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Letztens erst standen die Spieler des FC Bayern auf dem Balkon des Münchner Rathauses und feierten sich selbst. Die Meisterschaft, Champions League, das volle Programm. Meine Tochter Marlene und ich saßen vor dem Fernseher und bestaunten das Spektakel. Dann stimmten die Spieler ein launiges "Oans, zwoa, drei" an. Selbst eindeutigen Nicht-Bayern wie Frank Ribéry oder Arjen Robben ging das melodische Bayuwaren-Eins-Zwei-Drei locker von den Lippen. Meiner Tochter entlockte dieser Moment lediglich ein überhebliches "Phhh, wie albern, dieses o-ans, zw-oa...". Danach war ich mal wieder am Boden zerstört. Mein Kind, der Parade-Preuße.

Hochdeutsch als Kulturschock

Das tut um so mehr weh, weil ich selbst in einem kleinen bayerischen Ort aufgewachsen bin. Bei uns war der rustikale Sprachgebrauch unumstößlicher Usus. Ob zu Hause, im Kindergarten, im Sportverein, in der Grundschule oder bei Freunden – es gab nur den einen Duktus. Und der war tief grummelnd. Ich lag den Großteil meiner Kindheit gemütlich eingebettet in meiner heimeligen Dialektdecke – bis ich ins Gymnasium kam. Die neue Schule war gar nicht weit weg von meinem Heimatort, aber es lagen doch Äonen zwischen der bäuerlichen Struktur, in der ich aufgewachsen bin, und dem neuen Sprachkontinent. Die Eltern meiner Klassenkameraden waren Lehrer, Ingenieure, Ärzte. Und alle sprachen hochdeutsch.

Das erste halbe Jahr am Gymnasium habe ich meinen Mund nicht aufgemacht. Nicht, weil ich den Stoff nicht kapierte. Ich konnte einfach kein hochdeutsch. Hatte es vorher nie gelernt. Ich habe es zwar gehört – im Fernsehen, im Radio. Trotzdem war die Schriftsprache linguistisches Neuland für mich. Aber langsam habe ich mich sprachlich akklimatisiert. Und als ich das erste Mal zu Hause dann "Hallo" sagte – na, da hätten Sie meinen Vater sehen sollen! Das war für ihn kurz vor Hochverrat. Wer kein Dialekt-Delinquent sein will sagt "Servus" oder "Griasde", aber NIEMALS "Hallo".

Mia san mia? Fehlanzeige!

Und heute? Bin ich bilingual. Ich kann sehr schnell vom Dialekt in die Schriftsprache wechseln. Und umgekehrt. Die Liebe zum bayerischen Dialekt ist ungebrochen, denn sie drückt mein innerstes Selbst aus. Darum war ich der Überzeugung, dass ich meinem Kind nur eine authentische Erziehung mitgeben kann, wenn ich sie in der Sprache erziehe, die mir am nächsten ist. Und nun das: SIE FINDET ES ALBERN!

Das war von Anfang an so. Als hätte sie einen Anti-Dialekt-Peilsender in sich gehabt – schon das erste Wort: hochdeutsch! Ein lupenreines "Ball". Kein "Boi". So ging das weiter. Immer "ich", nie "i". Immer "wir", nie "mia". Ein "Mia san mia"-Gefühl im Hause Schmid? Fehlanzeige. Obwohl es sogar im Kindergarten die dialektale Unterstützung gab. Aber meine Tochter blieb stur. Mit dieser Seppl-Attitüde wollte sie nichts zu tun haben.

Dialekt bringt klaren Vorteil

Ja, Herrschaftszeiten, dachte ich mir, nachdem Marlene nach der FC Bayern-Übertragung in ihrem Zimmer verschwunden ist, gibt’s denn das? Wo es doch sogar wissenschaftlich erwiesen ist, dass Dialekt sprechende Kinder klar im Vorteil sind. Weiß denn das dieses Preußen-Gör nicht? Jetzt wollte ich es genau wissen: Warum findet sie Bayerisch so debil? Vor ihrer Zimmertür blieb ich aber erstaunt stehen. Denn ganz deutlich hörte ich da drin eine Pumuckl-Kassette laufen, zu der meine Tochter den Text vom Meister Eder in lupenreinem Bayerisch mitrezitierte: "Geh, Pumuckl, wennst jetzt ned sofort runter kimmst, sperr i di drei Dog ins Schubladl!"

Die psychologische Deutung dieser Szene lasse ich jetzt lieber mal außen vor. Erwähnen will ich aber schon noch, dass meine Tochter – wie sich durch ihre geheimen Bayern-Seancen herausstellte – das schönste, entzückendste rollende R diesseits der Donau hat. Ich habe also leise an ihrer Tür geklopft und sie mit einem gänzlich unbayerischen "Hallo" begrüßt.