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„Psssst, Papa schläft“, sagt Tanja, 42, zu ihren Kindern Kasper, 6, und Maja, 3, die in Wirklichkeit anders heißen. Tanja hasst jedes Wort, das sie da sagt. Sie hasst es, dass Bernd, 54, der Papa der Kinder, seine Bedürfnisse wieder an erste Stelle setzt. Hasst, dass sie diesen Satz immer noch sagen muss – dabei sind sie jetzt seit über einem Jahr getrennt. Theoretisch. Räumlich nämlich sind sie es nicht: Tanja, Bernd und die Kinder wohnen weiterhin zusammen. Und das aus rein praktischen Gründen: Keiner von beiden kann sich eine Wohnung in der Stadt leisten, in der sie leben. Die Familie, die keine mehr ist, ist weiter zusammen.

Nach der Trennung getrennt wohnen? Eine Frage des Budgets

Ein Extremfall? Angesichts der Mietsituation in vielen deutschen Großstädten eher die Regel. Und in der Anfangszeit ohnehin. Nur wenige Eltern finden unmittelbar nach der Trennung eine bezahlbare und praktikable Lösung.

Manche funktionieren die bisherige Familienwohnung in ein soge­nanntes „Nest“ um: Die Kinder bleiben am Ort, die Eltern kommen und gehen im Wechsel – ein Provisorium in einer ohnehin fragilen Phase. Und „eine Situation, unter der meistens alle leiden“, sagt die Sozialpädagogin Katrin Normann, die Familien in Trennungsituationen berät.

Susanne, 44, aus Hamburg lebte nach dem Beziehungs-Aus noch acht Wochen lang mit ihrem Ex-Mann Karl, 50, und dem gemeinsamen Sohn Finn, 10, unter einem Dach. Zwei lange Monate für alle. „Ich habe versucht, meine eigenen Emotionen beiseitezuschieben, stark für Finn zu sein und mich darauf zu konzentrieren, möglichst schnell etwas Neues für uns zu finden.“ Karl jeden Tag zu sehen, sei hart gewesen. Und Finn quälte die Angst, durch einen Umzug den Kontakt zu seinen Freunden und zum Papa zu verlieren.

Julian, 30, und seine Freundin Anna, 29, probierten es zunächst einige Monate mit einer Eltern-WG in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung. Dann fand Julian – ein Riesenglück – eine Wohnung im selben Haus. Bis jetzt kann der heute vierjährige Lasse zwischen den zwei Elternwohnungen hoch- und runterlaufen. „Anfangs war er zu klein, es zu kapieren“, sagt Julian. „Gut ist, dass wir Eltern uns wenig begegnen, weil Lasse am Wechseltag alleine kommt oder geht.“

Kinder spüren Krisen – und brauchen konkrete Informationen

Für kleinere Kinder ist in der Anfangsphase am wichtigsten zu wissen, was sich alles für sie nicht ändern wird. Darauf, da sind sich Expertinnen und Experten einig, sollten Eltern den Fokus legen. Doch wie Überblick und Stärke ausstrahlen, wenn um einen selbst dichter Nebel herrscht?

Viel erklären müsse man in der Regel eh nicht, sagt Katrin Normann. Kinder haben feine Antennen. „Sie sind meist weniger überrascht, wenn sie von der Trennung erfahren, als Eltern denken.“ Das bedeutet im Umkehrschluss ­allerdings: „Wenn wir lange so tun, als wäre alles in Ordnung, die Kinder aber etwas anderes spüren, stellen sie ihre eigene Wahrnehmung infrage. Das schadet ihrer emotionalen Entwicklung.“

Julian hatte gerade in den ersten Wochen und Monaten manchmal ein ungutes Gefühl: „Lasse verstand nicht, warum er plötzlich mit mir ein paar Treppen höhergehen musste und abends nicht mal eben zu Mama zum Gutenachtsagen konnte.“ Er, Julian, habe mantraartig wiederholt, dass Mama und Papa sich nicht mehr lieb hätten – aber seine Eltern bleiben würden. Ein bisschen sprach er dabei jedes Mal auch zu sich selbst.

„Gut gemacht!“, hätte der 2019 verstorbene dänische Erziehungsexperte Jesper Juul vermutlich zu dem jungen Vater gesagt. Seine Devise war: Möglichst wenige, aber konkrete Informationen helfen den Kindern. Und am allerwichtigsten ist es für sie zu hören, dass sie keinerlei Schuld an der Trennung trifft. Je nach Alter der Kinder, ergänzt Katrin Normann, könne man dann mehr oder weniger in die Tiefe gehen.

Nicht weiter Familie spielen – und nicht per Chat kommunizieren

Alles andere als leicht, sich auf eine Sprachregelung – oder überhaupt auf irgendwas – zu einigen, wenn gerade noch die eigenen Emotionen hochkochen: die Wut, die Trauer, die Enttäuschung. Eine Trennung, sagt Familienanwältin Ulrike Buchner, hole oft das Schlechteste aus den Menschen heraus. Und sie verlangt in manchen Fällen den Eltern fast übermenschliche Größe ab. Erst recht, wenn sie noch weiter zusammenleben.

Susanne zog mit Finn ins Obergeschoss der Familien-Maisonette-Wohnung, Karl blieb unten. Die Wochenenden teilten sie klar auf. Den Alltag mit Kind habe sie, wie davor auch, „allein gewuppt“, sagt Susanne. Kommuniziert wurde über Zettel am Kühlschrank und „möglichst wenig per WhatsApp“ – viel zu viel Potenzial für Missverständnisse. Das Zusammenwohnen sollte keine Dauerlösung werden. „Ich wollte so schnell wie möglich den klaren Cut.“

Den empfiehlt auch Katrin Normann: „Die innere Trennung ist leichter zu bewältigen, wenn der Alltag getrennt abläuft.“ Keine ­gemeinsame Familienzeit am Wochenende mehr, kein Abendessen zu dritt, viert oder fünft, keine Ausflüge zusammen zu Oma und Opa oder in den Zoo. Nicht weiter Familie spielen, nur damit das Kind sich vielleicht leichter entwöhnt. „Das haben wir anfangs so gemacht“, gesteht Julian. „Dann merkten wir: Lasse kommt total durcheinander. Also haben wir es sauber getrennt.“

Wenn neue Partner im Spiel sind, wird es noch komplizierter

Bei Tanja und Bernd gibt es noch eine Art blinden Fleck: Die beiden Kinder wissen nicht, dass Tanja einen neuen Partner hat und oft frühmorgens nach einer Nacht bei ihm in die Wohnung zurückschleicht. „Bernd und ich sind schon so lange kein Paar mehr, ich will mich nicht ewig einschränken.“ Susanne hätte das nicht gekonnt mit Karl, der ebenfalls eine neue Beziehung gefunden hat. Sie wollte auch nicht länger zwischen all den Erinnerungen weiterleben. Sie hat nur 600 Meter entfernt eine neue Bleibe gefunden und sortiert jetzt ihr Leben. Und Finn ist zufrieden, weil in all dem Neuen vieles für ihn bleiben konnte, wie es war.

Bei Julian und Anna beginnt ebenfalls ein neues Kapitel: Anna zieht demnächst mit ihrem neuen Freund in ein anderes Viertel. „Auf einmal hat mich die Angst wieder gepackt“, erzählt Julian. „Ich kam mir vor wie der Zurückgebliebene, hatte Sorge, dass Lasse nicht mehr gern zu mir kommt.“ Zum Glück konnte er mit Anna darüber reden, hatte keine Scheu, von den Ängsten zu erzählen. Sie haben vereinbart, sensibel zu sein für die Situation des jeweils anderen. Und das ist bei allem, was trennt, eine Menge Verbindendes.

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Quellen: