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Von der Vogelgrippe zur Rindergrippe: In den USA haben sich zahlreiche Milchkühe mit einem Vogelgrippevirus vom Typ H5N1 angesteckt. Das Erbgut des Virus fand sich auch in deren Milch.

Ist das gefährlich? Passt sich das Virus bereits an weitere Wirte an? Steht uns womöglich die nächste Pandemie bevor? Schließlich hat sich auch ein Mensch mit der Vogelgrippe angesteckt. Virologe Prof. Dr. Martin Schwemmle, der das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg leitet, ordnet ein.

Herr Professor Schwemmle, hat es sie überrascht, dass H5N1 auch Rinder befällt? Schließlich gelten sie bisher nicht als typischer Wirt des Vogelgrippevirus.

Prof. Dr. Martin Schwemmle: Im Prinzip kann H5N1 sehr viele Tiere infizieren. Aber dass es jetzt Milchkühe in dem Ausmaß betrifft, davon war ich schon sehr überrascht. Es gibt zwar vereinzelte Berichte, in denen Milchkühe mit Influenzaviren infiziert wurden. Aber das ist schon sehr lange her und bis dato gab es keine weiteren Fälle.

Was meinen Sie, hat zu der Übertragung geführt?

Professor Dr. Martin Schwemmle leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg und forscht selbst zu Influenzaviren.

Professor Dr. Martin Schwemmle leitet das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg und forscht selbst zu Influenzaviren.

Schwemmle: Das ist noch nicht klar. Man weiß, dass es aus der Vogelwelt kommen muss. Aber wie es in die Kühe gekommen ist … sehr wahrscheinlich über eine Kontaminierung mit infektiösem Material. Kühe fressen ja keine Vögel, wie zum Beispiel Katzen. Also muss das Virus irgendwie anders ins System gekommen sein.

Manche vermuten, das Futter der Kühe könnte mit Vogelkot verunreinigt gewesen sein.

Schwemmle: Klar, das ist möglich. Aber wie genau die Infektion stattgefunden hat, ist bisher nicht klar. Da kann man im Moment nur rätseln.

Weiß man, ob es Wild- oder Zugvögel waren? Oder könnte es zum Beispiel auch aus einem Hühnerstall gekommen sein?

Schwemmle: Das war ein H5N1-Virus aus der Wildbahn. Man hat ja mittlerweile die Gensequenzen dieser Viren und konnte das vergleichen. Damit war klar: Es muss aus dem Wildvogelbereich kommen.

Musste sich das Virus für den Sprung in die Kuh stark verändern? Oder sind das nur wenige Mutationen?

Schwemmle: Immer, wenn H5N1 ein Säugetier infiziert und sich darin vervielfältigt, entstehen Mutationen. Die nützlichen, die sich positiv auf die Vermehrung auswirken, setzen sich durch. Sie werden selektioniert, wie wir sagen. Das hat man auch bei der Milchkuh beobachtet. Es wurden jedoch erstaunlich wenige Mutationen gefunden.

Kann man anhand dieser Sequenzen auch sagen, wann das Virus übergesprungen ist? Ist das vielleicht sogar mehrfach passiert?

Schwemmle: Die Kollegen aus den USA haben wirklich sehr viele von den Viren, die die Milchkühe infiziert haben, sequenziert. Auch das von der infizierten Person. Mit Hilfe dieser Sequenzen kann man Stammbaumanalysen machen. Daran kann man ableiten, dass es sehr wahrscheinlich nur einen Eintrag aus der Wildbahn gegeben hat, der vor drei bis vier Monaten stattgefunden hat.

Also zirkuliert das Virus schon länger, als man dachte?

Schwemmle: Das Virus war schon in den Milchkühen, bevor man es im März das erste Mal detektiert hat. Aber das ist vermutlich normal für einen Ausbruch, bei dem nicht alle Tiere auf einen Schlag schwer erkranken. Man wird nicht Zeitzeuge, sondern merkt es erst Wochen später.

Aber es ist schon erstaunlich, wie viele Herden betroffen sind: Aktuell (Stand 2. Mai 2024) sind es 36 aus neun verschiedenen US-Bundesstaaten.

Schwemmle: Vielleicht ist es doch nicht so erstaunlich. Die Landwirte haben natürlich weiter mit den Milchkühen gehandelt und sie von Hof zu Hof transportiert, innerhalb der Bundesstaaten, aber auch von Staat zu Staat. Und die Kühe haben das Virus unbemerkt mitgebracht.

Wie verbreitet sich denn das Virus von Kuh zu Kuh?

Schwemmle: Einhundertprozentig sicher weiß man das noch nicht. Die vorherrschende Meinung ist, dass es mit der Milchgewinnung zusammenhängt. Also, dass die Infektion über das Euter infizierter Kühe stattfindet. Mit diesem Wissen kann man jetzt geeignete Maßnahmen einleiten.

Wie finden Sie, gehen die USA mit den Vogelgrippe-Fällen um?

Schwemmle: In den ersten Tagen nach so einem Ausbruch herrscht natürlich erst mal Unklarheit. Im Nachhinein ist es immer leicht zu sagen, was man hätte besser machen können. Aber im Großen und Ganzen finde ich es in Ordnung, wie die zuständigen Behörden die Situation aufarbeiten und welche Maßnahmen sie eingeleitet haben.

Welche zum Beispiel?

Schwemmle: Seit man weiß, dass sich das Virus über den Handel verbreitet, dürfen keine kranken Kühe mehr transportiert werden.

Wie merkt man denn, ob eine Kuh infiziert ist?

Schwemmle: Es ist schwierig, das ohne diagnostische Tests sicher zu sagen. Ein Hauptsymptom ist, dass die Kuh weniger Milch gibt – das merkt man sofort. Mittlerweile muss vor dem Transport mit diagnostischen Tests zweifelsfrei nachgewiesen werden, ob eine Kuh mit H5N1 infiziert ist oder nicht. Das hat man am Anfang des Ausbruchs noch nicht gemacht, darum kam es zu dieser Ausbreitung auf mehrere Bundestaaten.

Könnte so etwas auch in Europa oder in Deutschland passieren?

Schwemmle: lm Prinzip schon. Ich gehe aber davon aus, dass Rinder doch relativ resistent sind gegen diese Vogelgrippenviren. Und dass ein solcher Ausbruch wie in den USA ein seltenes Ereignis bleibt. Trotzdem kann keiner ausschließen, dass es in Europa oder Deutschland stattfinden könnte. Allerdings gibt es hierzulande die sogenannte „Gläserne Kuh“. Das heißt, man kennt alle Kühe und weiß, wo sie sich befinden. Bei einem Ausbruch hätte man sofort Zugang zu den Daten und könnte sehr schnell reagieren. Das ist in den USA eher problematisch.

Weiß man, wie lange sich das Vogelgrippevirus in so einer Kuh repliziert? Wie lange ist sie infektiös?

Schwemmle: Die Studien dazu sind noch nicht abgeschlossen, aber man geht von etwa zwei bis drei Wochen aus. Genaue Daten dazu, wie hoch die Infektiosität zu welchem Zeitpunkt ist, werden erst noch kommen.

Die gute Nachricht ist, dass sich eine Kuh, die einmal infiziert war, wieder erholt und höchstwahrscheinlich nicht mehr infiziert werden kann

Dann hat das Virus schon eine gewisse Zeit, um andere Kühe mit Vogelgrippe anzustecken – und zu mutieren.

Schwemmle: Ja, das stimmt, denn es gibt Infektionsketten in der Herde. Aber die gute Nachricht ist, dass sich eine Kuh, die einmal infiziert war, wieder erholt und höchstwahrscheinlich nicht mehr infiziert werden kann. Das heißt, wenn die ganze Herde einmal infiziert wurde, gibt es das Virus nicht mehr.

Mittlerweile wurden aber auch schon schwerere Fälle berichtet, ein paar Kühe sind sogar gestorben. Könnte es sein, dass das Virus für sie gefährlicher wird? Bei Vögeln gelangt das Virus ins Gehirn.

Schwemmle: Das ist bislang sehr spekulativ und muss noch gründlich untersucht werden. Bislang hat man bei Kühen noch keine typischen Enzephalitis-Fälle gesehen, also einen Befall des Gehirns, wie beispielsweise bei Füchsen, die einen infizierten Vogel gefressen haben. Das liegt vielleicht auch am Weg der Infektion, die ja wahrscheinlich über den Euter und weniger über den respiratorischen Bereich stattfindet.

Laut des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sind in den USA auch Katzen gestorben, nachdem sie die Milch von infizierten Kühen getrunken haben. Das heißt, auch andere Übertragungswege sind möglich – oder?

Schwemmle: Ja, klar. Die Katzen haben sich wahrscheinlich beim Trinken der Milch über den oberen Respirationstrakt infiziert. Von dort kann das Virus ziemlich schnell ins Gehirn gelangen.

Aber der Weg vom Euter zum Gehirn ist zu lang?

Schwemmle: (lacht) Ja, vielleicht. Oder es gibt Abwehrmechanismen, die eine weitere Ausbreitung des Virus nicht zulassen. Das wissen wir alles noch nicht. Fakt ist aber: In der Milch sind ziemlich hohe Konzentrationen des Virus enthalten. Das ist schon erstaunlich.

Wenn die Milch pasteurisiert, also hocherhitzt wurde, ist das sehr wahrscheinlich kein Problem

Gutes Stichwort: In den USA wurden auch in Supermarkt-Milch Virusreste nachgewiesen. Besteht dadurch eine Gefahr für Menschen?

Schwemmle: Wenn die Milch pasteurisiert, also hocherhitzt wurde, ist das sehr wahrscheinlich kein Problem. Das sagt auch die WHO. Problematisch wäre es nur, wenn man Rohmilch trinkt. Das sollte man generell nicht tun, nicht nur wegen der Vogelgrippeviren, sondern auch wegen anderen Krankheitserregern. Leider halten sich nicht alle daran.

Wie sieht es mit Fleischprodukten aus?

Schwemmle: Da gibt es bislang keine Hinweise auf Kontaminationen.

Können sich Menschen bei den Rindern direkt mit der Vogelgrippe anstecken? Wie Sie vorhin erwähnten, gab es in den USA ja schon so einen Fall.

Schwemmle: Ja, das stimmt, da hat sich ein Landwirt angesteckt. Aber dazu muss man sich vergegenwärtigen, wie solche industriellen Milchanlagen aufgebaut sind: Da stehen zig Kühe im Karussell und werden gleichzeitig gemolken. Es gibt Spritzer, Milch wird verschüttet, es ist warm – und in der Luft befindet sich vermutlich ebenfalls Virus. Dass man sich in so einer Umgebung ungeschützt infizieren kann, ist nicht unbedingt überraschend. Aber die Infektion führte zu keiner ernsthaften Erkrankung, sondern lediglich zu einer Bindehautentzündung. Das zeigt, dass das Virus für Menschen (noch) relativ harmlos ist.

Rechnen Sie damit, dass das in Zukunft häufiger vorkommt?

Schwemmle: Ich rechne damit, dass dieser Ausbruch jetzt schnell unter Kontrolle gebracht wird. Sonst wäre die Gefahr groß, dass dieses Virus in der Kuhpopulation bleibt. Das wäre eine schwierige Konstellation. Aber ich gehe davon aus, dass es in wenigen Monaten H5N1 in Milchkühen nicht mehr gibt – bis eventuell ein neuer Eintrag stattfindet.

Würde es Sinn machen, Rinder zu impfen? Es gibt ja bereits Impfstoffe gegen H5N1.

Schwemmle: Das stimmt und es wird bereits überprüft, ob die Seren von geimpften Tieren das Virus neutralisieren, also inaktivieren. Inwieweit es sinnvoll ist, jetzt schon zu impfen, hängt von der Ausbreitung in andere Beständen und Bundestaaten ab. Breitet sich das Virus nicht mehr aus, ist eine Impfung erst mal nicht nötig.

Bisher scheint es schon so zu sein, dass sich das Virus weiter an die Milchkuh anpasst. Das sind Anpassungen, die auch eine Übertragung auf den Menschen begünstigen könnten

Wäre eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung zum jetzigen Zeitpunkt möglich?

Schwemmle: Man darf niemals „nie“ sagen. Das hat uns Influenza schon mehrfach gelehrt. Bisher scheint es schon so zu sein, dass sich das Virus weiter an die Milchkuh anpasst. Das sind Anpassungen, die auch eine Übertragung auf den Menschen begünstigen könnten. Das Ausmaß dieser Anpassungen ist aber noch zu gering, als dass sich daraus eine große Gefahr für den Menschen ergeben könnte.

Könnte es zu einer Vermischung mit anderen Viren, zum Beispiel Schweinegrippe- oder saisonalen Grippeviren kommen?

Schwemmle: Das ist tatsächlich eine Problematik, die man bei Influenza-Viren kennt. Influenza-A-Viren wie das H5N1-Virus können Teile ihres Genoms mit menschlichen Influenza-A-Viren austauschen. Die Situation würde sich schlagartig ändern, wenn neue H5N1-Varianten entstehen, die Teile menschlicher Grippeviren enthalten und damit die schwierige Anpassung an den Menschen umgehen. Das kommt sehr selten vor, aber ausschließen kann man es nicht.

Fürchten Sie, dass sich aus dem aktuellen Ausbruch eine neue Pandemie entwickeln könnte?

Schwemmle: Nein. Wenn die Maßnahmen, über die wir bereits gesprochen haben, greifen – und davon gehe ich aus – wird das in ein paar Monaten keine Rolle mehr spielen. Wenn die Zuständigen es nicht in den Griff bekommen – aus welchen Gründen auch immer – dann ist das natürlich ein Problem.

Aber Sie geben eher Entwarnung?

Schwemmle: Natürlich kann ich mich irren. Aber die Maßnahmen, die von den CDC und anderen Organisationen ergriffen wurden, sowie das aktuelle Infektionsgeschehen deuten auf eine Entwarnung hin.


Quellen:

  • Centers for Disease Control and Prevention, National Center for Immunization and Respiratory Diseases (NCIRD): Current H5N1 Bird Flu Situation in Dairy Cows. Online: https://www.cdc.gov/... (Abgerufen am 07.05.2024)
  • Burrough E R, Magstadt D R, Petersen B et al. : Highly Pathogenic Avian Influenza A(H5N1) Clade 2.3.4.4b Virus Infection in Domestic Dairy Cattle and Cats, United States, 2024 . In: Emerging Infectious Diseases 29.04.2024, 30: 1
  • US Food and Drug Administration (FDA): Updates on Highly Pathogenic Avian Influenza (HPAI). Online: https://www.fda.gov/... (Abgerufen am 07.05.2024)
  • Centers for Disease Control and Prevention: Bird Flu Virus Infections in Humans. Online: https://www.cdc.gov/... (Abgerufen am 07.05.2024)