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Schluchzen und Festklammern – wenn die Zweijährige allein in der Kita bleiben soll, weinen und Mama-Rufe - wenn der Vierjährige nachts im dunklen Zimmer aufwacht: viele Kinder haben Angst vor alltäglichen Dingen. "Kinder leiden je nach Alter unter typischen Ängsten", sagt Silvia Schneider, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. "Sie gehen mit der kognitiven Entwicklung des Kindes einher und haben oft eine bestimmte Funktion."

Ein Kind fängt in der Regel mit acht Monaten an zu krabbeln. Gleichzeitig setzt das Fremdeln ein, das Kind leidet unter Trennungsängsten. "Man vermutet, dass das eine Schutzfunktion ist", sagt Schneider. "Sie soll verhindern, dass sich das Kind zu weit von den Eltern entfernt."

Typische Ängste in den Entwicklungsphasen

  • Zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr treten bei Kindern Trennungsängste auf – in mehr oder weniger starker Ausprägung.
  • Mit zwei bis vier Jahren befinden sich Kinder in der sogenannten magischen Phase: Sie sehen Fantasiegestalten und glauben, sie könnten zaubern. Nachts haben sie oft Angst vor bedrohlichen Kreaturen und vor der Dunkelheit generell.
  • Mit fünf bis sieben Jahren denken Kinder logischer, aber immer noch sehr konkret. Sie haben Angst vor Katastrophen, Unglücken oder Kriegen – zum Beispiel, wenn sie etwas darüber im Fernsehen gesehen haben. "Auch, wenn das Unglück weit weg ist, beziehen das Kinder sehr stark auf sich", sagt Schneider. Sie rät Eltern, die Kinder nicht abzuschotten, sondern ihnen die aufgeschnappte Nachricht kindgerecht zu erklären. Außerdem typische Ängste für dieses Alter: die Angst davor, verletzt zu werden und die Furcht vor bestimmten Tieren.
  • Ab ungefähr acht Jahren treten in der Regel erste Leistungsängste auf – zum Beispiel die Angst vor der Schule oder vor Prüfungen.
  • Im Jugendalter, wenn Kinder anfangen, sich von ihren Eltern zu lösen, treten häufig wieder soziale Ängste auf.

Eltern sind wichtige Unterstützer

Normalerweise lernt das Kind in der jeweiligen Entwicklungsphase, die typischen Ängste zu überwinden. Dazu benötigt es die Unterstützung seines Umfelds. Traut es sich etwas nicht, sollten Eltern es immer wieder sanft dazu ermuntern: "Komm, das kannst du doch." "Mit der Zeit lernt das Kind, dass nichts Schlimmes passiert, wenn es seine Angst überwindet", sagt Schneider.

Hat das Kind nachts Angst vor Ungeheuern, kann es helfen, wenn nach einem beruhigenden Einschlafritual ein Nachtlicht leuchtet oder die Tür einen Spalt offen steht. Ein Kuscheltier kann das Gefühl geben, nicht alleine zu sein. "Noch besser ist es, das Kind dabei zu unterstützen, die Situation selbst beherrschen zu können", sagt Schneider. "Alles, was sein Selbstbewusstsein stärkt, ist ideal." Sie empfiehlt, die Gedankenwelt des Kleinen in der magischen Phase zu berücksichtigen: Zum Beispiel können ihm die Eltern ein imaginäres Monsterspray ans Bett stellen, mit dem es die Ungeheuer vertreiben kann.

Mit ins Elternbett nehmen?

Das Kind mit ins Bett der Eltern zu nehmen, hält Expertin Schneider für kontraproduktiv. "Natürlich es nicht realistisch, dass ein Kind in diesem Alter immer alleine schlafen kann", sagt sie. "Aber es sollte nur begründete Ausnahmen geben, zum Beispiel, wenn es krank ist." Kann das Kind generell nicht allein ein- oder durchschlafen, hilft ein spezielles Schlaftraining: Die Eltern erklären dem Kleinen zunächst, dass es nun schrittweise lernen soll, alleine zu schlafen. Als erstes ist das Einschlafen dran: Eltern und Kind sollten sich auf ein kurzes, ruhiges Ritual einigen – eine Gute-Nacht-Geschichte, ein gemeinsames Lied, ein Hörspiel. "Es ist wichtig, dass die Eltern danach aus dem Zimmer gehen", sagt Schneider. "Das Kind muss lernen, seine Erregung zu regulieren und sich selbst zu beruhigen." Klappt das, folgt der zweite Schritt: Die Eltern besprechen mit dem Kind, was es tun kann, wenn es nachts aufwacht – anstatt sofort ins Bett der Eltern zu flüchten. Hier helfen Nachtlicht, Kuscheltier – oder Monsterspray.

Dem Kind etwas zutrauen beugt Angststörungen vor

Lernt das Kind nicht rechtzeitig, mit einer Angst umzugehen, kann daraus eine Angststörung entstehen. Das hängt laut Schneider vor allem vom Verhalten der Eltern ab: "Es gibt natürlich genetische Anlagen, aber die Erziehung spielt eine entscheidende Rolle. Angststörungen entstehen oft durch einen sehr behütenden Erziehungsstil."

Vielen Eltern sei das gar nicht bewusst. Sie möchten wohl einfach nicht, dass ihr Kind leidet – und versuchen entsprechende Situationen zu vermeiden. "So veranlassen manche Eltern eher einen Schulwechsel, statt mit dem Kind die Probleme vor Ort zu lösen. Oft – natürlich nicht immer – ist das falsch", sagt Schneider. "Das Kind muss lernen, mit unterschiedlichen Menschen klarzukommen." Vor allem, wenn die Eltern selbst schon unter Ängsten leiden, übertragen sie diese häufig auf ihre Kinder. "Studien haben gezeigt, dass es schon positive Auswirkungen auf das Kind hat, wenn Eltern ihre eigenen Ängste therapieren lassen", sagt Schneider.

Verhaltenstherapie wirkt rasch und dauerhaft

"Eine Angststörung liegt vor, wenn Ängste lange anhalten und über die typische Entwicklungsphase hinaus bestehen", sagt Schneider. "Ein weiteres Kriterium ist, dass das Kind in seinem Alltag und seiner weiteren Entwicklung behindert ist."

Angststörungen lassen sich meist gut mit einer Verhaltenstherapie behandeln. Das Kind übt dabei, wie es die angstauslösende Situation bewältigen kann. Und lernt, die Angst auszuhalten. "Die Angst verschwindet dann langfristig, wie Studien gezeigt haben", sagt Schneider. Die Therapie wird in der Regel von den Krankenkassen bezahlt, wenn eine Angststörung diagnostiziert wurde.

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