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Die Schlangen vor den Ständen sind deutlich länger geworden. Das liegt nicht nur an der Abstandsregelung. Auch bilden sie sich nun teils schon um sieben Uhr morgens – eine Stunde bevor der Markt im ­Hamburger Umland offiziell öffnet. "Bleibt zu hoffen, dass viele von denen auch noch kommen, wenn das alles vorbei ist", sagt ein Gemüsehändler.

Mit "das" meint er Corona, und es kann gut sein, dass zumindest einige derjenigen, die den Wochenmarkt in diesen Zeiten für sich entdeckt haben, weiter kommen werden: "Veränderungen im Bewusstsein für Ernährung und lokale, regionale Lebensmittel ­waren schon vor der Krise spürbar. Diese Entwicklung könnte sich nun beschleunigen", meint Dr. Christine ­Göbel vom Institut für Nachhaltige Ernährung der FH Münster.

Sie verweist auf eine steigende Zahl von Direktvermarktungsprojekten sowie auf Ergebnisse von Trendreports und sieht die Chance, dass dadurch auch die Wertschätzung von Lebensmitteln wieder steigt: "Wenn ich sehe, wer sie wie erzeugt, habe ich einen ganz anderen Bezug zu ihnen", sagt Göbel. Sie fügt hinzu, dass dies auch die Ernährungssozialisation von Kindern beeinflusse: "Wenn sie mit ihren Eltern beim Bauern kaufen, sehen sie eher mal, wie Obst und ­Gemüse angebaut wird und wie es wächst."

Corona wirft Fragen auf

Tatsächlich melden Bauern-, Direkt- und Regionalvermarktungs­verbände dieser Tage landesweit eine gestiegene Nachfrage in Hofläden, auf Bauern- und Wochenmärkten. Die ­Vereinigung Norddeutscher Direktvermarkter ­etwa spricht von einem Umsatzplus von 20 bis 30 Prozent.

Als Grund werden nicht nur die "luftigeren Verhältnisse" genannt, welche die Orte "virensicherer" machen als ­Supermärkte. Sondern auch, dass die Angst vor dem leeren Regal den Blick auf die regionale Versorgung verändert und Fragen aufgeworfen hat: Woher kommen die Lebensmittel eigentlich? Wer liefert und stellt sie her – und unter welchen Bedingungen?

Wie schlecht diese mitunter sind, zeigte sich in der Krise einmal mehr. Nämlich als Schlachthöfe – oder besser gesagt, die Massenunterkünfte der Fleischarbeiter – zu Corona-Hot­spots wurden. Ihr Beispiel macht deutlich, wie soziale und ökologische Probleme oft Hand in Hand gehen: Die Ausbeutung der Menschen – und der Tiere – macht Billigpreise möglich, die uns ­einen so hohen Fleischkonsum erlauben, der wiederum Schäden in Gewässern, Böden und der Luft anrichtet.

Transport als großes Problem

"Wenn die Krise das Umdenken beschleunigen würde, wäre das natürlich schön", sagt Britta Klein, die im Referat "Lebensmittel und nachhal­tiger Konsum" des Bundeszentrums für Ernährung in Bonn arbeitet. Sie nennt den Konsum tierischer Produkte als größtes Umweltproblem: Für ein Kilo Fleisch wird sehr viel Futtermittel benötigt – das nicht selten in Form von Soja aus Südamerika kommt. Dicht darauf folgt der Transport (und die Kühlung) von Lebensmitteln.

Er ist ein Hauptgrund dafür, dass unsere Ernährung auch im Hinblick auf CO2 ein ähnlich großes Problem darstellt wie unser Mobilitätsverhalten. "Wir haben uns daran gewöhnt, dass alles immer und überall verfügbar ist", sagt Britta Klein. Im Zweifel kommen die Blaubeeren im Winter aus Peru, der Spargel stammt aus China, und am Ende werden hoch­verarbeitete Lebensmittel wie selbstverständlich für jeden Arbeitsschritt in ein anderes Land gekarrt. Problematisch ist aber nicht nur der CO2-­Ausstoß dieser globalisierten Ernährungsindustrie: Beziehen wir zum Beispiel Tomaten aus ­­Spanien, importieren wir indirekt das Wasser ­eines von Wüsten­bildung extrem bedrohten Landes. "Wir müssen zurück zu regionalen, lokalen Kreisläufen", meint Britta Klein.

Besser lokal, regional

Kaufen Familien auf dem Markt oder im Hofladen Gemüse des örtlichen Landwirts, fallen aber nicht nur Transportwege weg. "Wenn dadurch eher kleinbäuerliche Strukturen gestärkt werden, hat das viele weitere positive Effekte", sagt Agrarwissenschaftlerin Klein.

So würden kleinere Betriebe öfter auf eine breitere Produktpalette setzen und weniger auf Monokulturen. Diese benötigen im Vergleich mehr Dünge- und Pflanzenschutzmittel, die nicht nur in der Herstellung energie­intensiv sind, sondern auch die Vielfalt an Tieren und Pflanzen bedrohen.

"Landwirte leiden unter einem immer stärkeren Preisdruck, dem sie im Grunde nur mit Masse begegnen können", erklärt Klein. "Frei nach dem Motto: Wachse oder weiche." Kein Wunder, dass es nach aktuellen Analysen im Jahr 2040 hierzulande nicht einmal mehr halb so viele, ­dafür immer größere Bauernhöfe ­geben soll: 100 000 statt wie heute gut 260 000 (im Jahr 2007 waren es noch mehr als 300 000). Zumindest, wenn alles so weiterläuft wie bisher.

Es tut sich etwas – langsam

So gesehen sind die durch Corona gestiegenen Umsätze im Direktvertrieb ein gutes Zeichen. Ein Landwirt, der ein Produkt im eigenen Hofladen, per "Biokisten"-Abonnement oder auf dem Markt verkaufen kann, hat damit oftmals einen deutlich höheren Erlös – obwohl der Verbraucher wiederum nicht mehr, sondern oft sogar weniger zahlt als im Supermarkt. "Es fallen Zwischenstationen weg, die Geld kosten", sagt die Münsteranerin Christine Göbel.

Diese Idee ist nicht neu, erlebt in letzter Zeit – und zwar nicht erst seit Corona – aber ein Revival: Neue Hof­läden entstehen, verbinden sich auch online (siehe Kasten unten), Milchbetriebe stellen "Tankstellen" vor ihre Tür, und Viehbauern ziehen Schweine, Rinder oder Schafe gegen eine monatliche Gebühr direkt für Kunden auf, die in Projekten der solidarischen Landwirtschaft auch mal gemeinsam einen ganzen Betrieb unterhalten.
"Es tut sich etwas, aber nur langsam", sagt Agrarwissenschaftlerin Britta Klein. Ihrer Meinung nach liegt das auch an den Discount-­Preisen, die mitunter noch unter denen von ­Direktvertrieblern liegen. "Sie sind aber nur deshalb so niedrig, weil viele Folgekosten nicht eingerechnet sind."

Weil bei einer intensiven Landwirtschaft zum Beispiel zu viel Nitrat auf die Felder gelange, müsse das Trinkwasser schon heute oft eigens auf­bereitet werden. "Auch soziale Folgen, die durch Dumping-Löhne entstehen, werden nicht berücksichtigt."

Viel Essen landet im Müll

Auch Christine Göbel sieht niedrige Preise kritisch – und gelangt damit zu einem ihrer Spezialgebiete: "Jährlich werden in Privathaushalten Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen", sagt sie. "Von den 38 Millionen Hektar Land, auf denen Lebensmittel erzeugt werden, werden acht Millionen Hektar für Produkte verwendet, die im Abfall landen." Und damit Geld, das auch in nachhaltiger produzierte Lebensmittel fließen könnte.
Neben dem Preis sei es aber auch problematisch, dass Essen häufig ­etwas sei, das schnell-schnell und zwischendurch passiere: "Essen sollte ein Ereignis sein, das schon mit dem ­gemeinsamen Kochen beginnt", meint Christine Göbel. Sie spricht sich dafür aus, Kinder möglichst früh ­dabei helfen zu lassen.

Nachhaltig einkaufen

Nachhaltige Ernährung beginnt mit der Planung: Erstellen Sie ­Wochen­essenspläne. Reduzieren Sie Fleisch, und achten Sie darauf, Reste vom Vortag weiterverwenden zu können. Kochen Sie auch mal für zwei Tage, das spart Zeit und Energie. Er­stellen Sie entsprechend Ihren Plänen Einkaufslisten – und machen Sie Ihren Wocheneinkauf nie hungrig.

Beim Lebensmittelkauf im Supermarkt auf regionale Produkte setzen (Vorsicht: "Region" kann weit gefasst sein) sowie auf Öko- und Fair­trade-Siegel. Wer die Möglichkeit hat, nutzt Wochenmärkte. Fragen Sie beim örtlichen Landwirt, was er anbietet. Viele liefern auch Fleisch, Kartoffeln, Eier oder Biokisten (etwa über www.oekokiste.de). Gartenbesitzer bauen selbst an. Pflanz­pläne für einen ergiebigen Anbau gibt es online.

"Fortgeschrittene" schauen nach Projekten, etwa Solidarischen Landwirtschaften (www.solidarische-landwirtschaft.org) oder Einkaufsgemeinschaften ("Food­coops", www.lebensmittelkooperativen.de). Regionale Erzeuger und Verbraucher zusammenzubringen, versuchen auch "Marktschwärmereien" (www.marktschwaermer.de).

Viele Infos und Adressen gibt es zudem beim Bundeszentrum für Ernährung (www.bzfe.de).