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Bastians Mutter kennt sie nur vom Hörensagen: Kinder, die stundenlang ein Bild malen oder vollkommen versunken mit ihren Legosteinen spielen. "Mein Sohn ist einfach hibbelig. Er fängt eine Sache an und rast dann nach drei Minuten zur nächsten", erzählt die Berlinerin. Doch die Mutter des Fünfjährigen weiß auch: Was sie unter der Kategorie lebhaft verbucht, kann später zu Problemen führen. Die Erzieherin in der ­Kita hat für Bastian deshalb kürzlich schon ein Konzentrationstraining vorgeschlagen. Immerhin sei das Vorschuljahr doch ziemlich anspruchsvoll – und da wäre es gut, wenn Bastian wenigstens zehn Minuten still sitzen könnte.

Zehn Minuten Ruhe – mit fünf Jahren sollte das möglich sein. Aber sehr viel mehr kann Bastians Umfeld auch nicht erwarten. Höchstens eine Viertelstunde können sich fünf- bis siebenjährige Kinder im Durchschnitt konzentrieren. Bei Zehnjährigen steigt die Aufmerksamkeitsspanne auf etwa 20 Minuten. Das bedeutet: Die meisten Klagen über mangelnde Konzentration erwachsen aus unrealistischen Erwartungen. Das hat der Kölner Psychologie-Professor Gerhard Lauth festgestellt, der seit Jahren mit Kindern arbeitet. So schätzen Erzieher und Lehrer in Umfragen, dass 20 bis 30 Prozent der Kinder unter Konzentra­tionsstörungen wie ADHS leiden.

Prof. Dr. Gerhard Lauth arbeitete am Institut für Psychologie und Psychotherapie der Universität Köln

Prof. Dr. Gerhard Lauth arbeitete am Institut für Psychologie und Psychotherapie der Universität Köln

Störungen seltener als angenommen

"Tatsächlich liegt der Anteil wirklicher Aufmerksamkeitsstörungen, die nach wissenschaftlichen Kriterien diagnostiziert werden, bei drei bis vier Prozent", sagt Lauth. Viel häufiger scheinen Erwachsene einfach zu viel Disziplin von den Kleinen zu verlangen.

"Da sollen sie einen komplizierten Schulweg bewältigen, dem Unterricht folgen und vielleicht noch selbstständig in Kleingruppen arbeiten", sagt Lauth. Und das stelle viele Kleine eben einfach vor Probleme. Denn Konzentration ist nicht angeboren.

Prof. Dr. Anna Katharina Braun leitet das Institut für Biologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Prof. Dr. Anna Katharina Braun leitet das Institut für Biologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

"Die Aufmerksamkeit willkürlich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine bestimmte Sache zu lenken, müssen wir im Lauf des Lebens erst üben", sagt die Magdeburger Neurobiologin Prof. Dr. Anna Katharina Braun. Manchen Kindern fällt das, genetisch bedingt, leichter als anderen. Aber grundsätzlich läuft der Prozess bei allen Kleinen gleich ab. Bestimmte Nervenzellen müssen sich erst verschalten, neuronale Bahnen für das Verhalten gelegt werden. Das Schöne daran: Das Gehirn will lernen. Es ist sogar richtig süchtig danach. "Jeder Lernerfolg führt über die Ausschüttung körpereigener Hormone zu Glücksgefühlen. Das kindliche Gehirn ist also immer auf der Suche nach dem Kick", erklärt Neurobiologin Braun.

Konzentration braucht Interesse

Den Spaß am Lernen zu wecken ist vor allem Aufgabe der Eltern – und gar nicht schwer. Am besten läuft es bei gemeinsamen Aktivitäten. So bekommen Kinder nämlich zwischen den Zeilen eine wichtige Lektion mit: Disziplin und Aufmerksamkeit führen zu guten Ergebnissen. Beim gemeinsamen Backen lernt man zum Beispiel dies: Ein Arbeitsschritt nach dem anderen führt zum Teig. Dann muss man noch abwarten, bis der Kuchen gebacken ist. Dafür schmeckt’s dann köstlich. Wer beim Fußballspielen mit Papa spürt, wie schön es ist, sich für eine gemeinsame Sache zu begeistern, wird auch in anderen Situationen bereit sein, sich an Regeln zu halten und Impulse auch einmal zu unterdrücken.

Aufmerksamkeit vorleben

Dabei sind Eltern die besten Vorbilder: Wenn sie möchten, dass ­ihre Kinder sich gut konzentrieren können, müssen sie selbst beim Vorlesen oder Puzzeln bei der Sache bleiben und dürfen nicht nebenbei E-Mails checken oder telefonieren. Und es ist wichtig, die Balance zu finden zwischen ­Action und Ruhe. Dazu gehört es auch, gelegentlich Langeweile auszuhalten.

Was aber, wenn Kinder dazu nicht in der Lage sind? Für Gerhard Lauth gibt es einen Hinweis auf ernste Aufmerksamkeitsstörungen: "Sind die Kinder so hibbelig, dass es über einen längeren Zeitraum an mehreren Fronten knallt – etwa im Elternhaus, in Kindergarten oder Schule und im Kontakt mit Gleichaltrigen –, muss man Hilfe suchen." Dann sollte der Nachwuchs zu einem auf ADHS spezia­lisierten Kinderarzt. Bastians Mutter hat ihrem Sprössling gerade ein Lernspiel gekauft. "Dabei muss er Symbole vergleichen und Farben zuordnen. Das fasziniert ihn sehr." Dass aus Bas­tian eines Tages ein geduldiger Bastler wird, glaubt sie nicht. "Dann würde ich mich vermutlich sogar selbst langweilen."

Spielend das Gehirn trainieren

Kinder können ihre Konzentrationsfähigkeit schulen – in Maßen. Wichtig ist, dass es Spaß macht! Hier ein paar Spielanregungen für zu Hause:

  • Bei kleineren Kindern von zwei bis vier Jahren trainieren Kartenaufdeckspiele-Spiele die Aufmerksamkeit. Für Spaß sorgt auch "Die griechische Statue": Alle laufen zu Musik durch den Raum. Sobald die Musik abbricht, bleiben die Spieler stehen. Wer zappelt, scheidet aus. Konzentrieren muss man sich ebenfalls beim Ausmalen von Mandala-Bildern.
  • Größere Kinder ab vier lassen sich von Knobelspielen begeistern, bei denen sie den Weg durch ein Labyrinth finden müssen. Auch Sprachspiele machen schlau: So gibt ein Mitspieler drei Worte vor, die in einer selbst ausgedachten Geschichte vorkommen müssen. Für Entspannung sorgen Traumreisen: Mit geschlossenen Augen lauschen die Kinder einer Geschichte: "Du bist ganz ruhig, du atmest ein und aus. Du bist ein Adler und fliegst über Berge. Der Himmel ist blau, und du kannst die frische Luft spüren …"
  • Anspruchsvoll und für Kinder ab sechs geeignet sind Spiele wie "Ich packe meinen Koffer", bei denen man sich viele Dinge merken muss. Für dieses Alter gibt es auch richtige Konzentrationsspiele im Handel. Ältere Kinder haben Spaß beim Konzentrieren am Computer: mit Spielen wie "Piraten – die total verrückte Schatzkarte" oder der Reihe "Versteckt – entdeckt!".