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Nichts liegt Eltern ferner, als ihrem Baby Schmerzen zufügen zu wollen. Doch genau dazu sollen Sie sich entscheiden, wenn ein Kind gerade einmal acht Wochen alt ist. Denn nun steht – laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-­Koch-Instituts (RKI) – die erste Spritze für den kleinen Körper an: die Sechsfach-Impfung gegen Diphtherie, Hepatitis B, HiB, Keuchhus­ten, Kinderlähmung und Wundstarrkrampf. Dazu kommen noch die Impfungen gegen Rotaviren – allerdings eine Schluckimpfung – und Pneumokokken.

Auch wenn die Pikse das Baby zum Weinen bringen, der Nutzen, den das Kleine davonträgt, überwiegt. "Impfungen sind ein Segen. Sie verhindern viel Leid bei Kindern und Familien", sagt Professor Philipp Henneke, Leiter der Abteilung Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg. Denn Impfungen führen erwiesenermaßen dazu, dass Krankheiten, an denen hierzulande noch vor 60 Jahren Tausende Kinder litten, heute nur noch selten auftreten.

Prof. Dr. med. Philipp Henneke leitet die Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg

Prof. Dr. med. Philipp Henneke leitet die Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Freiburg

Wie die Impfung wirkt

Diphtherie etwa kann Atemnot auslösen und im schlimmsten Fall Ersticken. Keuchhusten kann zu Krampfanfällen führen, auf ­eine Maserninfektion kann eine Entzündung des Gehirns folgen, die ein hohes Risiko für Folgeschäden mit sich bringt und tödlich verlaufen kann. "Kinderkrankheiten: Das klingt immer so harmlos, doch das sind sie nicht", sagt Henneke. Die im Impfplan enthaltenen Impfungen richten sich gegen teilweise sehr ­schwere, ansteckende Erkrankungen, die mit lebenslangen Schäden einhergehen können. 

Ausgelöst werden die Krankheiten durch Viren und ­Bakterien. Bei einer Impfung bekommt das Baby entweder Bestandteile des Keims oder abgeschwächte Infektions­erreger gespritzt. "Der Körper wird dadurch angeregt, Antikörper zu bilden. Gleichzeitig baut er ein Immungedächtnis auf", erklärt Dr. Hedwig Roggendorf, Leiterin der Impfsprechstunde am Klinikum rechts der Isar in München. Treffen später die ­Viren oder Bakterien auf den Körper, fangen die nun vorhandenen Antikörper diese ab und unterbrechen die Infektionskette. Sind genügend Antikörper vorhanden, ist das Kind vor der Krankheit geschützt.

Training für das Immunsystem

Manche Eltern sind der Meinung, dass das Immunsystem ihrer Kinder stärker werde, wenn es die Krankheit selbst durchmache. Ein Trugschluss. Auch bei einer Impfung wird das Immunsystem trainiert – jedoch mit einem entscheidenden Vorteil: "Das Training geschieht ohne bleibende Schäden, die die Krankheit hervorrufen kann", sagt Roggendorf.

Warum, so fragt sich die Ärztin, zögern manche Eltern trotzdem, ihren Nachwuchs impfen zu lassen und ihm damit Leid zu ersparen? "Zum Fahrradfahren setzen sie ihm ­einen Helm auf, im Auto schnallen sie es an. Es ist so fahrlässg, auf diese Impfvorsorge zu verzichten."

Hinweis: Dieser Impfkalender orientiert sich an allgemeinen Empfehlungen der STIKO. Im Einzelfall können sich Abweichungen von diesem Schema ergeben. Lassen Sie sich daher zu Impfungen und Impfterminen individuell vom Kinderarzt beraten. Von der STIKO empfohlene Impfungen werden meist von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Am besten vorher erkundigen!

Dr. med. Hedwig Roggendorf leitet die Impfsprechstunde am Klinikum rechts der Isar in München

Dr. med. Hedwig Roggendorf leitet die Impfsprechstunde am Klinikum rechts der Isar in München

Eltern können sich beraten lassen

Die Angst vor Nebenwirkungen führen impfkritische Eltern als Argument ins Feld. "Jede medizinische Maßnahme hat Nachteile, auch Impfungen", sagt Philipp Henneke. Eine 100-prozentige Sicherheit kann der Arzt nicht versprechen, allerdings zählen Impfstoffe zu den sichersten Medikamenten. Sie werden lange und genau getestet, bis sie auf den Markt kommen. "Hier hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel getan", sagt Henneke.

Bei der ­­STIKO beraten außerdem Mediziner aus verschiedenen Fachbereichen darüber, welche Impfungen sie für welche Zielgruppe empfehlen. Zudem ließ sich nicht belegen, dass ­Impfungen Autismus, Allergien oder Diabetes auslösen. Dass sich manche Eltern trotzdem darauf fokussieren, erklären sich die Experten folgendermaßen: Da es die Krankheiten mit schweren Verläufen nicht mehr gibt, sind sie in der Gesellschaft nicht als Problem präsent. "Führt jedoch tatsächlich ­eine Impfung zu einer Komplikation, dann erscheint die als sehr groß", erklärt Henneke.

Prof. Klaus Cichutek ist Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, in Langen.

Prof. Klaus Cichutek ist Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, in Langen.

Jeder Verdacht auf Nebenwirkungen wird untersucht

Über das sogenannte Spontanmeldesystem melden Ärztinnen und Ärzte Verdachtsfälle von Arzneimittel-Nebenwirkungen und Impfkomplikationen. Das Paul-Ehrlich-Institut erfasst und bewertet diese systematisch. Zusätzlich müssen die pharmazeutischen Unternehmen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und damit auch den nationalen Arzneimittelbehörden regelmäßig Sicherheitsberichte zu ihren Arzneimitteln vorlegen.

"Sollte sich für ein zugelassenes Impfstoffprodukt der Hinweis auf ein neues Risikosignal ergeben, ergreifen, veranlassen oder koordinieren wir Maßnahmen zur Risikoreduktion, gegebenenfalls im Verbund mit den Schwesterarzneimittelbehörden in den Gremien der Europäischen Arzneimittelagentur EMA", erklärt Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.

Seit 2012 können zudem Verbraucher selbst direkt Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen melden (www.nebenwirkungen.bund.de). "Unsere Auswertungen der Meldungen haben wir vor der Pandemie jedes Jahr in der ersten Ausgabe des Bulletins zur Arzneimittelsicherheit veröffentlicht“, sagt Cichutek. "Mit Beginn der COVID-19-Impfkampagne haben wir uns auf die Sicherheitsberichte zu den COVID-19-Impfstoffen konzentriert, die anderen Impfstoffprodukte und die dazugehörigen Verdachtsfallmeldungen aber natürlich weiterhin bearbeitet. In der ersten Ausgabe des Bulletins zur Arzneimittelsicherheit 2023 haben wir die Auswertung der Verdachtsfallmeldungen aller Impfstoffe für die Jahre 2019 bis 2021 veröffentlicht." Auf Basis dieser Auswertungen ergab sich für die in Deutschland verwendeten Impfstoffprodukte kein neues Risikosignal für bisher unbekannte Nebenwirkungen.

Durch die Impfung das Umfeld schützen

Außerdem sollten sich Eltern ­einen weiteren Aspekt vor Augen führen: Indem sie ihr Kind impfen lassen, schützen sie auch die Kinder, die nicht geimpft werden können, weil sie zum Beispiel schwer krank oder noch zu jung sind. Herdenschutz oder auch Gemeinschaftsschutz nennen Experten diesen Effekt. "Als Teil der Gesellschaft trägt man auch dafür Verantwortung", gibt Philipp ­Henneke zu bedenken. "Kinder haben ein Recht auf Schutz."

Deshalb hat der Bundestag eine Impfpflicht gegen Masern beschlossen: Seit März 2020 müssen alle Kinder vor der Aufnahme in Kita, Schule und der Kindertagespflege nachweisen, dass sie wirksam gegen Masern geimpft worden sind. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch des Kindergartens ausgeschlossen werden. Gegen Eltern, die ihre dort betreuten Kinder nicht impfen lassen, kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.500 Euro verhängt werden. Auch Kindertagesstätten riskieren ein Bußgeld, wenn sie nicht geimpfte Kinder betreuen.

Krankheiten, gegen die geimpft wird:

Das Rotavirus kann bei Babys und kleinen Kindern heftiges Erbrechen und wässrigen Durchfall auslösen. Etwa die Hälfte aller betroffenen Unter-Fünfjährigen müssen wegen Flüssigkeitsmangel ins Krankenhaus.

Tetanus (Wundstarrkrampf) wird durch einen Bazillus ausgelöst, der in der freien Natur vorkommt. Gelangt verseuchter Schmutz in eine frische Wunde, kann er in den Organismus eindringen. Das Bakteriengift greift beim Menschen das Nervengewebe an und führt zu Muskelkrämpfen bis hin zur Lähmung der Atemmuskulatur.

Diphtherie-Erreger können den Kehlkopf befallen und zu starker Atemnot, Erstickungsanfällen und sogar zum Tod führen. Das Gift des Erregers kann Organe, beispielweise das Herz, schädigen.

Keuchhusten wird durch Bordetella-pertussis-Keime verursacht. Die Krankheit äußert sich durch schwere Hustenattacken, vor allem nachts, nach denen das Kind sehr erschöpft ist und häufig erbricht. Das Gefährliche: Keuchhusten kann bei Säuglingen zu Atemstillständen führen.

Haemophilus influenzae Typ b (Abkürzung Hib) ist ein Bakterium, das bei Kleinkindern schwerste Entzündungen der Atemwege sowie der Hirnhäute hervorrufen kann.

Kinderlähmung oder Poliomyelitis (Polio) kann zu bleibenden Lähmungen der Arme und Beine und sogar zum Tod führen. Durch Impfungen ist es gelungen, die Zahl der Erkrankungen drastisch zu senken. Polio ist aber noch nicht weltweit ausgerottet.

Hepatitis B ist eine Leberentzündung, die bei Säuglingen und Kleinkindern häufig chronisch verläuft und auch Leberkrebs verursachen kann. Babys von Müttern, die an Hepatitis B erkrankt sind, werden schon in den ersten zwölf Stunden nach der Geburt geimpft.

Pneumokokken besiedeln in der Regel die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raums. Babys und Kleinkinder sind besonders gefährdet: Ihr Abwehrsystem kann die Keime, die oft Mittelohrentzündungen verursachen, noch nicht wirksam bekämpfen. Lebensbedrohlich wird die Infektion, wenn sie zu einer Blutvergiftung führt oder auf die Hirnhäute übergreift.

Meningokokken können bei kleinen Kindern schwere bakterielle Erkrankungen mit Blutvergiftung hervorrufen, zum Beispiel eine Lungen- oder Hirnhautentzündung. Meningokokken werden durch Tröpfcheninfektionen übertragen. Anzeichen einer Meningitis sind etwa hohes Fieber, starke Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit. Die Krankheit kann auch durch andere Erreger ausgelöst werden.

Masern werden durch ein Virus verursacht. Die Ansteckungsrate ist hoch, weil sich die Viren durch Sekrettröpfchen aus Mund oder Atemwegen über die Luft verbreiten. Typisch ist der zweiphasige Verlauf: erst Fieber, Husten, Schnupfen, Bindehautentzündung und Flecken auf der Mundschleimhaut. Drei bis sieben Tage später folgt der Hautausschlag. Es kann zu gefährlichen, in manchen Fällen sogar lebensbedrohlichen Komplikationen kommen.

Mumps, auch Ziegenpeter genannt, ist eine virusbedingte, sehr ansteckende Infektionskrankheit. Rund drei Wochen nach der Ansteckung schwillt die eine Wange, kurze Zeit danach die andere an: Die Ohrspeicheldrüse hat sich entzündet. Kleine Kinder wollen jetzt oft nichts mehr essen und trinken, weil Kauen und Schlucken sehr wehtun. Fieber kommt häufig hinzu. Manchmal gibt es bei dieser Erkrankung auch Komplikationen: Entzünden können sich die Hirnhäute, bei Jungen ab der Vorpubertät die Hoden, bei Mädchen mitunter die Eierstöcke.

Röteln sind sehr ansteckend. Sie werden durch virushaltige Tröpfchen übertragen und beginnen mit Beschwerden wie Husten, Schnupfen und Fieber. Kurze Zeit später zeigt sich der typische Hautausschlag, der nach ungefähr drei Tagen wieder verschwindet. In etwa der Hälfte der Fälle verläuft die Krankheit ohne Beschwerden. Erkrankt jedoch eine schwangere Frau, kann es beim Ungeborenen zu Schädigungen kommen.

Windpocken sind sehr ansteckend und können über größere Entfernungen durch die Luft übertragen werden. Typisch ist ein juckender Hautausschlag mit Bläschen. Eine mögliche Komplikation ist die Lungenentzündung

Humane Papillomaviren (HPV) können Gebärmutterhalskrebs auslösen. Die beim Geschlechtsverkehr übertragenen Viren können teilweise bösartige Tumore verursachen. Die Impfung gegen HPV-Hochrisiko-Typen kann die Infektion mit den gefährlichsten Papillomaviren verhindern. Deswegen rät die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO), Mädchen und Jungen von 9 bis 14 Jahren vor dem ersten Sex zu impfen. Die Impfung kann dazu beitragen, Gebärmutterhalskrebs vorzubeugen.

FSME durch Zeckenstich: Für Risikogebiete in Deutschland (vor allem in Bayern und Baden-Württemberg) empfiehlt die STIKO eine Impfung gegen Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME), eine Entzündung des Gehirns oder der Hirnhäute. Sie wird durch FSME-Viren ausgelöst, die von infizierten Zecken übertragen werden.