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"Kommen Kinder immer früher in die Pubertät?", fragen sich Mediziner heute. Wahrscheinlich ist das so: Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung könnte sich die Pubertät – an medizinischen und körperlichen Parametern gemessen – durchaus nach vorne verschoben haben. Leider gibt es noch keine Studie zum frühreifen Verhalten aufmüpfiger Vor- und Grundschülerinnen. Liebe Wissenschaft, falls Bedarf besteht: Meine Tochter wäre das ideale Studienobjekt.

Verfrühte Frühpubertät?

Denn tatsächlich glaube ich, dass die Pubertät bei meinem Kind schon  begonnen hat, als sie vier Jahre alt war. Eine mentale verfrühte Frühpubertät quasi. Schon im Kindergarten hat sie mit  Vorliebe traurige Lieder von Tom Waits gehört – bei verschlossener Tür,  versteht sich.

Und dann dieses ständige Genörgel, diese eigenwilligen Ansichten und  diese Che-Guevara-Attitüde. Ganz ehrlich: Ich dachte, ich habe für dieses  impertinente Revoluzzer-Gehabe noch ein paar Jahre Zeit. Aber in  stetiger Regelmäßigkeit startet meine Tochter Putschversuche, indem sie  so ziemlich alles in Frage stellt, was mit mütterlicher Gesetzgebung zu  tun hat. Warum muss man um 18 Uhr Abend essen? Wer bestimmt eigentlich  die Zu-Bett-Geh-Zeit? Wo steht geschrieben, dass es  Süßigkeiten-Beschränkungen gibt? Mit meinen Antworten ("Ist halt so", "Ich"  und "In Mamas persönlichem Erziehungsratgeber") will sie sich bis heute  nicht zufrieden geben.

Rebellion im Kinderzimmer

Diskussionen mit meinen Eltern? Das fing bei mir sicher erst viel später an.  Soweit ich weiß, nahm ich in meiner Kindheit die Gesetzgebung von Mutter und Vater einfach als solche  hin. Ich kann mich nicht erinnern, jemals infrage gestellt zu haben,  warum ich bei Tante Maria drei Stunden ruhig am Kaffeetisch sitzen  musste. Das war einfach so, basta. In meinem Hirn fand nicht viel statt,  was an Rebellion erinnert hätte. Bei meinen Freunden auch nicht. Wenn  wir auf der Straße gespielt haben und unsere Mütter riefen uns aus den  jeweiligen Küchenfenstern zum Mittagessen, wäre niemand von uns auf die  Idee gekommen, zu hinterfragen, wer denn dieses synchrone Mittagsgebrüll  eingeführt hat, während wir so schön spielten. Auflehnung? Niemals.  Die Dinge waren einfach so.

Und jetzt meine Tochter. Die hat sich mit  fünf Jahren schon ernsthaft überlegt, vielleicht Vegetarierin zu  werden. Das bayerische Schulsystem fand sie auch schon früh  kritikwürdig. Und bei Familienbesuchen machte sie mir unmissverständlich  klar, dass das für ein Kind äußerst langweilig ist an einem Tisch mit  Erwachsenen zu sitzen, die sich unterhalten.

"Du warst doch genauso!"

Ob Sie es mir glauben oder nicht: Es ist mir unheimlich, mit  einer 7-Jährigen über Atomkraftwerke zu diskutieren, während im  Hintergrund Tom Waits läuft. Manchmal macht mich das sogar ein wenig  traurig. Soll sie doch lieber sorglos durch ihre Kindheit hüpfen und springen.  Ich habe meine schließlich auch mit Schlagermusik in einer  "Dalli, Dalli"-Idylle verbracht.

So zumindest meine  Erinnerung. Aber vielleicht stimmt die auch nicht ganz. Meine Mutter meinte letztens: "Marlene ist genauso, wie du früher warst." Ich hörte wohl gerne sentimentale Zarah-Leander-Songs. Liebte düstere Märchen. War ein diskutierender  Albtraum, lange bevor mein erster Pickel sprießte. Und: Von wegen drei  Stunden ruhig bei Tante Maria am Kaffeetisch sitzen – die Schilderungen meiner Mutter klingen  da ganz anders. Kann mir meine Erinnerung so  einen Streich spielen? Offensichtlich.

Vielleicht verzweifeln wir Eltern ja nur deswegen an der Pubertät unserer Kinder – egal in welchem Alter  sich die ersten Auswüchse bemerkbar machen –, weil wir unsere eigene vergessen haben? Deshalb, liebe Mit-Eltern, lasst uns akzeptieren: Wir waren doch genauso.