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Manchmal schaukeln die Kleinen beim Therapeuten vor sich hin. Oder sie üben Dinge, die alltäglich sind: Malen, Balancieren, Klettern. Ergotherapie sieht oft spielerisch aus. Doch sie ist ein wichtiger Baustein bei der Therapie vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen im Kindesalter. Was genau steckt dahinter? Ein Gespräch mit Christine Donner vom Bundesverband für Ergotherapeuten in Deutschland:

Frau Donner, was bietet Ergotherapie?

Vereinfacht gesagt dient Ergotherapie dazu, eine durch Krankheit, Verletzung oder Behinderung verloren gegangene oder nicht vorhandene Handlungsfähigkeit im Alltag zu ermöglichen. Dafür werden Bewegungsabläufe geschult, aber auch Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Ergotherapie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Das bedeutet: Der Patient steht im Mittelpunkt der Behandlung mit all seinen Bedürfnissen und Beziehungen, mit seinem gesamten Körper und seiner Psyche.

Durch Ergotherapie kommen etwa Menschen mit angeborenen körperlichen wie geistigen Schädigungen oder mit neurologischen Störungen, wie beispielsweise nach einem Unfall, besser zurecht. Gleiches gilt für Menschen mit Verhaltens- und Entwicklungsstörungen.

Wie nützt die Heilmethode Kindern?

Manche Kinder sind motorisch nicht alters­gemäß entwickelt. Oder sie leiden unter Verhaltensauffälligkeiten, haben ADHS oder zeigen seelische Störungen wie starke Ängste. Auch bei Behinderungen, etwa beim Down-Syndrom, kann man die Kinder mit Ergotherapie fördern.

Durch sogenannte Assessments, also einer gezielten Überprüfung, ermittelt der Ergotherapeut oder die Ergotherapeutin zunächst, welche Ursache hinter der jeweiligen Störung liegt. Jede dann darauf basierende ergotherapeutische Maßnahme wird auf das Kind und seine Umwelt angepasst, um bestmögliche Ergebnisse zu erreichen. Die Integration und Beratung der Eltern dabei ist für den Erfolg der Ergotherapie dabei besonders bedeutsam.

"Die spielen ja bloß!" – so lautet ein häufiger Vorwurf. Was erwidern Sie darauf?

Ein großer Vorteil der Ergotherapie ist ihre Vielfältigkeit. Sie verfügt über eine große Palette an Maßnahmen und Möglichkeiten. Das reicht von verhaltenstherapeutischen Ansätzen über Konzentrationstrainings, Methoden zur Verbesserung von Gleichgewicht, Balance und Koordination, von Wahrnehmung und dem trainieren aller Sinne.

Auf der schiefen Ebene etwa kann ein Kind seinen Gleichgewichtssinn trainieren. Beim Malen geht es unter anderem um die Verbesserung der Feinmotorik. Was ein Kind braucht, bestimmt der Therapeut zu Therapiebeginn, je nach Diagnose und Entwicklungsstand. Die ausgeklügelten ergotherapeutischen Konzepte wirken auf Kinder magisch, weil sie spielerisch daherkommen, so dass Kinder stets mit großer Freude zur Ergotherapie gehen.

Wird Ergotherapie zu oft verordnet?

Ganz im Gegenteil. Ergotherapie wird mit Blick auf die Versorgungsquoten zu wenig verordnet. Der Bedarf an ergotherapeutischen Behandlungen ist groß, die Anzahl an Ergotherapeut:innen dafür zu gering. Die Vergütung der Ergotherapeut:innen durch die gesetzlichen Krankenkassen für ihre Leistungen ist in Deutschland im europäischen Vergleich schlecht. Seit 2019 gingen umgerechnet über 900 vollzeitbeschäftige Ergotherapeut:innen unserem Land verloren.

Brauchen Kinder heute zum Schuhebinden wirklich einen Therapeuten?

Einzelne Elemente aus einem Gesamtkonzept heraus zu greifen und damit aus dem Kontext zu reißen führt zu einem falschen Schluss. Fakt ist: Das Leben stellt heute an unsere Kinder andere Anforderungen als früher. Fakt ist auch: Je besser unsere Kinder diese Anforderungen bewältigen können, umso besser wird es unserer gesamten Gesellschaft gehen. Das gilt für die Finanzierung unserer solidarischen Prinzipien ebenso, wie auch für die Stärke unserer Wirtschaft.

Und unabhängig davon: Welche Eltern wollen nicht, dass sich ihre Kinder bestmöglich entwickeln? Genau das bewirkt Ergotherapie.

Wann zahlt die Kasse Ergotherapie?

Wenn der Arzt die Therapie für Kinder verordnet, übernehmen die gesetzlichen und privaten Krankenkassen die Kosten. Was viele nicht wissen: Ergotherapie muss nicht immer in der Praxis stattfinden, der Therapeut kommt, wenn nötig, auch nach Hause, in die Schule oder in die Kita. Wichtig ist, der Therapeut sollte auf Kinder spezialisiert sein. Bei der Suche nach dem richtigen Ergotherapeuten hilft der Bundesverband für Ergotherapeuten.

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