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Seitdem ich ein Kind habe, neige ich gelegentlich dazu, mir Dinge schönzureden. Die Sache mit der Eingewöhnung bei der Tagesmutter zum Beispiel. "Zweieinhalb Wochen reichen locker", versicherte ich meiner Umwelt mit angestrengtem Lächeln und gab mir große Mühe das zu glauben, was mir die Tagesmutter geraten hatte: "Die Verabschiedung an der Tür am besten kurz und schmerzlos." Und: "Des kriagn ma scho."

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Das Buch zur Kolumne

Geschichten über Schwangerschaft und Babyzeit – mit Witz und Charme erzählt von einer jungen Mutter zum Artikel

Sie kriegt das hin – oder?!

Frau Obermeier: Mitte 50, sehr nett, sehr erfahren, sehr bayerisch und unsere Tagesmutter. "Sie kriegt das schon hin", zitierte ich vor meinen erstaunten Mutti-Freundinnen, die gefühlt seit zwei Monaten damit beschäftigt waren, ihre Kinder häppchenweise mit dem Krippenpersonal anzufreunden. In Wirklichkeit hatte ich – Ende 20, sehr unerfah­ren – schon vier Wochen vor dem Eingewöhnungsstart einen Kloß im Hals.

Merle heult, Mama auch

Ich verabschiedete Merle zum ersten Mal an Tag vier für einen einstündigen Einkaufsbummel in den örtlichen Supermarkt. "Servus, Mamaaaaaa", rief Frau Obermeier – mein Kind auf dem Arm, vier andere am Bein – und schloss die Tür. Merle brüllte hinter der Glas­scheibe. Ich schluckte. "Dass Merle weint, ist doch nur ein Zeichen dafür, wie eng ­eure Bindung ist", beruhigte mich meine Freundin Mia am ­Telefon, während ich im Auto saß und heulte. Schon jetzt befürchtete ich ein frühkindliches Trauma bei meinem Kind und verkürzte meine mütterliche Abwesenheit eigenmächtig auf großzügig abgerundete 40 Minuten.

"Guad war’s", referierte die Tagesmutter, als ich Merle ­abholte, die ­immer noch oder schon wieder heulte. "Ach, wirklich?", antwortete ich un­gläubig, während Frau Obermeier Merles Rotznase unter zwei ver­heulten Augen beseitigte. Ich erwog, meinen beruflichen Wiedereinstieg um­gehend um drei bis fünf Jahre nach hinten zu verschieben. Mindestens.

Dem Gruppenklima angepasst

"Eine fremde Frau putzt meinem Kind die Nase", jammerte ich am Abend zu Hause. "Sehr gut", antwortete mein Liebster. "Dafür bezahlen wir sie." "Stört dich das nicht?", fragte ich beleidigt, als hätte mir jemand das Sorgerecht entzogen. "Dass sie Merle die Nase putzt?", fragte Felix ­irritiert. "Nee, also wirklich nicht." Ich mache es kurz: Seit zwei Wochen bin ich eingewöhnt. Ich halte fünf Stunden im Büro aus, ohne mich zwischendurch nach dem Befinden unserer Tochter zu erkundigen. Mein schlechtes Gewissen ist kleiner geworden, und Merle heult nur noch kurz beim Abgeben. Und um im gewohnten Schönrede-Modus zu bleiben: Unsere Tochter hat sich bestens dem Gruppenklima angepasst. Seit ges­tern hat sie 39 Grad Fieber, und das, was aus ihrer Nase kommt, ist grün.