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Noch ehe man das Wort "Wickelkommo ..." – zack, ist es schon passiert. Mehr als die Hälfte der Unfälle bei Kindern unter fünf Jahren sind laut Zahlen der gesetz­lichen Unfallversicherung durch Stürze bedingt. Und die gehen schnell auf den Kopf: "Das kann im einfachsten Fall eine Schädelprellung verur­­sachen, die im Grunde recht harmlos ist; oder eine leichte Platzwunde, aber eben auch eine Gehirnerschütterung", schildert Dr. Florian Hoffmann. Er ist Sprecher der pädiatrischen Sektion der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin sowie Oberarzt auf der Kinderintensiv­station am Dr. von Haunerschen Kinder­spital in München.

Zwar, sagt Hoffmann, würden auch Gehirnerschütterungen in den meisten Fällen ohne Folgen ausheilen. Aber nicht immer. Schwere Gehirn­­erschütterungen können auch mit Hirnblutungen verbunden sein. Nur: Wie sollen Eltern im Schreck­moment filtern, ob es sich überhaupt um eine Gehirnerschütterung handeln könnte? Laut dem Notfallmediziner gibt es da ein sehr wichtiges Kriterium: "Die erste und die wichtigste Frage ist immer die, ob das Kind bewusstlos war – wenn auch nur für ein paar Sekunden", sagt Hoffmann.

Bei Kopfverletzungen zum Arzt

Grundsätzlich sollte man nach ­einem Sturz bei folgenden Punkten den Notruf unter der 112 alarmieren:

  • Das Kind war bewusstlos.
  • Es wirkt benommen.
  • Es klagt über Doppelbilder.
  • Das Kind erbricht sich.
  • Es wirkt teilnahmslos, verwirrt oder spricht nicht mehr richtig. 
  • Immer dann, wenn Sie unsicher sind.
Dr. Florian Hoffmann ist Oberarzt auf der Kinderintensiv­station am Dr. von Haunerschen Kinder­spital in München

Dr. Florian Hoffmann ist Oberarzt auf der Kinderintensiv­station am Dr. von Haunerschen Kinder­spital in München

Wenn Babys nicht trinken

Weil Babys logischerweise kaum beschreiben können, was ihnen fehlt, ist es bei ihnen viel schwieriger, den Sturz einzuorden. Aber es gibt deut­liche Anhaltspunkte: "Wenn Säug­linge nicht mehr trinken wollen, ist das zum Beispiel ein wichtiger Faktor, dass etwas nicht stimmt. Gleiches gilt für jede Form von Einschränkung. Da reicht es schon, wenn die Eltern sagen, ‚der ist nicht so, wie er sonst ist‘", betont Florian Hoffmann.

Umgekehrt dürfen es Eltern ausnahmsweise als wirklich gutes Zeichen deuten, wenn sich ihr Kind ­direkt nach dem Unfall die Seele aus dem Leib schreit und weint. Hat es auch keine Platzwunde, die vielleicht im Krankenhaus geklebt oder ge­näht werden müsste, können sich die ­Eltern darauf konzentrieren, das Kind zu beruhigen und die werdende ­Beule leicht zu kühlen (nicht mit Eis oder Kühlakkus, sondern zum Beispiel mit einem feuchten Wasch­lappen).

Allerdings sollte man auch dann das Kind weiter genauer im Auge behalten. Denn Symptome, die auf eine Gehirnerschütterung deuten, können etwas zeitversetzt auftreten. Hoffmann rät daher, das Kind in der ersten Nacht nach dem Sturz zwei- bis dreimal zu wecken, um zu prüfen, ob es wach wird, gut reagiert und alles in Ordnung ist.
Damit es aber gar nicht erst zum Sturz kommt, steht eine ganz andere Sache im Vordergrund: die Unfall­ursache. Und die lasse sich in vielen Fällen vermeiden, sagt Dr. Stefanie Märzheuser. Sie ist Präsidentin der Bundesarbeitsgemeinschaft "Mehr Sicherheit für Kinder" und Oberärztin in der Kinderklinik für Kinder­chirurgie an der Charité in Berlin. Unfallgefahren, so Märzheuser, hängen vor allem vom Alter des Kindes ab. "Denn ein Baby, das sich noch nicht ­eigenständig durch die Wohnung bewegen kann, ist ganz anderen Gefahren ausgesetzt als ein drei- bis vierjähriges Kind", so Märzheuser.

Auf dem Boden wickeln

Bei den Kleinsten gehöre der Sturz von der Wickelkommode zu den häufigsten Unfällen. "In Deutschland wird traditionell auf einem Wickeltisch gewickelt", sagt die Kinderchirurgin und deutet damit zugleich die wohl denkbar einfachste Lösung zur Gefahrenvermeidung an: "Nehmen Sie eine Decke, und wickeln Sie auf dem Boden. Das ist vielleicht nicht rückenschonend, aber die Sturzgefahr reduziert sich sofort auf null." In vielen anderen Ländern sei diese Art zu wickeln sehr verbreitet. Nutzen ­­Eltern einen Wickeltisch, gilt vor ­allem eines: "Sie dürfen ihre Kinder nicht eine Sekunde loslassen. Und ich sage bewusst nicht ‚aus den Augen lassen‘, weil Sie mit denen Ihr Kind nicht auffangen können. Es muss ­immer eine Hand am Kind sein – vorzugsweise an einem Oberschenkel oder an der Hüfte", betont die Expertin. Ebenso kann auch der Standort die Sturz­gefahr wesentlich reduzieren. Steht der Wickeltisch in einer Ecke, sind schon zwei Seiten von Wänden geschützt. Auf der dritten ist ein ­Elternteil. Bleibt nur noch eine Seite: "Und an die kann man eine seitliche Erhöhung bauen, dann ist auch der Wickeltisch ein relativ ­sicherer Ort", sagt Märzheuser.

Vorausschauend denken

Ein wesentlicher Punkt bei der Vermeidung von Unfällen sei laut Märzheuser jedoch folgender: "Man muss vorausschauend denken. Überlegen Sie sich vorher, wo könnte denn eine Gefahr lauern und wie verbanne ich sie aus dem Leben meines Kindes." Das fängt mit Eckschonern für Tischkanten und Kindersicherungen an Steckdosen an und reicht bis zu verriegelbaren Fenstergriffen und dazu, dass Kinder schon gar nicht auf die Höhe der Griffe gelangen können. "Unfälle bei Kindern bis zu einem Jahr sind eigentlich immer mit den Eltern assoziiert", sagt Märzheuser. "Denn Kleinkinder haben noch keinerlei ­Gefahrenbewusstsein", sagt die ­Ärztin.

Hohe Betten ab Schulalter

Nehmen Alter und Mobilität zu, ­steige folglich auch die Gefahr für Stürze aus der Höhe. "Wenn es auf den Spielplatz geht, sollten die Eltern auf die Altersempfehlungen für die jewei­ligen Spielgeräte achten", sagt Märzheuser. "Denn die werden oft missachtet, weil die Eltern ihrem Kind zu viel zutrauen." Auch die Gefahr, die von Hoch- und Etagenbetten ausgeht, werde häufig unterschätzt. Da müsse laut Märzheuser gründlich überlegt werden, wie dort der Sturz des Kindes verhindert werden kann. Und ohnehin: Solche Betten findet die Expertin frühestens ab dem Schulalter für Kinder ­geeignet.

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