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Alkohol ist in der Schwangerschaft tabu – oder nicht? Laut einer bayerischen Studie tranken rund 25 Prozent der Befragten in der Schwangerschaft Alkohol, vorwiegend Frauen über 30 mit höherem Schulabschluss. Im Gegensatz dazu rauchten rund 9,8 Prozent, darunter eher jüngere Frauen mit niedrigem Schulabschluss. Ist Alkoholkonsum in der Schwangerschaft gesellschaftlich akzeptiert? "Im Gegensatz zum Rauchen wird noch nicht ausreichend aufgeklärt", sagt Dr. Reinhold Feldmann, Leiter der FAS-Ambulanz der Tagesklinik Waldstedde. "Obwohl – anders als bei Nikotin – Schäden durch Alkohol nach der Geburt nicht mehr zu lindern sind."

Alkohol: Zellgift, das Fehlbildungen fördert

Alkohol ist ein Zellgift. Da er wasserlöslich ist, gelangt er in alle Zellen des Körpers – bei Schwangeren über die Plazenta auch ungehindert zum Kind. Im Gegensatz zur Mutter wächst es stark, seine Zellen teilen sich rasch. Das bietet dem Alkohol viel Angriffsfläche: In den ersten drei Schwangerschaftsmonaten entstehen die Organe, der Einfluss des Zellgifts kann zu Fehlbildungen führen. Auch das Gesicht ist meist betroffen: Typische Merkmale sind kurze Lidspalten, eine kaum ausgeprägte Rinne zwischen Nase und Lippe und eine schmale Oberlippe. Anschließend ist über längere Zeit das Gehirn das größte Organ des Ungeborenen und wird daher am stärksten geschädigt. Betroffene Kinder haben eine verminderte Intelligenz. "Wie gravierend die Einschränkungen sind, ist zwar abhängig von der Alkoholmenge, die die werdende Mutter konsumiert hat", sagt Feldmann. "Aber die Kinder müssen meist eine Förderschule besuchen." Sie können sich nicht gut konzentrieren, weshalb sie zunächst oft mit ADHS-Kindern verwechselt werden. Außerdem haben sie ein schlechteres Gedächtnis. Weil sie vieles vergessen, kommen sie in der Schule nicht mit. "Und sie werden oft sozial ausgegrenzt", sagt Feldmann.

Etwa 10.000 Neugeborene pro Jahr sind von Schäden durch Alkohol in der Schwangerschaft betroffen, sie leiden unter einer sogenannten fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD). Bei den meisten treten einige, aber nicht alle der oben genannten Veränderungen auf, außerdem sind viele zu früh geboren. Rund 2000 bis 4000 der Kinder weisen dagegen mehrere und stärker ausgeprägte Merkmale auf. Dann spricht man vom fetalen Alkoholsyndrom (FAS).

Empfehlung: Kein Alkohol für Schwangere

Die Konsequenz: "Man kann Schwangeren nur raten, keinen Alkohol zu trinken", sagt Maria Flothkötter vom Netzwerk Gesund ins Leben des Bundeszentrums für Ernährung. Eine bestimmte erlaubte Menge an Alkohol könne man nicht definieren. "Untersuchungen haben gezeigt, dass bei jedem die Durchlässigkeit der Zellwände anders ausgeprägt ist – das ist genetisch bedingt", sagt Feldmann. Auch manche Frauen, die nur vergleichsweise wenig Alkohol getrunken haben, bekämen ein FAS-Kind. Die verbreitete Einstellung, "mal ein Gläschen" sei in Ordnung, halten beide Experten deshalb für falsch. Ihre Argumentation: Wer Alkohol nicht unbedingt braucht, kann auch verzichten, wer ihn braucht, interpretiert die Vorgabe in der Regel zu großzügig. Betroffene sollten sich rechtzeitig Hilfe holen.

Alkohol bei unbemerkter Schwangerschaft: Kein Grund zur Panik

Und wenn man Alkohol getrunken hat, bevor man wusste, dass man schwanger ist? Kein Grund zur Panik, sagen beide. "Die meisten bemerken ihre Schwangerschaft ja relativ früh, mit dem Ausbleiben der Regel", sagt Feldmann. Am Anfang der Schwangerschaft sind die Zellen des Embryos noch besser geschützt. Nach der Befruchtung dauert es zudem rund 10 Tage, bis der Embryo an den Blutkreislauf der Mutter angeschlossen ist. "In dieser Phase gilt die Alles-oder-nichts-Regel", sagt Flothkötter. "Treten Schäden auf, können Stammzellen diese entweder ausgleichen oder der Embryo geht ab." Ist die Frau weiterhin schwanger, sei das Kind in der Regel gesund. "Aber natürlich sollte sie auf Alkohol verzichten, sobald sie die Schwangerschaft bemerkt", sagt Feldmann. Und: Auch, wer sich ein Baby wünscht, sollte besser nichts trinken. Denn Alkohol beeinflusst die Fruchtbarkeit – besonders beim Mann.

Experten empfehlen heute generell, dass der Partner während der Schwangerschaft aus Solidaritätsgründen auch auf Alkohol verzichtet. "Das macht es der Schwangeren leichter", sagt Flothkötter. Vor allem aber sollte er die Bemühungen der Schwangeren nicht unterlaufen. Das gilt auch für Freunde und Familie.

Alkohol in Soßen und Kuchen für Schwangere ein Problem?

Soße mit Rotwein, Eierlikörkuchen – müssen Schwangere auf all diese Leckereien verzichten? Nicht unbedingt: Siedet eine Soße bei etwas mehr als 70° C über längere Zeit, verfliegt der Alkohol. "Ein kleiner Schuss Wein zum Ablöschen ist also kein Problem", sagt Flothkötter. "Aber man muss auf den Deckel verzichten, damit der Alkohol verdunsten kann." Gibt man den Alkohol erst nach dem Aufkochen der Soße hinzu, bringe das dagegen gar nichts. Für Kuchen gilt dasselbe: Ein bis zwei Esslöffel Alkohol im Teig verteilen sich auf den ganzen Kuchen und verdunsten beim Backen teilweise. Von Schnapspralinen rät die Ernährungswissenschaftlerin ab: "Teilweise ist da schon einiges an Schnaps drin, da kann man ruhig konsequent sein."

Kleinstmengen hält sie allerdings für unbedenklich. Neben Rückständen in Soßen oder Kuchen kann in gegärten Lebensmitteln wie Sauerkraut oder in Säften Alkohol enthalten sein – in naturtrüben sogar rund ein Prozent. "Für Alkoholiker sind diese Dinge tabu", sagt die Expertin, "aber für Schwangere kein Problem." Ebenso sei alkoholfreies Bier, alkoholfreier Sekt oder Wein ein guter Ersatz für alkoholhaltige Getränke bei besonderen Gelegenheiten wie Feste oder Feiern. Diese dürfen in Deutschland Alkoholrückstände von bis zu 0,5 Prozent enthalten. Manche Hersteller bieten auch Produkte mit null Prozent Alkohol an. Aber Flothkötter merkt an: "Wichtig ist, dass diese Getränke nicht Appetit auf Alkoholhaltiges machen. Sonst sollte man lieber darauf verzichten."