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Wenn es noch eines Bildes für die Krise der Pflege bedurft hätte, dann lieferte es spätestens der Abend des 15. April in Berlin. Polizei und Krankenwagen rückten an, weil in einem Pflegeheim der Hauptstadt die Versorgung auf der Kippe stand – die diensthabende Pflegekraft hatte in ihrer Verzweiflung den Notruf gewählt. Wenige Tage später kam es in einem Heim in Schleswig-Holstein zu einem offenbar ähnlichen Vorfall.

Es sind Nachrichten wie diese, die das Image der Pflege in Deutschland bestimmen: eine Branche im permanenten Katastrophenmodus. Und, ja, man darf die Not in der Pflege nicht beschönigen. Sie trifft nicht nur diejenigen, die in Pflegeberufen arbeiten, sondern auch und besonders pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen – und damit irgendwann wohl jede(n) von uns.

Kai Klindt, Apotheken Umschau

Kai Klindt, Apotheken Umschau

Doch die schlechte Nachrichtenlage droht den Blick auf eine positive Erkenntnis zu verstellen. Wohl noch nie hatte der Pflegeberuf so viel Potenzial. Das liegt etwa an neuen Ausbildungsgängen: Seit Kurzem kann man den Beruf nicht nur an Fachschulen erlernen, sondern auch von der Pike auf studieren. Das fügt der anspruchsvollen dreijährigen Ausbildung eine wissenschaftliche Qualifikation hinzu, die die Pflege im Konzert der Gesundheitsberufe aufwerten dürfte.

Auch nach dem Abschluss gibt es zahlreiche Wege der Vertiefung und Weiterbildung – oft auf akademischem Niveau. Ein Beispiel ist das Modell der „Advanced Nursing Practice“, ein Studium, das Pflegeprofis für spezialisierte Aufgaben wie die Versorgung von Demenzkranken wissenschaftlich fit machen soll.

Ohne ärztliche Weisung entscheiden können

Dazu passt, dass endlich auch die Politik den beruflich Pflegenden fachlich den Rücken stärken will. Qualifizierte Pflegefachkräfte sollen künftig in bestimmten Bereichen ohne Rücksprache mit Ärztinnen oder Ärzten entscheiden können. So sieht es das geplante Pflegekompetenzgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor. Das käme im deutschen Gesundheitswesen, in dem die ärztliche Weisung seit jeher das Maß aller Dinge ist, fast einer Revolution gleich.

Angedacht ist unter anderem die Therapie chronischer Wunden – Pflegekräfte, die über die nötige Expertise verfügen, könnten dann etwa in eigener Regie die passende Wundauflage verordnen. Ein längst notwendiger Schritt, der auch auf die Berufszufriedenheit einzahlen dürfte.

Pflege kann mehr, als die Öffentlichkeit ahnt

„Pflege kann mehr, als sie darf“, sagte Karl Lauterbach, als er im vergangenen März die Umrisse des Pflegekompetenzgesetzes skizzierte. Man könnte hinzufügen: Pflege kann auch mehr, als die Öffentlichkeit in Deutschland ahnt. So geht es in der Ausbildung nicht nur darum, kranke und pflegebedürftige Menschen fachkundig zu versorgen, sondern auch um Beratung und Anleitung, um Prävention – und darum, Pflegebedürftigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen oder zu lindern. Dieses Wissen ist in einer Gesellschaft mit immer mehr älteren Menschen von größter Bedeutung – dass es bisher in der Praxis kaum abgerufen wird, ist allerdings ein Unding.

Während immer mehr Berufe mit Schreibtischarbeit verbunden sind, nicht wenige gar von Robotern oder einer künstlichen Intelligenz übernommen werden, bleibt die Pflege eine Tätigkeit nah am Menschen, die auf absehbare Zeit keine Konkurrenz von der Technik bekommen wird. Das verspricht nicht nur sichere Arbeitsplätze, sondern eine Aufgabe, deren Sinn Pflegenden in Szenen berührender Dankbarkeit von Patientinnen und Patienten gespiegelt wird.

Im Gespräch mit Pflegekräften erfährt man, dass sie oft besonders erfüllt sind von ihrem Beruf in Situationen, die Außenstehende wohl als die belastendsten ansehen würden: in der Palliativpflege und in Hospizen beispielsweise. Es dürfte wenige Berufe geben, die fachliches Können und menschliche Tiefe so sehr zusammenbringen.

Mehr Selbstbewusstsein, bitte!

Eines jedoch darf man allen beruflich Pflegenden zum Tag der Pflege dringend wünschen: mehr Bewusstsein für die eigenen professionellen Stärken, mehr Mut, für den Beruf einzustehen und auch Forderungen zu stellen. Im Getöse der Interessenkonflikte und Verteilungskämpfe im Gesundheitswesen ist die Stimme der Pflege kaum zu hören. Auch das muss sich ändern, damit der Beruf sein großes Potenzial entfalten kann.


Quellen:

  • t-online.de: Kein Nachtpersonal: Altenheimpflegerin wählt Notruf. Online: https://www.t-online.de/... (Abgerufen am 10.05.2024)
  • t-online.de: Pfleger ruft verzweifelt die Feuerwehr – und wird entlassen. Online: https://www.t-online.de/... (Abgerufen am 10.05.2024)
  • Bundesministerium für Gesundheit: Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach zum Pflegekompetenzgesetz. Online: https://www.youtube.com/... (Abgerufen am 10.05.2024)
  • Bundesministerium für Gesundheit: Pflege kann was – Pflegeausbildung, Dein Weg in den Pflegeberuf. Online: https://www.pflegeausbildung.net/... (Abgerufen am 10.05.2024)