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Jetzt reicht’s: Während ich schnell meine Jacke anziehe, sitzt Stella (3) auf dem Boden, tropft ihre Apfelschorle auf unser neues Parkett und schmiert genüsslich mit ihren kleinen Händen darin herum. Laut frage ich sie, was das soll. Schließlich sind wir hier weder in der Badewanne noch auf dem Spielplatz. Außerdem müssten wir längst auf dem Weg zur Kita sein. Was denkt sie sich eigentlich, morgens, wo wir in Eile sind, so eine Sauerei zu machen? Jetzt muss ich wieder Hände waschen, den Boden wischen, eine Trinkflasche zubereiten. Dauert bestimmt zehn Minuten. In einer halben Stunde habe ich die erste Konferenz … Stress pur!

Brüllen ist kein Automatismus

Wie schafft man es nur, sich in Situationen wie diesen zusammenzureißen und nicht die Nerven zu verlieren? "Es geht darum, seine Wut zu regulieren und den Abstand zwischen Donner und Blitz zu vergrößern", sagt Anette Frankenberger, systemische Paar- und Familien­therapeutin aus München, die in ihrer Praxis auch Erziehungsberatung anbietet. "In jeder Situation entscheide ich mich, mein Kind anzubrüllen oder nicht." Aber wie soll das im echten Leben funktionieren? Wenn wir vor Wut brüllen, fühlt es sich eher an wie ein unkontrollierbarer Reflex. Oft tut es uns sofort danach leid.

"Wir glauben, Brüllen sei ein Automatismus, aber das stimmt nicht", erklärt Anette Frankenberger. "Es geschieht zwar in einem Bruchteil von einer Sekunde, aber genau diesen Moment muss ich erkennen und mich dann anders entscheiden. Das können Eltern lernen", ist die Expertin überzeugt. Denn bei allem Ärger über das Kind, der im Moment in uns bebt, lieben und schätzen wir es ja. In der akuten Situation kann ein Rausgehen, Summen oder Atmen helfen. "Es geht darum, unsere Gefühle in Balance zu halten: erst uns selbst beruhigen und dann unser Kind", so Frankenberger. Wenn möglich also in einen anderen Raum gehen, um sich wieder "runterzukühlen". Oder wir stellen uns vor, ein großer, starker Baum zu sein, an dessen Rinde sich unser Kind gerade reibt. So geben wir ihm – und uns – ein Gefühl der Stabilität.

Wut-Szenen reflektieren

Es kann helfen, die Situationen hinterher gedanklich noch einmal durchzuspielen: Warum reagiere ich wütend? Wie ist es dazu gekommen? Meistens erkennen wir dabei, dass es häufig an uns selbst liegt, wenn wir explodieren – weil wir zu spät aufgestanden sind, zu viel vorhaben, müde, hungrig oder gestresst sind.

In Anette Frankenbergers Kursen geht es daher weniger darum, die Kinder zu verändern, sondern sich selbst besser kontrollieren zu können. Sie rät dazu, gerade wenn es stressig ist, langsamer zu werden und nachzudenken: Was will ich, und wo wollen wir hin? "Kinder leben nicht mit unserem Takt im Kopf. Sie hassen unsere Hetze und sabotieren das unbewusst, indem sie auf Slow Motion stellen", sagt die Expertin. Auch wenn Kinder jeden Tag den gleichen Ablauf haben, gewöhnen sich Zwei- bis Vierjährige nicht daran. Denn: Kinder brauchen Zeit. Sie spielen den ganzen Tag, leben im Hier und Jetzt und können keinen vollgepackten Terminplan abarbeiten. "Wenn wir sie dann anschreien, fühlen sie sich mit Recht ungerecht behandelt, weil sie nichts anderes gemacht haben, als Kind zu sein", so die Familientherapeutin.

Mit Bildern arbeiten

Ein guter Trick, die Kleinen an unseren Zeitplan zu gewöhnen, ist, eine Uhr mit einem Pfeil zu basteln. Statt Zahlen malt man darauf Bilder, die für die unterschiedlichen Tagesabläufe stehen: aufstehen, Zähne putzen, anziehen, frühstücken, Schuhe anziehen, in die Kita fahren. Nach der Kita: heimkommen, Hände waschen, Abendessen, Schlafanzug anziehen, Zähne putzen, vorlesen, schlafen gehen. So können Eltern mit dem Kind den Pfeil auf die richtige Position drehen. Anhand der Bilder sehen die Kleinen, wo sie sich gerade befinden und was als Nächs­tes kommt. Mit der Zeit lernen sie, sich zu orientieren.

Klare Anweisungen geben

Besonders sauer werden wir, wenn wir das Gefühl haben, dass die Kleinen etwas mit Absicht machen. Stichwort: Apfelschorle. "Kinder sind kleine Forscher, die alles ausprobieren wollen – auch, ob sie mit Apfelschorle den Boden wischen können", erklärt Frankenberger. "Daher ruhig bleiben, die Flasche wegnehmen und sagen: Wenn du forschen willst, dann besser mit Wasser auf dem Balkon." Wichtig sind klare, positiv formulierte Anweisungen. Wenn wir sagen "Bitte wirf die Spaghetti nicht auf den Boden!", denkt sich ein Kind: "Das wäre eine gute Idee!" "Aus der Hirnforschung wissen wir: Die Verneinung einer Aussage verstehen kleine Kinder noch nicht", sagt die Expertin. "Hinzu kommt, dass Eltern viel zu oft Erwachsenen­sprache verwenden: 'Iss ordentlich' versteht kein Kind. Besser konkret: 'Iss die Nudeln so, dass sie in deinem Mund landen oder auf dem Teller bleiben.'"

Frust auch mal aushalten

Nehmen wir mal an, das funk­tioniert alles. Wie sieht es dann in einer akuten Gefahrensituation aus?  Zum Beispiel, wenn man zwei Kinder abholt, eines gerade anschnallt und das andere Richtung Straße läuft? Dann möchten Eltern mit ihren Anweisungen unbedingt gehört werden. "Es ist ein Irrglaube, dass Anweisungen stärker werden, wenn wir schreien. Wir werden nur lauter", sagt allerdings die Familientherapeutin. "Besser: Beide Kinder bis zum Auto an die Hand nehmen und während das eine angeschnallt wird, an das andere Kind eine deutliche Ansage richten: 'Halte dich am Türgriff fest' oder: 'Bitte hilf mir, indem du dich schon allein ins Auto setzt.'"

Wenn das gesprochene Wort nicht gehört wird: Kontakt herstellen – das Kind am Arm nehmen, dann merkt es: Es ist einem ernst. Und wenn es schreit, seinen Frust aushalten. Wichtig ist, dass wir selbst ruhig bleiben und nicht zurückschreien. Wenn alle schreien, ist das die perfekte Eskalationsspirale! Eltern korri­gieren und maßregeln viel zu viel, das mögen Kinder nicht. Und es führt auch nicht zum Erfolg.

Alltagspflichten spielerischer lösen

Trotzdem nervt der tägliche Kampf um Zähneputzen und Zimmeraufräumen. Damit alle die To-Dos leichter abhaken können, rät die Erziehungsberaterin, Alltagspflichten spielerisch anzugehen: "Beim Zähne­putzen darf das Kind erst der Lieblingspuppe die Zähne putzen, danach ist es selbst dran." Frankenberger rät auch, sein Kind richtig einzuschätzen. Wir können nicht erwarten, dass es ein Zweijähriger mit dem Laufrad bis zum Einkaufen und zurück schafft. Hier ist der Ärger vorprogrammiert. Regel Nummer eins: sich nicht auf Machtkämpfe einlassen: "Je ruhiger Sie in Trotz­phasen bleiben, desto schneller gehen diese vorbei." Ein brüllendes Kind ist nicht zugänglich. Lieber ablenken, ein anderes Thema finden.

So reagieren Kinder auf den Wutausbruch

Was passiert eigentlich, wenn wir unsere Kinder anschreien? "Für kleine Kinder ist es bedrohlich, so von oben herab angeschrien zu werden. Sie fangen an zu weinen. Wir kommen ihnen wie ein großes, gefährliches Monster vor", sagt Frankenberger. In ihren Kursen imitieren Erwachsene auf dem Boden kniend die Kinderrolle: Wenn die Eltern sich in das Kind versetzen und angeschrien werden, verstehen sie, wie bedrohlich, hilflos und lächerlich das wirkt. Problematisch ist vor allem, dass sich Kinder durch viele und heftige Streitereien bei ihren Eltern nicht mehr sicher fühlen. "Wenn Kinder merken, dass sie es schaffen, Mama und Papa zum Ausrasten zu bringen, sie die Macht haben, deren Gefühle zu manipulieren, nehmen sie wahr: Ich bin stärker als meine Eltern", so die Therapeutin. "Das heißt auch: Ich bin hier nicht sicher. Die können sich nicht mal selbst Sicherheit geben."

Kinder spüren unsere Abgespanntheit, reagieren verunsichert, weil sie alles auf sich beziehen. "Das Wichtigste für ein Leben mit Kindern ist, das Eltern gut für sich sorgen! Wir schreien erst, wenn wir schon am Ende sind. Wenn es uns gut geht, ist die Lunte länger, dann halten wir Konflikte besser aus", sagt Frankenberger. "Wenn wir den ganzen Tag nur Stress haben und den an unseren Kindern auslassen, sollten wir unseren Alltag überdenken und neu sortieren. Denn wenn wir keinen Spaß mehr an unseren Kindern haben, stimmt was nicht."

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