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Ach, wie schön war das, als Marlene mit dem Breiessen begann. Karotten, Pastinaken, Fenchel, Sellerie – alles wurde von ihr mit großen leuchtenden Augen für unglaublich gut befunden. Sie liebte Brei in jeder Geschmacksrichtung. Meistens habe ich selbst gekocht und püriert, aber manchmal musste auch ein gekauftes Bio-Gläschen her. Meiner Tochter war es einerlei. Alles wurde von ihr weggeschaufelt. Ich war so stolz: Mein Kind, die gesund ernährte Allesesserin.

Plötzlich: "Nein! Das mag ich nicht!"

Aber dann kam der Moment, in dem aus meiner Vorzeige-Verwerterin eine Kostverächterin wurde. Marlene dürfte so etwa drei Jahre alt gewesen sein, als sie das erste Mal die Nase über meinem Essen rümpfte. "Mama, was ist denn DAS?", hörte ich sie pikiert sagen. "Das sind Grünkernbratlinge mit Topinamburpürree und Kürbiskernpesto. Das magst du doch." Entgeisterte Blicke. Versteinerte Miene. "Nein! Das mag ich nicht!" Die Tatsache, dass sie dieses Gericht schon zigmal vorher verspeist hat, zählte nicht. Sie sah, roch und verweigerte. Von einem Augenblick auf den nächsten.

Was war passiert? Im Supermarkt blieb sie plötzlich anstatt vor den Mandarinen vor der Mandel-Schokolade stehen. Statt Tofu wollte sie Toffee, statt Leitungswasser Limo. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Im Kindergarten wurde mir versichert, dass es außer Wasser und ungesüßtem Tee nichts gebe. Naja, außer vielleicht zu Noahs Geburtstag. Da gab's Kakao für alle. Und Muffins. Naja, und ein paar Schokoküsse. Aber solche kleinen Ausreißer werfen doch nicht den gesamten Geschmackshorizont meines Kindes um, oder?

Also vielleicht doch meine Mutter! Die passte schließlich jeden Freitag auf ihr Enkelkind auf. Grrrrrr. Die hat sie bestimmt einer Gehirn… ach, was sag ich, einer Geschmackswäsche unterzogen. Ich nahm sie ins Verhör und nervös-schwitzend gab sie dann auch zu, dass sie Marlene ab und zu mit Eis und Gummibärchen verwöhnen würde. Aha! Daher also! Alle sabotierten mein Ernährungskonzept! Ich hatte doch einen Plan! Nichts Süßes bis sie sechs ist, kein Alkohol bis sechzehn, keine Männer bis zwanzig. Und jetzt wurde schon der erste Teil meines Masterplans aufs Übelste unterwandert.

Mission grüne Wochen: Radicchio und Rucola

Das konnte ich nicht zulassen. Ich läutete die grünen Wochen ein und setzte weiterhin auf Spinat, Salat und Sojasprossen. Meine Tochter, die früher immer die erste am Mittagstisch war, musste ich nun zehn Mal bitten, sich zu mir zu gesellen. Schnaufend saß sie vor ihrem vor Gesundheit strotzenden Teller und stocherte lustlos ein paar Bio-Erbsen auf. Die Brotzeit, die ich ihr in den Kindergarten mitgab, kam immer öfter unberührt zurück. Was, bitte, war an selbstgebackenem Dinkelbrot mit Rote-Bete-Aufstrich und Kresse auszusetzen?

Mir war das wirklich ein Rätsel. In einschlägigen Ratgebern hieß es doch, nichts sei wichtiger für ein Kind als eine gesunde Ernährung. In Frankreich würden die Kleinen immer alles essen, was auf den Tisch käme, weil sie es von Anfang an so gelernt hätten. Ja, auch Froschschenkel und Schnecken. Da kennen die gar nichts, die kleinen Franzosen. Nur mein Kind verweigerte sich plötzlich meinen Gemüseaufläufen. Ich war frustriert. Während ich also noch über französische Kindererziehung nachdachte, kochte ich mir Milch auf und schüttete in Gedanken versunken Vanillepuddingpulver aus der Tüte hinein. Mit dem ganzen Topf knallte ich mich dann auf die Couch und dachte immer noch darüber nach, wie ich Marlene Radicchio und Rucola schmackhaft machen konnte. Beim dritten Löffel des vollkommen übersüßen Puddings bemerkte ich erst, was ich da eigentlich tat. Und lief tiefrot an.

Nie wieder Hardliner!

Wie konnte ich vergessen, dass wir nicht nur biologische Essensverwerter sind? Dass eine gesunde Ernährung zwar wichtig, aber das Entdecken von allen Geschmäckern das Schönste überhaupt ist? Ich schämte mich wirklich und dachte zugleich zurück an meine Kindheit. Als ich das erste Mal ein Haselnusseis bekam. Das erste Mal den Strohhalm in die Safttüte steckte, deren Inhalt so herrlich nach Orangen-Plastik schmeckte. Meinen ersten Griff in eine Tüte Chips. Und in dem Moment wusste ich: Als Hardliner in Sachen Ernährung vermiese ich meinem Kind nur die Lust am Essen. Und das wollte ich auf keinen Fall. Denn Essen, das ist Sinnlichkeit und Freude. An Gemüse, aber auch an Vanillepudding.

Am Abend steckte ich meinen Kopf in ihr Kinderzimmer.
Ich: "Schatz, kommst du zum Essen?"
Sie: "Hmm, was gibt's denn?"
Ich: "Schnitzel mit Pommes."
Große Augen, aufgeklappter Mund.
Sie: "Echt?"
Ich: "Echt."
Sie: "Kein Witz jetzt?"
Ich: "Kein Witz."
Pause
Sie: "Mit Ketchup?"
Ich: "Ja, mit Ketchup."