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Wütendes Gebrüll von der Krabbeldecke: Auf der Seite liegend, streckt sich der Halbjährige nach der Rassel, drückt den Rücken durch, gibt alles … und schafft es doch nicht. Ein Griff der Erwachsenenhände und schon ist Ruhe. "Stopp", würde Frauke ­Mecher hier sagen. "Der Kleine hat es schon auf die Seite geschafft, der Rest, ­also das selbstständige Drehen auf den Bauch, ist nicht mehr weit. Er muss selbst herausfinden, wie es geht", erklärt die Physiotherapeutin aus Braunschweig und Mitglied des Deutschen Verbands für Physiotherapie e.V. Sie betreut in ihrer Praxis hauptsächlich Säuglinge und Kinder, viele mit Bewegungsstörungen.

Das Drehen ist nur einer der Meilensteine, die Kinder im Laufe ­ihrer motorischen Entwicklung erreichen. Und bei denen die Eltern nur zu gerne helfen. Weil sie dem Nachwuchs Frust ersparen wollen oder es ihm in der neuen Position leichter machen möchten.

Lernen neuer Bewegungen: Helfen hilft nicht

Aber: "Die Kinder lernen es nicht schneller, wenn Eltern ihnen dabei helfen", betont Mecher. Denn jede Bewegung erfordert nicht nur die entsprechend ausgebildeten Muskeln, Knochen, Sehnen und Bänder, sondern auch bestimmte Gehirnleistungen. Das Ganze muss koordiniert werden. In den ­­ersten Monaten reagiert ein Säugling häufig aufgrund von Reflexen – für ihn überlebenswichtig. Erst später kann er seine Bewegungen bewusst steuern.

Wann welches Kind was kann, ist dabei völlig unterschiedlich. Ist ein Baby wirklich mal spät dran, kann der Kinderarzt entscheiden, ob es eine helfende Therapie benötigt.

Babys müssen verschiedene Strategien entwickeln

Bis ein Kind etwas alleine schafft, muss es viel ausprobieren und ab und zu scheitern, auch wenn Eltern das manchmal nur schwer mit ansehen können. Beispiel Sitzen: Physiotherapeutin Mecher nennt zwei Strategien, mit denen Babys sich das Sitzen erarbeiten. Manche Kinder kommen zunächst in den – etwas umständlichen – Vierfüßlerstand. Aus ihm heraus schieben sie sich irgend­wann nach hinten und landen auf dem Po. "Das ist eher ein Zwischenstadium, häufig merken die Kleinen, dass sie aus dieser Position nur schwer ­ihre ­Lage verändern können. Aber es war einen Versuch wert", so die Therapeutin.

Die meisten Babys lernen jedoch sitzen, indem sie sich aus der Seitenlage mit den Händen abstützen. "Wer sein Kind häufig an den Händen ins Sitzen hochzieht, verwehrt ihm daher wichtige Erfahrungen", erklärt Mecher. "Es muss ja auch ­alle Übergänge vom Liegen bis zum Sitzen selbst kennenlernen und die Chance haben, sie zu wiederholen." Nur so merkt ein Kind zudem, dass es mit seinen Händen nicht nur greifen, sondern sich auch abstützen kann  – enorm wichtig, wenn es später laufen lernt und nach vorne fällt.

Schlimmstenfalls drohen Haltungsschäden

Wird ein Baby häufig hingesetzt, ohne dass es das schon selbst kann, entwickelt es im schlimms­ten Fall Haltungsschäden. "Die Wirbel­säule kann diese Position noch nicht alleine halten und krümmt sich im unteren Bereich – ein Sitzbuckel entsteht", warnt Physiotherapeutin Mecher. Und das nur, damit der Nachwuchs nicht liegen muss? "Tatsächlich wird Sitzen von Eltern überbewertet", sagt Mecher. "Für die Kleinen steht das Vorwärtskommen im Vordergrund, sie wollen die Welt erkunden, Gegenstände erreichen. Wenn sie etwas mit beiden Händen untersuchen wollen, drehen sie sich einfach auf den Rücken."

Auf dem Weg nach oben suchen Kinder sich meist selbst Hilfe, ziehen sich an Sofa­kanten oder Tischbeinen hoch. "Da sollte man den Nachwuchs einfach machen lassen, aber nichts forcieren", rät Mecher. Irgendwann gelingen auf diese Weise die ersten Schritte, entlang der Wand oder vielleicht, indem das Kind eine Spielkiste vor sich herschiebt. Auch beim Stehen- und Laufen­­lernen gilt: Bitte das Kind nicht an den Armen hochziehen. Sonst strengt es die Muskeln nicht an, die es braucht. Natürlich darf der Nachwuchs an der Hand laufen. Dafür muss der ­Erwachsene sich aber so zum Kind beugen, dass es die kurzen Ärmchen nicht strecken muss. Und diese ­Hilfe sollten Eltern dosiert einsetzen: "Andernfalls riskiert man, dass es bald gar nicht anders laufen will", sagt Mecher.

"Kinder sollen sich anstrengen dürfen", so die Physiotherapeutin. "Und sie müssen Fehler machen, damit sie später auch wissen, wie es nicht geht."

Laufen lernen: Lieber ohne Hilfsmittel

Es gibt ­allerlei Geräte, die Babys ­motorische Entwicklung unterstützen sollen. Große Vorsicht ist vor allem vor den soge­nannten "Gehfrei"-Geräten oder Baby­walkern geboten: Diese Gestelle auf Rollen, in die man das ­Baby hineinsetzen kann, fördern das Laufenlernen nicht.

Im Gegenteil, sie hindern Kinder daran, ihre motorischen Fähigkeiten voll zu entwickeln, so der Berufsverband der Kinder- und Jugend­ärzte. Zudem bergen die Gestelle Un­fallrisiken, warnt die Bundesarbeitsgemeinschaft "Mehr Sicherheit für Kinder e.V.": Die Kleinen stürzen über Türschwellen oder gelangen durch die erhöhte Sitzposition an heiße Töpfe oder andere gefährliche Gegenstände.

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