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Die Bildauswahl hat uns bei diesem sensiblen Thema lange beschäftigt. Ist die Szene zu harmonisch? Trennen sich Eltern, bedeutet das doch vor allem Schmerz, Leid und verletzte Gefühle. Bei welcher Patchworkfamilie herrscht, bitte schön, so viel traute Gemeinsamkeit? Mama, Papa, die Kinder und die Neue machen fröhlich ein Picknick – das ist doch eine Illusion. "Das Bild zeigt aber gut die Wunschvorstellung der meisten Patchworkpaare, die in die Beratung kommen", sagt Ariane von Thüngen. Die Familienpsychologin bei Pro Familia in München hilft Patchworkfamilien auf dem Weg zu einem harmonischen Miteinander. Gelingt Patchwork kann das Bild tatsächlich Realität werden. "Das bedeutet aber, dass sich alle auf eine lange Reise begeben. Die Erwachsenen müssen Geduld mitbringen, viel Verständnis für die Gegenseite ent­wickeln und immer gilt: Die Kinder bestimmen das Tempo für jeden weiteren Entwicklungsschritt", sagt die Diplom-Psychologin. "Es kann Jahre dauern, bis jeder seine Rolle in der Patchworkfamilie gefunden hat."

Warten, warten, warten

Angenommen, diese Familie auf dem Foto wäre echt, ein typischer Patch­­workfall. Es wäre der Vater (Tom), der eine neue Partnerin (Eva) hat. Drehen wir nun die Zeit zurück, als die Trennung zwischen Tom und Tanja, seiner Ex, noch sehr frisch ist. Er ist ausgezogen, die Kinder wohnen hauptsächlich bei ihrer Mutter, sehen den Vater zurzeit nur am Wochenende. Es vergehen einige Monate, Eltern und Kinder gewöhnen sich allmählich an die neue Routine, da lernt Tom Eva kennen. Sie verlieben sich. Am liebsten möchte Tom, dass sich Eva und die Jungs so schnell wie möglich kennenlernen. Ist das eine gute Idee? "Damit würde ich noch warten. Tom und Eva sollten sich zuerst sehr sicher sein, dass sie zusammen sein wollen, und ihnen muss klar sein, dass Patchwork eine große Herausforderung bedeutet, die der Beziehung sehr viel abverlangt", rät Expertin von Thüngen.

Neue Familienidylle?

Aus der Beratungspraxis weiß die Psychologin, dass frisch verliebte Elternteile häufig versuchen, ganz schnell eine neue heile Familienidylle zu schaffen. "Sie haben den Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen, denn schließlich müssen sie nun mit getrennten Eltern aufwachsen. Mit ­einer neuen Partnerin, einem neuen Partner kann man ja noch mal ganz von vorne anfangen", sagt von Thüngen. "Das stimmt auch, aber der Faktor Zeit spielt hier eine entschei­dende Rolle. Der ver­liebte Elternteil sollte nicht versuchen, den anderen Elternteil durch die neue Frau oder den neuen Mann zu ersetzen."

Für unseren Beispielvater Tom bedeutet das, bevor die Kinder Eva kennenlernen, informiert er Tanja, dass er eine Freundin hat und dass es eine ernsthafte Beziehung ist. "Und zwar nicht zwischen Tür und Angel, sondern in Ruhe und ohne die Kinder. Tanja ist nicht nur Toms ehemalige Partnerin, sondern die Mutter seiner Kinder und sollte von dieser Veränderung wissen", sagt die Hamburger Familientherapeutin Claudia Hillmer, die Patchworkfamilien berät und selbst patchworkerprobt ist.

Ob neue Partner akzeptiert werden, hat viel mit der Vergangenheit des ­­Elternpaares zu tun und mit dem Rollenverständnis der neuen Familienmitglieder. "Sind sie nur Partner, ist es einfacher, und dennoch kommt mit ihnen oft erst die Trennungswirklichkeit richtig bei allen Beteiligten an. Treten sich wie im Beispiel die ­Eltern als Mutter und Vater gegenüber und nicht mehr als Paar, das noch mit alten Verletzungen kämpft, kann sich Tanja vielleicht sogar für Tom freuen", erklärt Hillmer.

Das erste Kennenlernen

Freudensprünge macht Tanja nicht gerade, aber eher aus Sorge um die Kinder. Leon ist zwar noch zu klein, um das Ganze überhaupt zu verstehen, aber Noah fragt abends noch oft, wann Papa wieder zu Hause schläft. "Ist die Trennung noch relativ frisch hoffen Kinder sehr lange, dass die ­Eltern wieder zusammenkommen", erklärt Ariane von Thüngen. Deshalb müssen Eltern auch behutsam mit ­ihren Kinder sprechen, ihre Gefühle auffangen. Nur so könne die Trennung der Eltern auch bei ihnen ankommen. Das erste Treffen zwischen Kindern und der neuen Liebe sollte zudem möglichst unverfänglich sein. "Fürs Erste genügen ein paar Stunden, um die Kinder nicht zu überfordern", sagt die Psychologin. Frisch Verliebten rät von Thüngen außer­­dem, vor den Kindern nicht zu sehr auf Tuchfühlung zu gehen. Innige Umarmungen, leidenschaftliche ­Küsse oder gar Kuscheln im Bett sind für den Anfang tabu. Aber auch schwindeln sollten die Erwachsenen nicht. Papas Neue oder Mamas Neuer sind keine Bekannten oder Arbeitskollegen. "Erklären Sie den Kindern, was los ist. Trennungskinder haben sehr sen­sible Sensoren für Veränderungen, sie spüren, was los ist. Auch schon Dreijäh­­rige", erklärt sie.

Zeit der Annäherung

Nicht nur die Kinder brauchen Zeit, auch die neue Frau, der neue Mann muss sich ebenso auf ein Kind einstellen. "Im Gegensatz zum leib­lichen Elternteil hat ein neuer Partner, eine neue Partnerin nicht die Herzensverbindung zum Kind. Das bedeutet, die Beziehung muss wachsen dürfen", sagt die Familienberaterin Claudia Hillmer. Im Grunde sei dieser Prozess vergleichbar mit dem Aufbau einer Freundschaft. "Um sich kennenzu­lernen eignen sich Tätigkeiten, die beiden wirklich Spaß machen, die sie gerne miteinander tun", sagt Hillmer. Neue Partner müssen sich zudem darüber im Klaren sein, dass sie immer die Nummer zwei – hinter dem Kind – sein werden. "Die Eltern-­Kind-Beziehung ist immer älter als die neue Liebesbeziehung", erklärt von Thüngen. Vor allem wenn der oder die Neue selbst noch keine Kinder hat, kann das zu Konkurrenzkämpfen führen, besonders, wenn die Kinder schon älter sind. "Ein beliebter Kampfplatz ist die Sitzverteilung im Auto", sagt von Thüngen. Es wird ­immer wieder Situationen geben, in denen man sich ausgeschlossen fühlt. Etwa wenn Eltern und Kinder alte Familienbilder anschauen oder den Kita-Abschied feiern. "Ein neuer Partner wird nie einen Elternteil ersetzen. Wenn es gut läuft, kann er ein guter Freund, ein Vertrauter werden", ermutigt von Thüngen.

Die gemeinsame Wohnung

Kehren wir zurück zu unserer Beispielfamilie. Die Beziehung zwischen Tom und Eva ist gefestigt – nun wollen die beiden zusammenziehen. Wie kann das gelingen? Die Familien­mitglieder müssen lernen, sich über ihre Bedürfnisse auszutauschen. Jeder braucht seinen Platz, an dem er sich wohlfühlt", sagt Hillmer. Zudem sind neue Partner nicht Ersatzmama oder -papa und lassen sich auch nicht in diese Rolle drängen. Die Erziehungsverantwortung liegt nur bei den Eltern. Leichter gesagt, als getan. Wenn man zusammenlebt, erzieht man doch automatisch mit, oder? "Keine Erziehungsverantwortung zu haben, bedeutet nicht, sich alles gefallen zu lassen. Es macht aber einen Unterschied, ob ich mit dem Kind als Mitbewohner oder als Erzieher spreche", ergänzt von Thüngen. Sind die Kinder unordentlich, muss man das nicht hinnehmen. Ihnen aber beizubringen, wie man Ordnung hält, übernimmt der Elternteil. Auch der leibliche Elternteil muss akzeptieren, dass nur er erzieht. Es muss klar sein, dass alles, was der neue Partner für das Kind macht, freiwillig geschieht und nicht selbstverständlich ist. "Gelingt Patchworkfamilien ein positives Miteinander, sind alle Familienmitglieder super kommunikationsgeschult. Sie haben gelernt, sich auszutauschen, zu verhandeln, wert­schät­zend miteinander umzugehen, zuzuhören und die Gefühle der anderen zu achten", so von Thüngen.