Schwangerschaft weiter unauffällig ist, kann die Schwangere mitentscheiden, was nun passiert. "Geht es Mutter und Baby gut, spricht nichts dagegen zu warten", sagt Loytved. In vielen Fällen raten Ärzte jedoch zur Einleitung, obwohl es gar nicht notwendig wäre. Und viele Frauen nehmen die Empfehlung dankbar an, weil das Warten dann ein Ende hat. Häufig benutzen die Mediziner ein schlagkräftiges Argument: "Ab der 41. Woche steigt die Rate der tot geborenen Kinder", so Rath.

Etliche Wissenschaftler kritisieren jedoch die Qualität der Stu­dien. "Neuere Untersuchungen konnten das nicht feststellen", sagt Loytved. Was sie belegen: Bei ­einer Einleitung nach der 41. Woche steigt das Risiko, dass während der Geburt Kindspech in die Atemwege des Babys gelangt. Diese müssen dann schnell freigemacht werden.

Die Kritiker raten vor ­jeder Einleitung zu einer gründlichen Analyse – und zu mehr Geduld. "Wann der Zeitpunkt für die Geburt gekommen ist, weiß niemand vorher", so Hildebrandt. Und weil jede Schwangerschaft individuell sei, müsse man auch die Standardmaßnahmen nach Überschreiten des Termins überdenken. "Häufig genügt es schon, ein, zwei Tage zu warten", sagt Gesundheitswissenschaftlerin Loytved. "Dann beginnen die Wehen von alleine."

Die Einleitung: Wehen sind oft stärker

Fällt die Entscheidung für eine Einleitung, können Wehen mit­hilfe einer Reihe medizinischer Möglichkeiten ausgelöst werden. Ist der Mutter­mund noch fest, nutzt der Frauenarzt dafür sogenannte Prostaglandine, also spezielle Hormone. "Sie lassen den Gebärmutterhals nachreifen", erklärt Rath. Diese werden als Gel, Tablette oder Tampon in die Scheide eingeführt. "Mittlerweile werden zunehmend häufig Prostaglandine als Tablette oral eingenommen (Misoprostol)", sagt Rath. Bei einem schon weichen Muttermund bekommt die ­Schwangere einen Wehentropf mit dem wehenfördernden Hormon Oxytocin.

Eine Geburtseinleitung versucht, die natürlichen Geburtsvorgänge zu imitieren – aber nicht immer gelingt das. "Viele Frauen sagen, dass sich die Wehen anders anfühlen und intensiver sind", sagt Loytved. "Prostaglandin-­Wehen sind spitzer und kommen schneller hinter­einander", ergänzt Rath. "Oxytocin-­Wehen fühlen sich wie normale Wehen an, werden aber oft als stärker empfunden." Das könnte daran liegen, dass die Frauen überwacht werden und liegen müssen. Außerdem wirkt Oxytocin schnell, sodass die Wehen häufig plötzlich beginnen. Daher benötigen Frauen mit ­einer Einleitung mehr Schmerzmittel während der Geburt. Kommen die Wehen zu schnell hintereinander, muss manchmal ein Wehenhemmer eingesetzt werden. Denn in diesem Fall droht ein Sauerstoffmangel beim Ungeborenen. In extrem seltenen Fällen kann es auch zu einem Gebärmutterriss kommen. Dann schweben Mutter und Kind in Lebensgefahr. Bei Frauen, die schon einen Kaiserschnitt hatten, ist dieses Risiko erhöht.

Durch Pros­taglandine kann esaußerdem  zu Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall kommen. Und: Wird eine Geburt eingeleitet, sind mehr vaginale Untersuchungen nötig, was viele Frauen als unangenehm empfinden.

Die Risikofaktoren: Manchmal wird Kaiserschnitt nötig

Nicht immer hat eine Einleitung den gewünschten Erfolg: In 50 bis 70 Prozent der ­Fälle kommt es innerhalb von 24 Stunden zu ­einer Geburt. Ob der Versuch gelingt, hängt von verschiedenen Bedingungen ab. "Risikofaktoren für das Scheitern sind ein fester und verschlossener Muttermund oder ein mütterlicher BMI von 30 und mehr", erklärt Rath. Studien zeigen, dass zum Beispiel auch eine hohe Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft, Diabetes oder ein Geburtsgewicht von mehr als 4000 Gramm zu einem Versagen der Geburtseinleitung führen können.

Eine Einleitung kann auch in einem Kaiserschnitt münden. "Besonders bei Erstgebärenden mit noch festem und verschlossenem Muttermund erhöht sich das Risiko für einen Kaiserschnitt", sagt Frauenarzt Rath. Dieser geht mit Risiken wie erhöhtem Blutverlust, Thromboembolien und Infektionen einher. Insofern lohnt es sich, manchmal etwas mehr Geduld zu haben.

Das Baby locken – geht das?

Wer hat sie noch nicht gehört, die gut gemeinten Tipps zur Geburtsanregung? Was die Maßnahmen wirklich bringen:

Geschlechtsverkehr: Sex soll wehenanregend wirken, weil in der Samenflüssigkeit viele Prosta­glandine stecken und beim Sex vermehrt Oxytocin ausgeschüttet wird. Zwar empfehlen auch Ärzte und Hebammen Geschlechtsverkehr um den Termin, um einer Geburts­­einleitung vorzubeugen. "Studien haben das bislang nicht ­bestätigt", sagt Rath. "Die Methode kann nur ­Erfolg haben, wenn der Muttermund schon reif ist."

Stimulation der Brustwarzen: Dies setzt ebenfalls Oxytocin frei. Experten ­­bescheinigen der Methode Wirksamkeit, wenn der Mutter­mund reif ist, und empfehlen es Schwangeren ab der 39. Woche. Der Gynäkologe: "Es ist jedoch unklar, wie oft und wie lange die Brustwarzen stimuliert werden müssen."

Akupunktur: Sie bieten viele Kliniken zur Geburtsvorbereitung an. Mehrere ­­Studien ­deuten darauf hin, dass bei Frauen, die sich ab der 36. Woche akupunktieren lassen, die Geburt seltener eingeleitet wird.

Rizinusöl-Cocktail: Er soll Wehen ­anregen. "Aufgrund der unkalkulierbaren Wirkungen und Nebenwirkungen mit teilweise schweren Komplikationen sollte zur Geburtseinleitung kein Rizinus-Cocktail mehr gegeben werden", sagt Rath. ­

Spaziergang, ein heißes Bad oder Fußreflexzonen­massage: Für Maßnahmen wie diese fehlen wissenschaftliche Belege. "Aber sie tun der Schwangeren gut und wirken entspannend", so Rath.

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